Der Hammer lässt fünfundzwanzig Minuten auf sich warten und kommt rechtzeitig zur Geisterstunde: Maren Kroymann sitzt selbstzufrieden am Essenstisch. Die jüngeren Familienmitglieder unterhalten sich darüber, wie ihnen gerade die ganze Welt zu entgleiten scheint, und diskutieren, was sich dagegen unternehmen lässt. Bis die 67-Jährige „viel Glück“ wünscht mit den Online-Petitionen, Demos, Protestaufrufen. Und zu singen anfängt.

„Geht ruhig alle dieses Jahr zur Wahl, wählt linksliberal, sozial-radikal oder neutral. Eigentlich ist das scheißegal. Denn wir sind wieder mal in der Überzahl im Wahllokal. Denn wir sind die Alten!“

Zum stampfenden Beat provoziert die 66-Jährige anschließend: „Ihr denkt zwar, ihr seid die geilsten. Aber wir sind die meisten.“ Dazu läuft ein knallbuntes Musikvideo, in dem grauhaarige Rentner dem Nachwuchs die Wahlkabine zertrümmern und sich über die „laktoseintoleranten Gutmenschen“ kaputtlachen, an die sich diese für ARD-Verhältnisse eher ungewöhnliche Nummer vermeintlich richtet. Das passiert also, wenn ein Sender die jungen Irren (der Kölner Produktionsfirma btf) mit den alten Hasen (Schauspielerin und Satirikerin Kroymann) an denselben Tisch setzt: eine Punktlandung. Und das auch noch im Auftrag des Zwergensenders Radio Bremen.

Mit ein klein bisschen Böhmermann-Anschub hat es der treffend getextete „Wir sind die Alten!“-Clip mit seinem Grusel-Ballett übers vergangene Wochenende auf über 700.000 Abrufe geschafft. Leider kann die Sendung, aus der die drei Minuten ausgekoppelt wurden, mit diesem Tempo nicht mithalten. Aber das war vielleicht auch gar nicht die Absicht.

Einerseits läuft „Kroymann“ schließlich auf dem angestammten ARD-Satire-Stammplatz am Donnerstagabend, der sonst auch nicht unbedingt für seine Ekstasen bekannt ist. Andererseits ist der Sendung durchaus anzumerken, dass sie Spaß daran hat, den dort etablierten Sehgewohnheiten den Vogel zu zeigen.

Im Mittelpunkt steht Maren Kroymann, die 1993 schon mal ihre eigene Satiresendung in der ARD bekam: "Nachtschwester Kroymann" – und nach vier Jahren nicht mehr erwünscht war. Schlappe zwanzig Jahre später scheint sich der Sender nun an so einer Art Wiedergutmachung zu versuchen. In der schlüpft die Namensgebern in verschiedene Sketch-Rollen, um sich von der örtlichen Femen-Aktivistinnengruppe altersdiskriminieren zu lassen, als Erika Steinbach verkleidet der Homosexualität auf den Grund zu gehen und das vermeintlich beste Handicap für eine Karriere im Top-Management einer Bank zu erfinden.

Zusammengehalten wird all das von wiederkehrenden Episoden mit einer (von Annette Frier gespielten) kettenrauchenden Therapeutin, bei der Kroymann sich als sie selbst in Behandlung begibt, weil sie diese neue ARD-Sendung machen soll und der Druck so groß ist. Woraufhin Frier trocken meint: „ARD-Zuschauer lachen sogar über Guido Lantz. Wie schwer kann das sein, Frau Sawatzki?“

Kroymann© Radio Bremen

Wie gesagt: Nicht jeder Gag ist ein Treffer; aber die Attitüde, mit der Kroymann sich ihre eigene halbe Stunde zurechtruckt, über Frauen, Männer, Lesben, Alte und CDU-Politiker spottet und sich selbst auf die Schippe nimmt, verdient Respekt. Zumal sie nebenbei auch noch gegen das Fernsehen giftet, das ihr die Plattform dafür gibt. Nicht so metamäßig wie Böhermann; aber auch nicht so methusalemhaft, wie über 60-Jährige sonst oft im Medium auftauchen, wenn die ARD wieder irgendeine harmlose Vorabendserie braucht.

„Ihr wollt was verändern, doch die Welt gehört den Rentnern“, singt Kroymann in ihrem kleinen Elektro-Hit. Für das Fernsehen scheint das – allen Diskussionen über werberelevante Zielgruppen zum Trotz – ebenfalls in zunehmendem Maße zu gelten. Insofern ist es natürlich begrüßenswert, dass die Reihe ein Ensemble auf die gebrechlichen Beine gestellt hat, in dem junge und ältere komische Leute gemeinsame Sache machen dürfen. Mit- und gegeneinander („Entschuldigung, ich suche …“, platzt Kroymann einmal in einen Raum hinein, und die dort beschäftigten jungen Frauen helfen gleich aus: „Das Krematorium ist nebenan.“)

Auch die Handschrift bildundtonfabrik-Macher ist unverkennbar. Badababadadadadaaadadadadaa, summt es im Sketchhintergrund verdächtig bekannt. Und das Sendungslogo schockt nur im allerersten Moment, weil es kurz an das von „Beckmann“ erinnert, dann aber doch so schön schmutzig auseinanderklappt.

Die Grenzüberschreitungen sind dennoch sorgsam dosiert. Es sollen ja nicht alle, die donnerstagabends sonst das Erste gucken, gleich zum Wegschalten provoziert werden. Auch die könnten irgendwann in der Mehrzahl sein. Oder wie Kroymann so schön singt: „Wir machen, was wir wollen, ihr könnt uns nicht aufhalten. Deal with it! Wir sind die Alten.“ Der Deal geht in diesem Fall aber in Ordnung.

„Kroymann“ läuft am Donnerstag um 23.30 Uhr im Ersten und vorher als hervorragende Vorabend-Alternative zu „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ bereits ab 18 Uhr in der ARD-Mediathek.