Grafik: DWDL.deDie Abbildung einer vermeintlichen Realität im Fernsehen und deren Publikumserfolg nimmt immer bizarrere Formen an. In der Primetime der großen Privatsender tummeln sich immer mehr Formate unter dem Label Reality und auf Seiten der Macher scheinen die Grenzen des Anstands mehr und mehr zu verschwinden. So rücken seit Monaten neben den ursprünglichen Inhalten der Sendungen - von der Talentsuche bis hin zur Schuldenberatung - immer mehr die persönlichen Probleme und Unzulänglichkeiten der Protagonisten in den Vordergrund.

Trauriger Höhepunkt in dieser Woche: Ein feuchter Fleck auf der Hose eines Kandidaten der Sendung "Deutschland sucht den Superstar" wird genüsslich zelebriert, der Lächerlichkeit preisgegeben und ist Thema Nummer eins im deutschen Boulevard. Die reflexartig einsetzende Aufregung treibt den Wirbel um die Sendung weiter an und schon jetzt ist absehbar, dass die mittlerweile institutionalisierte Empörung sich legen wird, sobald das Ende der Casting-Runde der Show erreicht ist und man übergeht zum Wettstreit der verbleibenden Musiker. Das Problem: Die Macher wähnen sich, richtig zu liegen, denn der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben. Die neue Staffel "DSDS" startete in dieser Woche mit einem Rekordwert.
 

 
So lassen sich die Macher - getragen von der Welle ihres Erfolgs - inzwischen auch immer öfter in die Karten schauen. Hielt man sich in der Vergangenheit eher bedeckt mit den näheren Umständen der Erstellung der Inhalte, so gibt man mittlerweile freimütig Auskunft darüber, dass in der Fernseh-Reality nicht alles wirklich real ist. So gestand man zum Beispiel in der Diskussion um die Sendung "Erwachsen auf Probe" erstmals öffentlich ein, dass es sich bei manchen Angaben in der Doku-Show eher um gefühlte Fakten, denn um tatsächliche Abläufe handelt. So nun auch bei "DSDS".

Nachdem der Kandidat mit dem Fleck auf der Hose am Mittwoch die Nation erheiterte und sich der Vater des Kandidaten nun zur Wehr setzt und Vorwürfe gegen RTL erhebt, zeigt sich der Sender erstaunlich offen. Der konkrete Vorwurf: Ein vernichtender Spruch von Dieter Bohlen, der noch einmal verdeutlicht, dass es um die gesanglichen Qualitäten des ohnehin schon bloßgestellten Kandidaten nicht allzu gut bestellt sei, wurde aus einem anderen Casting in die Szene geschnitten.

Bohlen sagte wörtlich: "Lieber Cholera auf dem Pillermann als dein Gesang".  RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer bestätigte gegenüber der "Bild": "Dieser Spruch fiel gegenüber einem anderen Kandidaten. Da der Spruch aber gut das Urteil der Jury über Marcel F. und die Umstände seines Auftritts beschreibt, wurde er verwendet. Das passiert im Einzelfall". Beim Sender legt man allerdings Wert auf die Feststellung, dass die nachträglich eingefügten Beurteilungen keine inhaltlichen Veränderungen hinsichtlich der Meinung der Jury mit sich brächten. "Heißt, ein schlechter Sänger bekommt keinen guten Spruch zugeteilt, oder umgekehrt. Nachher aufgezeichnet wird nichts, die Sprüche kommen immer spontan von Dieter", so Eickmeyer.

Beim Sender wähnt man sich im Recht. "Das 'DSDS'-Rohmaterial wird bearbeitet. Über diese Möglichkeiten sind die Kandidaten durch die Teilnehmervereinbarungen informiert", erkärt Eickmeyer. Das mag stimmen. Ob die Kandidaten und in der Regel Medien-Laien jedoch im Stress der Aufzeichnungssituation in der Lage sind, zu überblicken, dass sie damit dem Sender Allmacht über die öffentliche Darstellung ihrer Person einräumen, steht auf einem anderen Blatt und ist eher eine Frage des Anstands, denn der juristischen Zulässigkeit. Ebenso wie die Frage, ob die unterzeichnete Rechteabtretung ein Freibrief ist, alles das zu tun, was rechtlich möglich ist. Doch auf der Welle des Erfolgs und bestärkt von mehr Zuschauern denn je, scheint das mehr und mehr unerheblich zu werden.
 
Nachtrag: Das umstrittene Zitat von Dieter Bohlen wurde von "Bild" und zwischenzeitlich auch von DWDL.de als "Lieber Cholera auf dem Pippimann als deine Stimme" falsch wiedergegeben. Wir bitten um Verzeihung.