Herr Schmiese, bis vor wenigen Jahren standen die Redaktionsleiter des "heute-journals" noch selbst vor der Kamera. Wäre das nichts für Sie?

Es gibt derzeit keine Notwendigkeit, einen der Moderatoren zu ersetzen. Wir haben mit Marietta Slomka, Claus Kleber und Christian Sievers ein super aufgestelltes und sehr erfolgreiches Team.

Was hat Sie dann an diesem Job gereizt, den Sie im April angetreten haben?

Eigentlich war ich in Berlin sehr zufrieden. Doch die Leitung des "heute-journal" ist schon ein sehr guter Grund, Neues zu wagen. Als Autor im Hauptstadtstudio, aber auch schon davor als intensiver Zuschauer war für mich das "heute-journal" das Beste, was ich an aktueller politischer Berichterstattung im Fernsehen finden konnte. Dort laufen Magazinstücke, die Sendung ist freier. Die Chronisten-Pflicht, alle Meldungen in den Blick zu nehmen, begrenzt sich auf die Nachrichtenblöcke. Dieses Format ist klassisch und gleichzeitig modern.

Woran lässt sich Ihre Handschrift erkennen?

Durch meine zwei Jahrzehnte als Hauptstadtjournalist bringe ich sicher Rückenwind aus Berlin mit. Über fast jede Partei habe ich berichtet und kenne die politischen Verhältnisse und Zusammenhänge recht detailliert. Das hilft bei der Gewichtung. Gleichzeitig haben wir die Taktung etwas aufgebrochen, bringen jetzt zwischendurch auch mal 60-sekündige Stücke, in denen wir beispielsweise knapp Simbabwe in Fakten zu erklären; wer dort regiert und was in dem Land gerade geschieht. Kleine Länderkunde, sozusagen. Ähnlich versuchen wir auch technische Details verständlich darzustellen – etwa bei der Diesel-Debatte. Das ist ein ganz schmaler Grat, wir wollen schließlich nie zu banal werden – aber eben auch nie zu kompliziert.

Wie oft gelingt eine in Ihren Augen perfekte Sendung?

Eine rundum perfekte Sendung gelingt vielleicht drei Mal pro Woche. Was den Zuschauerzuspruch angeht, können wir fast immer sehr zufrieden sein. Mit durchschnittlich vier Millionen Zuschauern pro Sendung sind wir Tabellenführer – und deutlich vor den "Tagesthemen". Das ist viel – erst recht, wenn man bedenkt, dass wir neben aktueller Politik immer wieder auf andere Themen setzen, etwa Kultur. Wir erreichen mit einem Kultur-Beitrag mehr Menschen als das gesamte Feuilleton einer überregionalen Zeitung.

Sie haben gerade die "Tagesthemen" angesprochen. Sind das Ihre wahre Konkurrenten oder doch eher Internetportale oder soziale Netzwerke, in denen Sie viel Gegenwind aushalten müssen?

Die "Tagesthemen" sind konstruktive Konkurrenz. Das Netz weniger, was den Nachrichtenmagazin-Journalismus betrifft. Und die Kritik, die es dort gibt, ist nicht neu. Bestimmt wurde bereits vor 40 Jahren gegen das Journal gestänkert, nur: Da hat es noch niemand so mitbekommen. Damals mögen einige Leute an den Stammtischen und zu Hause auf dem Sofa gehetzt haben. Jetzt machen das manche online. Aber gegen vier Millionen Zuschauer sind 4.000 Hater vergleichsweise wenig. Der Unterschied ist, dass diejenigen, denen das alles nicht passt, sich jetzt auch gegenseitig befeuern. Ernsthafte Kritik nehmen wir ernst. Doch durch unpräzises Geschrei und Verleumdung sollten wird nicht unser Selbstbewusstsein verlieren als wichtigstes Nachrichtenformat. Wir bemühen uns täglich,  journalistisch solide und im Kern immer verantwortungsvoll zu arbeiten.

"Lügenpresse-Vorwürfe, das sind Lügen in einem Staat, der das große Glück journalistisch unabhängiger Medien hat."
Wulf Schmiese, Redaktionsleiter des "heute-journals"

Ihre Kritiker sehen das anders.

Dass Fehler passieren, ist seit 40 Jahren der Fall. Die passieren in jeder Redaktion. Aber das ist etwas anderes als das bewusste Verzerren von Wahrheit. Und das sage ich jetzt als jemand, der nicht aufgewachsen ist im ZDF. Sondern als jemand, der von meiner Arbeit in durchweg tollen Zeitungsredaktionen weiß, dass der Journalismus es gut meint mit unserem Land. Lügenpresse-Vorwürfe, das sind Lügen in einem Staat, der das große Glück journalistisch unabhängiger Medien hat. 

Ist es Ihrer Meinung nach ein Problem, dass die "heute-journal"-Redaktion in Mainz sitzt und nicht in Berlin?

Diese Diskussion habe ich während meiner Zeit bei der "FAZ" schon mitbekommen. Ich gehörte ja zur Gründungsredaktion der Sonntagszeitung und Feuilleton-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte damals die Idee, das ganze Blatt sollte direkt nach Berlin gehen. Die Politik-Herausgeber widersprachen schon wegen Frankfurt im Namen. Aber sie warnten davor, dass man in Berlin vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehe. Das ist bei uns ganz ähnlich: Hier vom Lerchenberg aus kann ich in die Weite des Landes sehen. Dann denke ich mir manchmal, Berlin ist so weit weg. Doch diese Distanz hilft, um leichter einschätzen zu können, welche Themen unsere Zuschauer im Sauerland, der Lausitz oder in Franken wirklich angehen. In der Hauptstadt verliert man gerne mal in aller Tiefe den Blick fürs Weite.

Wie muss sich die Sendung in ihrem 41. Jahr verändern, um weiterhin erfolgreich zu bleiben?

Das "heute-journal" muss seine Klasse bewahren. Das ist gar nicht so einfach in einer Zeit, in der man glaubt, dass sich alles wahnsinnig schnell verändern muss. Da muss man auch cool bleiben und sagen: Wir wollen nie modisch werden. Wir wollen modern bleiben. Das ist ein großer Unterschied. Derzeit scheint der mediale Trend geradezu asthmatisch zu werden. Es braucht 140, möglichst keine 280 Zeichen, es muss zack zack zack gehen, Umschnitt hier, Umschnitt da, Inhalt egal. Wir wollen dagegen die klassische Form wahren. Das schließt nicht aus, Tempo-Wechsel innerhalb der Sendung zu haben. Gleichzeitig müssen wir die Marke "heute-journal" in den sozialen Netzwerken erkenntlich machen. Da sind wir dran, weil wir nicht nur im Fernsehen präsent sein dürfen. Das ist eine große Aufgabe.

Wie wird der 40. Geburtstag gefeiert?

Wir werden in der Sendung feiern, indem wir einen Einblick geben, wie 1978 alles begann. Spartanisch war das. Das zeigt dann auch, wie jung die Moderne ist.

Also sind Sie froh, dass Sie heute Redaktionsleiter sind und nicht vor 40 Jahren?

Ob früher alles war? Wohl kaum. In der Retrospektive wirken alle Probleme nur kleiner. Aber die Medien hatten es in technisch oft noch sehr dürftigen Zeiten gewiss auch nicht immer leicht.  Deshalb bin ich froh, dass ich unsere Zeit erlebe und journalistisch mitgestalten kann.

Herr Schmiese, vielen Dank für das Gespräch.