Martin und Veronica sind ganz aus dem Häuschen, als plötzlich ein Sternekoch vor ihrer bescheidenen Bude auf Teneriffa steht, wo Gästen eine deutsch-tschechische Küche geboten wird. Meistens halt kalte, weil kaum jemand kommt. Außer Frank Rosin. "Wir hätten mit alles gerechnet – aber nicht mit das", sagt das Gastro-Pärchen artig in die Kamera, in die sie davor schon die ganze Zeit gesagt haben, wie schlecht es mit dem Restaurant läuft, dass Martin im vergangenen Jahr aus dem vierten Stock gefallen ist und nur mit viel Glück überlebt hat, und dass sie eigentlich nicht mal eine Lizenz für den Betrieb haben. Idealer Nährboden also für ein Fernsehwunder.

Und dann schlendert da einfach Rosin in die Seitenstraße und wird angeguckt als sei er der Yeti im Sommerurlaub, um anschließend so lange umarmt zu werden, bis ihn irgendeine Forstbehörde abholt und einen ordentlichen Finderlohn zahlt. Es ist dann aber doch ein bisschen anders gekommen.

Stolze sechs Jahre gibt es "Rosins Restaurants" jetzt schon, und das ist allein deshalb eine kleine Sensation, weil diese Langlebigkeit sonst nicht sehr vielen kabel-eins-Sendungen gegönnt ist. (Außer vielleicht den Magazinen, die sich bequem wie Knetmasse mit minimalen Themenvariationen ins Programm einmassieren lassen.) Der Erfolg ist aber auch deshalb erstaunlich, weil es immer noch genügend Restaurants zu geben scheint, die vor sich selbst und ihren Betreibern gerettet werden müssen, ohne dass sich herumgesprochen hätte, dass sich jeder erstmal zum Depp machen lassen muss, bevor er wie der Phoenix aus der Grillasche aufsteigen darf. (Das NDR-Magazin "Zapp" berichtete kürzlich ausführlich dazu.)

Das Erzählmuster der Sendungen – Demütigung, Hauruck-Phase, glückliche Wendung –  ist eines der eigenartigsten Rituale im deutschen Fernsehen. Die Zuschauer wissen exakt, was sie erwartet, nur die Protagonisten wechseln. Aber wenn Rosin dann dem nächsten Laden den Hundekot vom Boden wischt, ungläubig die Mülltonnendekoration anschaut oder die Fertiggericht-Verbrechen um die Ohren haut, ist das Wegschalten oft schwerer als man zugeben mag.

Bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern erreicht "Rosins Restaurants" regelmäßig solide bis sehr gute Werte, von denen kabel eins den Rest der Woche oft nur noch träumen kann; Staffel 9 startete Ende Juni mit 6,9% Marktanteil (DWDL berichtete) und steigerte sich in den Wochen danach zum Teil noch. Zuletzt versuchte sich die ProSiebenSat.1-eigene Produktionsfirma Red Seven Entertainment, die "Rosins Restaurants" von Imago TV übernommen hat, mit sanften Konzept-Ergänzungen: Rosin musste nicht mehr alleine in die Kamera plaudern, sondern diskutierte mit seinem Redakteur vor laufender Kamera die Strategie des jeweiligen Falls. Die gekünstelte Lagebesprechung hat das Geschehen aber nur mäßig bereichert.

Seit diesem Dienstag versucht's kabel eins deshalb nochmal mit einer alternativen Auffrischung und schickt dem Sternekoch nach über 60 Folgen mal nicht nach Minden, Fulda oder Mönchengladbach. Sondern dahin, wo der Pfeffer wächst. Also: nur zum Beispiel. In "Rosin weltweit – Andere Länder, andere Fritten" macht Rosin weiter das, was er am besten kann: unausgebildeten Aus-Versehen-Restaurantbesitzern mit wechselnden Ach-du-lieber-Gott-Grimassen den Laden auf den Kopf stellen. Nur halt vor schönerer Kulisse.

Der Start war insofern einfach, als dass auf Teneriffa mit besagtem Gastro-Pärchen offensichtlich die größten Fans des Dorsteners warteten, die jederzeit hauptberufliche Leiter des Frank-Rosin-Fanclubs werden könnten, falls das mit dem Restaurant doch nix mehr wird. "Der weiß, was er macht, ganz einfach", erklärte Besitzer Martin sein bedingungsloses Grundvertrauen in den herbeigereisten Fernsehheiland. Und der stellte klipp und klar fest: "Für mich gibt's hier nur eine Möglichkeit: ein Neuanfang zu meinen Regeln."

Der geht bei "Rosin weltweit" so weit, dass den Gastronomen im Grunde gar kein Mitspracherecht mehr eingeräumt wird, wie sie in Zukunft arbeiten sollen: Nach dem unverzichbaren Testessen und der morgendlichen Lesung der Leviten durften die Eigentümer des "Primavera" ihren Laden abschließen und die Schlüssel dem TV-Team abgeben. Nach einer Woche, unterbrochen von gelegentlichen "Koch-Coachings" für einfachste Grundgerichte, holte kabel eins sie dann wieder zurück, um sie mit einem freundlich umdekorierten Laden zu überraschen: Augenbinde runter, Sprachlosigkeit, Tränchen im Auge. Wenn Tine Wittler zugesehen hat, muss sie heimlich vor Glück geweint haben, dass ihr Fernsehformaterbe so konsequent in eine Restaurant-Aufmöbelungssendung eingeflochten hat.

Großen Zauber musste Red Seven Entertainment dafür nicht bemühen. Die erst furchtbar entsetzten und nachher furchtbar begeisterten Probe-Esser wurden diesmal halt direkt auf der Insel rekrutiert, heißen "Touri-Tester" und sollten ihren Besuch nicht wie bei "Rosins Restaurants" in Punkten, sondern in Schulnoten bewerten. Zudem holte sich Rosin zwischendurch Hilfe bei ortsansässigen Erfolgs-Hoteliers. Und am Ende wurde noch die lange nicht gesehene Schwester zur Neueröffnung eingeflogen. Aber das macht "Rosin weltweit" längst noch nicht zu einem eigenständigen Format.

Die Kombination des bekannten Retter-Prinzips mit dem der Auswanderer-Soap ist womöglich trotzdem clever, weil kabel eins damit auch Zuschauer abfischt, die ab nächster Woche wegen der "Höhle der Löwen" bei Vox wieder länger auf "Goodbye Deutschland" warten müssen. Und womöglich braucht es auch gar nicht mehr Änderungen, um eines der – inzwischen – ältesten Privatfernsehen-Formate für ein paar weitere Staffeln über die Runden zu retten. "Ich bin geschockt. Glücklich geschockt!", sagte Besitzer Martin am Dienstag in der "Rosin weltweit"-Premiere. Kabel eins hingegen ist kreativitätsgelähmt. Aber halt: glücklich kreativitätsgelähmt.

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