"Frosties oder Sugar Puffs?", lautete die erste Frage an Netflix-Programmchef Ted Sarandos. Charlie Brooker und Annabel Jones, die Creator und Showrunner der Kultserie "Black Mirror", griffen auf das bewährte Entweder-Oder-Prinzip ihres interaktiven Films "Bandersnatch" zurück, um ihrem Auftraggeber möglichst interessante Aussagen zu entlocken. Nachdem Sarandos sich für die zuckrigen Weizen-Honigflocken entschieden hatte, fiel seine Wahl bei der Frage "Technologie oder Entertainment?" ohne Zögern auf letzteres. "Ich werde ständig gefragt, was auf Netflix am besten funktioniert", so Sarandos, "und die Antwort ist immer dieselbe: gute Geschichten, gut erzählt."

Etwas längere Ausführungen zog dagegen die Frage "Tradition oder Disruption?" nach sich. Er sei angesichts der negativen Konnotationen kein Fan des Labels Disruption, erklärte der SVoD-Manager. "Es wird mir zwar oft angehängt, aber wir agieren nicht nach dem Motto 'Dinge in Brand stecken und zusehen, was passiert'. Wir respektieren hundert Jahre alte Filmstudios, deren Arbeit nach wie vor funktioniert. Was wir versuchen, ist Storytelling auszubauen und zu verbessern. Es war nie unsere Absicht, Hollywood in alle Welt zu exportieren, sondern vielmehr, großartige Geschichten aus aller Welt zu finden und sie in den Rest der Welt zu bringen." Im TV-Geschäft gebe es eine Reihe gängiger Meinungen darüber, was international funktioniere und was nicht. "In nahezu jedem Fall erweisen sie sich als unwahr", so Sarandos.

Auch wenn Sarandos von seinen Showrunnern keine allzu kritischen Fragen befürchten musste, wurde die Rolle der Streaming-Plattformen beim Series Mania Forum, der Fachkonferenz im Rahmen von Europas größtem Serienfestival, dennoch kontrovers diskutiert. In Frankreich, wo Netflix nach eigenen Angaben fünf Millionen Abonnenten hat und derzeit 15 Serien entwickelt, stößt der US-Anbieter auf eine spezielle Situation: Im Gegensatz zu anderen Ländern muss er hier aufgrund eines Abkommens mit der mächtigen Autorenvereinigung SACD präzise Abrufzahlen für alle französischen Produktionen melden. Diese werden vertraulich von der SACD verarbeitet und sind erforderlich, weil Frankreichs Drehbuchautoren einen Teil ihrer Vergütung abhängig von der erzielten Reichweite erhalten. Insgesamt changiert die Haltung der 'grande nation' noch heftiger als anderswo zwischen Freund und Feind.

"Unsere wertvollsten Inhalte schützen wir konsequent vor Netflix", berichtete etwa Nicolas de Tavernost, Chef der zur RTL Group gehörenden Sendergruppe M6, und brüstete sich mit dem Erfolg seines jüngsten "Asterix"-Kinofilms. "Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks", produziert von M6 Studio und in Deutschland seit Mitte März im Kino, sei mit über vier Millionen Zuschauern in Frankreich der meistgesehene Animationsfilm des Jahrzehnts und in 97 Länder verkauft worden – "ganz ohne Netflix". Erstmals gemeinsame Sache mit Netflix macht hingegen Gilles Pélisson, CEO des privaten TV-Marktführers TF1. In Lille stellten die Partner ihre gemeinsame Serie "Le Bazar de la Charité" vor, einen historischen Achtteiler über die Folgen eines Pariser Großbrands von 1897, der über hundert Damen der höheren Gesellschaft tötete.

Die Koproduktion von TF1 Studio und Quad Télévision wird momentan mit 3.000 Statisten, 1.500 historischen Kostümen und hundert Kutschen gedreht. Netflix ist als Ko-Finanzier eingestiegen und wird die Serie im Herbst veröffentlichen – weltweit einen Tag nach Ausstrahlung der letzten Folge bei TF1, in Frankreich acht Tage danach. Laut Sarandos eine "weitere Gelegenheit, ambitioniertem französischem High-End-Drama globale Reichweite zu geben". TF1-Chef Pélisson bezeichnete Netflix als "willkommenen Partner", da es sich bei "Bazar de la Charité" um eine äußerst aufwändige und für seinen Sender inhaltlich ungewöhnliche Produktion handele.

Gilles Pélisson© Series Mania

"Willkommener Partner": Gilles Pélisson, CEO der TF1 Group, kooperiert mit Netflix

Was die "Black Mirror"-Macher in Lille als ausdrückliches Lob für Netflix verstanden wissen wollten ("Es fühlt sich an, als sei Netflix unmittelbarer Teil unseres Produktionsteams"), wird von etlichen unabhängigen Produzenten eher als mittelfristige Bedrohung gesehen. Mit den bald startenden Streaming-Plattformen von Disney und WarnerMedia verdichtet sich ein Szenario, in dem vertikal integrierte US-Konzerne zunehmend inhouse produzieren, direkte Talent-Deals schließen und keine unabhängigen Produktionsfirmen mehr benötigen. Eine denkbare Alternative für Indie-Produzenten, die beim Series Mania Forum erörtert wurde, wären verstärkte Koproduktionen mit anderen Indies, um gemeinsame Finanzierungen aufzubringen und somit auch gemeinsame Rechte zu halten. "Wir brauchen neue Produktionsmodelle", sagte Caroline Benjo, Chefin der Pariser Produktionsfirma Haut et Court TV ("Les Revenants", "The Young Pope"). "Deshalb denken wir aktiv über Möglichkeiten der horizontalen Konzentration zwischen Indies aus verschiedenen Ländern nach."

"Können wir internationale Produzenten werden, ohne unsere lokale Identität aufzugeben?"

Jan Mojto, CEO, Beta Film

 

"Die mentale und auch wirtschaftliche Herausforderung heißt: Können wir internationale Produzenten werden, ohne unsere lokale Identität aufzugeben?", sekundierte Beta-Film-Chef Jan Mojto, der seine Unternehmensstruktur mit Beteiligungen an rund 20 Produktionsfirmen als entsprechende Zukunftsstrategie vorstellte. "Die großen Plattformen werden ihr Programm spätestens in ein paar Jahren deutlich selektiver als heute einkaufen und es werden sich 'trusted partnerships' herausbilden", erläuterte Lorenzo De Maio, Leiter der TV-Beratung bei Endeavor Content. "Wenn aber gleichzeitig Disney, Warner & Co. ihre Inhalte von anderen Plattformen abziehen, entstehen dadurch Lücken. Und diese Lücken sind immer auch Chancen für unabhängige Produzenten."