Thomas EbelingEin Sender, der sich völlig unabhängig vom konjunkurabhängigen Werbemarkt rein durch die Einnahmen aus den Anrufgebühren seiner Zuschauer finanziert - eigentlich brauchte ProSiebenSat.1 den Sender 9Live nie dringender als in diesem Jahr, in dem die Werbemärkte so dramatisch eingebrochen sind. Eigentlich. Denn aus dem einstigen hochprofitablen Goldesel ist inzwischen ein echtes Sorgenkind geworden, das in der ProSiebenSat.1-Bilanz zwischenzeitlich gar durch rote Zahlen aufgefallen ist.

Dass das Geschäft von 9Live in Deutschland rückläufig ist, ließ sich also schon seit längerem an den wenigen veröffentlichten Zahlen ablesen, doch die Deutlichkeit der Worte, die ProSiebenSat.1-Boss Thomas Ebeling am Donnerstag in Düsseldorf in Sachen 9Live in den Mund nahm, überraschte dann doch: Die Anzahl der Anrufe bei 9Live sei stark zurückgegangen, klassisches Call-TV im Sinne der typischen Gewinnspiel-Sendungen sei nicht mehr so attraktiv, so Ebeling. Einen ganzen Sender tragen kann das reine Call-TV offensichtlich inzwischen nicht mehr.

Der ProSiebenSat.1-Chef führt das auf die "juristischen Begrenzungen" zurück, denen 9Live mittlerweile unterliege und meint damit offenbar die Gewinnspielsatzung, die seit diesem Jahr gilt und durch die den Sendern bei Verstößen erstmals empfindliche Konsequenzen drohen. Dabei kann man deutschen Medienwächtern vieles vorwerfen, ein überhastetes Vorgehen gegen fragwürdige Call-In-Praktiken sicher nicht. Jahrelang hoffte man naiverweise auf die freiwillige Einhaltung der von der Call-In-Branche größtenteils sogar selbst verfassten Richtlinien, ehe sich die Erkenntnis durchsetzte, dass derartige Regelungen nur durch Strafandrohung durchsetzbar sind. Doch der Niedergang des Call-TV begann ohnehin schon viel früher: Durch jahrelange höchst fragwürdige Praktiken haben sich die Anbieter ihren Ruf derart nachhaltig ruiniert, dass sich offensichtlich auch einst treue Anrufer inzwischen zu großen Teilen abgewendet haben.

 

Foto: 9LiveAuch wenn man bei 9Live auf DWDL.de-Nachfrage betont, dass Call-TV weiter "eine wichtige Geschäftssäule bleibe": Als Reaktion auf die rückläufigen Einnahmen aus dem klassischen Geschäft will Ebeling den Sender künftig "breiter aufstellen", wie er am Donnerstag in Düsseldorf sagte. Als Beispiele nannte er Formate aus den Bereichen Lebensberatung, Finanzberatung oder Astro-TV. Wie das aussehen soll, lässt sich derzeit in Ansätzen schon im 9Live-Programm besichtigen. Während Astro-TV schon seit geraumer Zeit das Vormittagsprogramm füllt, experimentiert 9Live am Vorabend mit dem Format "Finanzen.de - das Magazin". 9Live bezeichnet die Sendung als "interaktives, journalistisches Format rund um das Thema Finanzen". Moderator Jochen Sattler sowie ein unabhängiger Finanzberater widmen sich darin Fragen zu Themen wie Altersvorsorge, Riester-Rente oder Krankenversicherung. Bemerkenswert für 9Live: Anrufe in der Sendung werden über eine 0800-Nummmer abgewickelt, sind also für die Anrufer kostenlos. Wie sich die Sendung finanziert, zeigt schon ein Blick auf ihren Namen: Durch Titelsponsoring sowie etwas Werbung. 

Sich zahlende Partner zu suchen scheint derzeit wohl das erfolgversprechendere Modell zur reinen klassischen Werbefinanzierung zu sein, auf das 9Live Anfang vergangenen Jahres bei der Einführung des Labels Neun-TV setzte. Von den hochfliegenden Plänen, zu "der Frauen-Adresse im deutschen Free-TV" zu werden, waren zuletzt als kläglicher Rest nur noch Wiederholungen von "Kommissar Rex" übrig, die zudem immer weiter in den Nachmittag verschoben werden. Neue, eigens produzierte Formate sind seit langem versprochen, lassen aber nach wie vor auf sich warten. Auch heute noch heißt es bei 9Live auf DWDL.de-Nachfrage aber, dass Neun-TV künftig eine "Programmfläche für innovative, frauenaffine Formatideen" bieten solle. Wann diese innovativen Formatideen das Licht der Welt erblicken sollen, bleibt aber weiter im Dunkeln.

Ralf Bartoleit, inzwischen immerhin seit zehn Monaten Geschäftsführer, äußerte sich bislang nicht öffentlich zu der Frage, was er genau mit 9Live vor hat. Deutlich sichtbar sind aber seit langer Zeit kräftige Umbauarbeiten. So wird ab kommender Woche etwa Call-TV am Nachmittag und Vorabend noch weiter zurückgedrängt, ohne größere Ankündigung nimmt 9Live um 17 Uhr die bei Sat.1 gefloppte Telenovela "Schmetterlinge im Bauch" ins Programm, mittags wird ein "Talk-Mix" zu sehen sein am Vorabend hofft man aus Einnahmen aus dem Teleshopping-Bereich mit dem erst vor kurzem gestarteten "9Live Shop" sowie dem Reiseshopping-Fenster Sonneklar TV. Allerdings: Ein umfassender Plan ist hinter diesen Umbauten kaum zu erkennen. Der inzwischen kaum noch übersichtlich Gemischtwarenladen, den 9Live bietet, wird ohne größere Ankündigung beinahe im Wochentakt neu durcheinandergewürfelt. Nicht einmal auf den eigenen Internetseiten ist man bei 9Live derzeit in der Lage, das gültige Programm für die kommende Woche anzugeben, in der Presselounge finden sich an unterschiedlichen Stellen widersprüchliche Angaben. Nach einer gut durchdachten Neu-Positionierung des Senders sieht das nicht gerade aus. Genau die wäre aber dringend nötig.