Deutsche Drehbuchautoren werden weinen bei dieser Serie. Sie werden „Jerks“ schauen und bei jedem zweiten Dialog sagen: „Den hätte mir mein Redakteur rausgestrichen.“ Schlimmstenfalls wird ihnen bewusst, dass sie diese Dialoge schon selbst rausgestrichen hätten, weil sie ja wissen, wie ihre Betreuer im Sender ticken, wie akribisch sie die Drehbücher durchforsten nach Dingen, die den Zuschauer überfordern könnten.

Bei „Jerks“ konnte das nicht passieren, denn es gab keine Drehbücher. Zumindest keine mit Dialogen. Nur die groben Handlungslinien waren nach dem Vorbild einer dänischen Serie festgelegt, den ganzen Rest mussten sich die Darsteller beim Dreh aus dem Ärmel oder sonst wo rausschütteln. So etwas kann schiefgehen, so etwas kann aber auch gelingen. Im Fall von „Jerks“ ist es ganz und gar großartig geworden.

Zehn Teile hat die Serie, die Christian Ulmen als Regisseur und Hauptdarsteller bei Maxdome abgeliefert hat. Ab 26. Januar will das Abrufportal damit den Konkurrenten Netflix und Amazon die Stirn bieten. Das hätte funktionieren können, dass sich die Kunden darum reißen, für solch eine feine Serie ein Maxdome-Abo abzuschließen. Hätte. Wäre da nicht der Umstand, dass ProSieben die Serie schon am 21. Februar im Normalprogramm startet. Warum also sollte man Geld ausgeben für etwas, das man demnächst auch umsonst haben kann?

Kurze Antwort: Weil es genial ist. Das liegt vor allem an den Akteuren. Christian Ulmen und sein Buddy Fahri Yardim spielen zwei Typen aus der kreativen Oberklasse von Potsdam, sie spielen Christian Ulmen und Fahri Yardim auf der Suche nach dem nächsten Fettnäpfchen. Die Rollen der Kumpels sind natürlich sehr plakativ angelegt. Sie reagieren, wie Männer gerne mal agieren, sie reden, wie Männer gerne mal agieren, und sie verlieren fast immer. Ihre Frauen sind fast immer die Gewinner, wenn man es von der moralischen Seite betrachtet. Man könnte aber auch sagen, dass Ulmen und Yardim die Gewinner sind, weil sie mit fast jedem Scheiß durchkommen und nicht verlassen werden.

Wäre diese Serie eine CD, stünde in den USA sicherlich die Warnung vor „Explicit Lyrics“ drauf. Man sieht Männer, die diskutieren, mit welchem Porno man sich im Gewinnungsraum am besten eine Samenspende abpressen kann. Man sieht Frauen, die im Masturbationskurs ihren Geschlechtsteilen nette Namen geben, während ihre Männer immer noch komplett einfallslos Möse sagen. Man erlebt Kinder, die Dinge zu sehen bekommen, die sie nicht sehen sollten. Das Vokabular dazu speist sich aus dem normalen Buddy-Vokabular und umfasst natürlich auch Buzzwords wie ficken, wichsen und Fotze. Nicht aufdringlich, sondern ganz beiläufig in den Normalton integriert stehen solche Wörter neben den Buzzwords aus dem Beziehungsalltag, wo es um mehr Aufmerksamkeit für die Partnerin, um mehr Verbindlichkeit, um Sensibilität geht.

In der Mischung überwiegt bei „Jerks“ vor allem der Eindruck, in Wahrheit eine verkappte Frauenserie zu sein. Vor allem natürlich, weil die Männer durchweg die Loser sind, die in jede peinliche Situation geradezu hineingesogen werden. Die „Jerks“-Buddys können einfach nicht anders als unglaublich peinlich zu handeln. Es stehen ihnen beim besten Willen keine Handlungsalternativen zur Verfügung.

Weil Ulmen und Yardim das so unglaublich glaubhaft hinbekommen, wächst diese Serie so weit über den deutschen Seriendurchschnitt hinaus. Für Fahri Yardim, den man kennen kann als Til-Schweiger-Buddy vom „Tatort“ und als unglaublich falsch besetzten Gangster aus den RTL-Karl-May-Filmen, darf die Rolle in „Jerks“ wie das Finden einer langen Suche nach dem richtigen Platz im Filmleben gewertet werden. Genau hier gehört der Mann hin. Genau hier soll er weitermachen.

Aufgepeppt wird das Ganze durch etliche Cameo-Auftritte diverser Ulmen-Freunde und –Bewunderer. Sido etwa spielt sehr schön die Rolle eines Liebhabers wirklich abartiger Pornohefter, Ralph Herforth spielt den großen Heroin-Befürworter, und Nora Tschirner gibt die durchgeknallte Schauspielkollegin, die Ulmen wieder auf den rechten Weg und weg vom Kommerz bringen will. Karsten Speck arbeitet bei einer Samenbank, und Ulmens Gattin Collien mimt sehr schön seine Ex, die in der ersten Folge gerade mit Kay One zusammen ist.

Ulmen hat aus „Jerks“ so eine riesige Wundertüte gemacht, in die man mehr als zehnmal reingreifen möchte. Nach jeder Folge kommt die ultimative Auszeichnung für eine Serie über die Lippen. „Noch eine“ lautet die natürlich, und so ist man ruckzuck bei der zehnten Folge, die ein echtes Finale furioso liefert, die so komplett durchdreht, dass einem der Mund offenstehen bleibt. Das hat man in dieser Form im deutschen Fernsehen noch nicht gesehen, da reicht auch die zwischendrin aufgepoppte Formel „Pastewka in Hardcore“ nicht mehr aus. Das ist schlichtweg unbeschreiblich. Und gerade deswegen so gut.

Natürlich gibt es hier und da auch schon mal einen Hänger, ein paar Momente, in denen der Spannungsbogen lose baumelt, aber das ist wohl bei einem Projekt dieser Größe kaum zu vermeiden. Was zählt, ist der Gesamteindruck. Und der ist überwältigend, weshalb ich mich nach Ansicht aller zehn Folgen zu einer Drohung versteigen möchte. Sollte diese Serie im nächsten Jahr nicht mindestens auf der Nominierungsliste aller großen Fernsehpreise stehen, werde ich die Abschaffung aller großen Fernsehpreise fordern. Und wenn Maxdome und ProSieben keine zweite Staffel in Auftrag geben, weil zu wenige Menschen ein Abo abgeschlossen haben oder weil der blöde Sendeplatz hinter „Circus Halligalli“ möglichweise suboptimal ist und nur unzureichende Quoten gebärt, werde ich auch die Abschaffung von Maxdome und ProSieben fordern.

Größenwahnsinnig? Ja, na klar. Was sollte man nach solch einer Serie auch sonst sein?

"Jerks" ist ab dem 26. Januar bei Maxdome abrufbar. ProSieben zeigt die  Serie ab dem 21. Februar dienstags gegen 23:15 Uhr.
Vorab gibt's eine Folge bereits bei "Spiegel Online" zu sehen, zudem werden die Rocket Beans heute abend eine Folge zeigen.