Wer eine weltweit gefeierte Ausnahmeserie wie "The Night Manager" produziert hat, dürfte so schnell durch nichts mehr zu beeindrucken sein. Sollte man meinen. Doch für Simon Cornwell, Co-CEO von The Ink Factory und Sohn des Bestseller-Autors John le Carré, stellte eine Nacht in Athen während der Dreharbeiten zum Nachfolgeprojekt "The Little Drummer Girl" alles in den Schatten. Zum ersten Mal in der Filmgeschichte hatte die griechische Regierung die Genehmigung für einen Nachtdreh auf der Akropolis erteilt.

"Wir hatten Glück", verriet Cornwell Anfang November beim Scripted Summit in Los Angeles. "Der griechische Finanzminister, der auch für Tourismus zuständig ist, war ein riesiger Fan von 'The Night Manager'. Deshalb hat er uns geholfen und auch den Ministerpräsidenten überredet." Mit großen Schauwerten und enormem Aufwand ist "The Little Drummer Girl" das jüngste Beispiel eines Serienprojekts, das nur dank neuartiger Partnerschaften entstehen konnte.

Ob sich öffentlich-rechtliches Free-TV und kommerzielles Pay-TV zusammentun, um "Babylon Berlin" zu stemmen, oder ob von "Bodyguard" bis "Parfum" immer mehr Serien für lineare Sender und Netflix zugleich produziert werden – die Umwälzungen der TV-Transformation sorgen dafür, dass nun regelmäßig 'Frenemies' gemeinsame Sache machen. Die Wortschöpfung, die Freund und Feind zusammenzieht, ist im Hinblick auf Google, Facebook & Co. schon länger geläufig, ohne deren Reichweiten kaum noch ein Medium auskommt. Auch für TV-Inhalte – erst recht für ambitionierte – gilt mittlerweile, dass Einzelsender zumindest projektweise nicht mehr ohne die Macht jener Plattformen können, die ihnen ansonsten kräftig systemische Konkurrenz machen. Und auch umgekehrt ist die Offenheit für Koproduktionen oder umfassende Presales stark gestiegen.

Simon & Stephen Cornwell (v.l.) beim Scripted Summit© DWDL
Simon Cornwell und sein Halbbruder Stephen, die The Ink Factory mit Sitz in London und Los Angeles betreiben, hatten die Regeln des Seriengeschäfts bereits mit ihrem "Night Manager" umgekrempelt. Als senderunabhängigen Finanzierungs- und Vertriebspartner fanden sie Endeavor Content, die Produktionstochter der größten Hollywood-Agentur. Die öffentlich-rechtliche BBC und das werbefinanzierte AMC waren Koproduzenten des 30-Millionen-Dollar-Projekts, die Streaming-Rechte erwarb Amazon. Auch bei "The Little Drummer Girl", der Verfilmung von Le Carrés einzigem Spionagethriller mit weiblicher Hauptfigur, auf deutsch als "Die Libelle" bekannt, sind Endeavor, BBC und AMC wieder mit an Bord.

Der Sechsteiler um die junge Schauspielerin Charlie (Florence Pugh), die im Nahostkonflikt der späten 70er Jahre als Geliebte in eine palästinensische Terrorgruppe eingeschleust wird, läuft momentan an sechs Sonntagen auf BBC One sowie an drei aufeinanderfolgenden Abenden der Thanksgiving-Woche in Doppelfolgen auf AMC. Amazon-Kunden werden die Serie jedoch vergeblich in ihrem SVoD-Angebot suchen. Den Zuschlag fürs Streaming hat diesmal der US-Pay-TV-Anbieter Starz mit seiner noch jungen OTT-Plattform Starzplay bekommen. In Deutschland, Italien, Irland und Benelux wird "The Little Drummer Girl" dort 2019 exklusiv abrufbar sein. Deutsche Zuschauer können Starzplay für 4,99 Euro monatlich über den Amazon-Dienst Prime Video Channels abonnieren.

"Wenn Netflix und Amazon eine Serie weltweit haben wollen, dann kriegen sie sie meist auch. Die haben tiefe Taschen", sagt Jeff Cooke, der als Programmchef für die internationalen Digitalplattformen von Starz verantwortlich ist. "Wir sind uns nicht zu schade und können außerdem einen echten Mehrwert schaffen, indem wir uns auch um Rosinen für einzelne Territorien bemühen." Neben dem ambitionierten Le-Carré-Stoff gilt Cookes Credo auch für eine Top-Serie made in Germany: "Das Boot", das in Hollywood derzeit mindestens so oft Erwähnung findet wie "Dark", wird in Frankreich – wo Auftraggeber Sky nicht sendet – bei Starzplay laufen. "Die Neuauflage des Klassikers wurde zu einem großen Teil in Frankreich mit deutschen, französischen und britischen Schauspielern gedreht", so Cooke. "Das ist genau, was wir wollen: regionales europäisches Produkt."

"Wir geben kein Projekt einfach an den erstbesten Sender oder die erstbeste Plattform"

Lorenzo De Maio, Partner bei Endeavor Content

Starzplay soll zur Hälfte von solchen Zukäufen, zur anderen Hälfte von eigenen Starz-Serien wie "Outlander", "Power" oder "Counterpart" leben – und ist damit ein gutes Beispiel für beherzte nonlineare Expansion eines lange Zeit rein linearen TV-Senders. Im Heimatmarkt USA zählt Starz, eine 100-Prozent-Tochter des Lionsgate-Studios, bereits über drei Millionen digitale OTT-Abonnenten und hat damit etwa CBS All Access oder Showtime OTT überholt. Das Abo kostet via Stand-alone-App 9 Dollar monatlich oder lässt sich über die Plattformpartner Amazon, YouTube TV und Hulu abschließen. Solche Aggregatoren werden bei steigender Zahl von SVoD-Angeboten immer wichtiger, damit der Konsument nicht lauter Einzelzugänge benötigt. Entsprechend bildet sich auch hier eine zunehmende Kooperation unter 'Frenemies' heraus, denn zugleich konkurriert natürlich jeder Anbieter mit den Eigenproduktionen von Amazon, Hulu oder YouTube um Aufmerksamkeit und Screentime der Nutzer.

Für die künftige Finanzierung und Entwicklung hochwertiger Programme bedeutet das schlicht und egreifend, dass es keine Patentlösung mehr gibt. "Es existieren inzwischen so viele verschiedene Möglichkeiten, dass man genau überlegen muss, welcher Weg für welches Projekt unter kreativen sowie unter finanziellen Gesichtspunkten der richtige ist", findet Lorenzo De Maio, der als Partner bei Endeavor Content für Finanzierung und Vertrieb von Serien wie "The Little Drummer Girl" zuständig ist. "Mal kann es ein globaler Buyout mit Netflix sein, mal eine Koproduktion mit diversen Partnern. Jedenfalls geben wir kein Projekt einfach an den erstbesten Sender oder die erstbeste Plattform."

The First© Hulu
Aktuelle Beispiele aus seinem Haus gibt es für beide Modelle: Die gerade in Paris im Dreh befindliche Musical-Serie "The Eddy" von Oscar-Preisträger Damien Chazelle ("La La Land") wird allein von Netflix finanziert. Für "The First", die neue Serie von Ex-"House of Cards"-Showrunner Beau Willimon, dagegen brachte Endeavor den britischen Free-TV-Sender Channel 4 mit der US-Streaming-Plattform Hulu zusammen. Das Science-Fiction-Drama mit Sean Penn und Natascha McElhone, das von einem Astronautenteam und dessen Vorbereitung auf die erste bemannte Marsmission erzählt, läuft in Großbritannien seit Anfang November. "Wir haben einfach die Geschichte erzählt, die wir erzählen wollten", so Willimon, "und dann im Schnitt geschaut, wo die [für Channel 4 nötigen] Werbepausen am besten hinpassen. Aber wir haben nicht auf eine Vier- oder Fünf-Akt-Struktur mit Cliffhangern vor jeder Werbepause hingeschrieben."

"Vielleicht ein Modell für die Zukunft"

ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner über Koproduktionen mit Netflix

Wenn unterschiedliche Systeme bei Koproduktionen aufeinanderprallen, muss das den kreativen Prozess also nicht stören. Vor allem die britischen Sender BBC und Channel 4 zeigen sich schon länger offen gegenüber den US-Streamern und koproduzieren mit ihnen jedes Jahr eine Reihe von Serien. Zuletzt wurden etwa ein "Dracula"-Dreiteiler von den "Sherlock"-Machern für BBC und Netflix oder die Kriegssatire "Catch-22" von und mit George Clooney für Channel 4, Hulu und Sky Italia angekündigt. Im deutschen TV-Markt könnte die herausragende Serie "Parfum", die Constantin Film für ZDFneo und Netflix produziert hat, eine Art Durchbruch für Sender-Streamer-Kooperationen darstellen.

"Wir haben etwas auf den Tisch gebracht, womit alle Beteiligten sehr viel anfangen konnten", erklärt Produzentin Sarah Kirkegaard, wie sie die Bedürfnisse von ZDF und Netflix gleichermaßen bedient hat. "Vielleicht ein Modell für die Zukunft", frohlockt ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner mit Blick auf "Freud", ihre Serien-Koproduktion mit Netflix, die Anfang 2019 in Wien gedreht wird. Wohl auch deshalb, weil die SVoD-Plattform laut Zechner zwei Drittel des Budgets übernimmt, künstlerische Hoheit und Recht auf Erstausstrahlung jedoch beim ORF bleiben, wie sie im Oktober auf den Medientagen München verriet.