Kann man einen Serienhelden lieben, wenn er der personifizierte Loser ist – viel zu naiv, um zu merken, dass alles immer nur noch schlimmer wird, wenn er glaubt, er käme endlich auf einen grünen Zweig? So eine Figur ist nicht nur im deutschen Serienfernsehen eine Rarität, sondern verlangt den Machern auch einiges an Hirnschmalz ab, sofern sie nicht bei groben Abziehbildern landen wollen. An platten, tölpelhaften Comedy-Witzfiguren herrscht weiß Gott kein Mangel. Doch einen Arthur Ahnepol, den gibt's tatsächlich nur einmal.

An diesem Arthur, erdacht von Benjamin Gutsche, gespielt von Jan Josef Liefers, lässt sich exemplarisch erkennen, was brillante Charakterführung heißt. Er ist das Gegenteil von sexy und das Gegenteil von smart und taugt noch nicht einmal zum clever durchkonstruierten Antihero im Walter White'schen Sinne. Was er alles verbockt, wäre mehr als genug, ihn in Grund und Boden auszulachen. Tut man aber nicht, weil man schon längst heimlich mit ihm mitfiebert. Womöglich ist Arthur Ahnepol die purste, die reinste, die unverdorbenste Serienfigur seit langer, langer Zeit und gerade deshalb so liebenswert.

Das titelgebende Gesetz ist sozusagen das Klein Biddenbacher Geschwisterchen von Murphy's Law: Anything that can go wrong will go wrong. Übertragen auf "Arthurs Gesetz" heißt das: Alles, was der 50-jährige Hartz-IV-Empfänger anpackt, um für sich und seine dominante Ehefrau Martha den Lebensstandard zu verbessern, endet unweigerlich im Chaos. Ganz konkret sogar in einer Reihe völlig unbeabsichtigter, aber irgendwie unvermeidlicher Todesfälle. Es gibt im Englischen das schöne Wort "train wreck" für die ungebremste Abwärtsspirale in die Katastrophe. "Arthurs Gesetz" erzählt von einem nicht enden wollenden "train wreck" und sorgt dabei mit seinem tiefschwarzen Humor für diebisches Vergnügen, ohne dass dieses, wie gesagt, auf Kosten der Hauptfigur ginge.

Der pure Arthur funktioniert auch deshalb so gut, weil es neben ihm die von Martina Gedeck gespielte Martha gibt, die ihren Mann Mitleid erregend unbarmherzig unter der Fuchtel hält. Ihrer Idee ist es zu verdanken, dass Arthur am rechten Arm eine Prothese trägt. Um die Berufsunfähigkeitsversicherung kassieren zu können, sollte er sich bei der Arbeit die Hand absägen. Arthur folgte brav, ließ sich dabei nur dummerweise von der Videoüberwachung filmen, so dass der versuchte Versicherungsbetrug aufflog und er seinen Job verlor.

Schon die Einstiegsszene der Serie verrät viel über die asymmetrische Dynamik zwischen Arthur und Martha: Zu seinem 50. Geburtstag hat sie ihm ein Geschenk auf den Frühstückstisch gelegt. "Hab' diesmal extra die Schleife weggelassen, damit du's aufkriegst", erstickt sie alles Liebevolle im Keim. Als er romantisch sein will und sie zum Mittagessen einlädt, folgt die barsche Abfuhr: "Es gibt wichtigere Dinge, die gemacht werden müssen. Das Dach im Schlafzimmer zum Beispiel, die undichten Fenster. Ich hole mir hier noch den Tod. Willst du das?" Auch danach kriegt Arthur es noch hin, sich aufrichtig über das Geschenk, einen kitschigen Bilderrahmen, zu freuen. Bis er anfängt, still zu revoltieren und Mordpläne gegen das Ehemonster zu hegen, wird es noch anderthalb Folgen dauern.

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Man weiß gar nicht, wo man mit dem Lob für die ungequälte Eindringlichkeit solcher Szenen anfangen soll. Definitiv bei den schneidend scharfen Dialogen, die Headautor Benjamin Gutsche und seine Mitautoren Sebastian Bleyl und Ceylan Yildirim ihren Figuren in den Mund legen. Ebenso bei Regisseur Christian Zübert und Kameramann Ngo The Chau, die mit abgedrehten Settings und radikalen Perspektiven ein ganz eigenes Universum der Groteske erschaffen.

Und bei zwei Hauptdarstellern, vor deren Kunst man niederknien möchte. Liefers ist mit jedem noch so kleinen Zucken im Gesicht und mit jedem Hauch von Hoffnung in den Augen 110 Prozent Arthur. Die dicht beieinander liegende Tragik und Komik seiner Figur lotet er mit feinen Nuancen aus, nie mit übertriebenen Gesten. Gedeck wiederum ist als Martha so herrlich manipulativ und vorwurfsvoll, dass es wehtut. Und sie brilliert auch noch als ihr eigenes Opfer, da sie ebenfalls Marthas Zwillingsschwester Muriel, die Polizeichefin von Klein Biddenbach, spielt.

Zwischen lauter so absurden Arten zu sterben wie vom herabfallenden Kronleuchter erschlagen, von aufquellendem Bauschaum im Körperinnern erstickt oder von der allerersten Russisch-Roulette-Kugel getroffen zu werden, vermittelt auch der Rest des Ensembles unbändige Spielfreude. Besonders hervorzuheben sind Nora Tschirner als unbarmherzige Jobcenter-Sachbearbeiterin Claudi Lehmann und Cristina do Rego als Prostituierte Jessie, die auf vergleichbarem Naivitätslevel Arthurs Herz gewinnt.

Gibt es an dem bereits hochgelobten Sechsteiler, der bis dato teuersten Eigenproduktion von Turner Deutschland, irgendetwas auszusetzen? Nun ja, wenn man wirklich nach dem Haar in der urkomischen Suppe sucht, dann findet man ab und an mal eine Szene, die vielleicht etwas mehr Tempo vertragen hätte und so dem ansonsten hervorragenden Sinn für Timing noch besser gerecht geworden wäre. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, denn insgesamt ist das Wagnis aufgegangen, eine Comedy-Serie auf 45-Minuten-Folgen anzulegen. Der Liebe zum Detail an allen Fronten sei Dank.

"Arthurs Gesetz" steht ab sofort für EntertainTV-Kunden der Telekom zum Abruf auf "EntertainTV Serien" bereit. Turner selbst strahlt die sechs Folgen ab Mitte Dezember auf TNT Comedy aus.

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