Als Premium-Abonnent von Sky Deutschland halte ich regelmäßig eine der erfolgreichsten Programmzeitschriften Deutschlands in meinen Händen: „TV Digital“. Wenige Leserinnen und Leser dieser Zeitschrift werden die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte kennen. Es ist Zeit, sie einmal festzuhalten, eine Erzählung aus besonders bewegten Zeiten der deutschen Mediengeschichte und auch, soviel Selbstbewusstsein sei erlaubt, ein gutes Beispiel für unternehmerische Kreativität in einer scheinbar ausweglosen Situation.

Die Urgroßmutter von „TV Digital“ war die Programmzeitschrift von Premiere, dem lange einzigen Pay-TV-Unternehmen in Deutschland. Anfang 2002 hatte Premiere rund 2,6 Millionen Abonnenten. Sie alle bekamen eine Programmzeitschrift, die auch Premiere als Titel trug, einmal pro Monat kostenlos nach Hause geschickt. Das Magazin stellte allerdings ausschließlich die Programmangebote der verschlüsselten Abonnementsender dar. Wer sich für die Programme des frei empfangbaren Fernsehens interessierte, musste noch eine der üblichen Programmzeitschriften dazu kaufen.

Jetzt muss ich etwas ausholen, damit Sie das Dilemma der damaligen Situation verstehen. Im Februar 2002 übernahm ich die Geschäftsführung von Premiere. Leo Kirch hatte mich wenige Wochen vorher angerufen, kurz und ernst. „Georg, Du musst Premiere machen. Überleg Dir das und sag mir morgen Bescheid.“ Premiere galt damals in der Medienbranche als aussichtsloser Fall. Sargnagel der Kirch Gruppe, so raunten die Experten. Banken und Investoren waren nicht mehr bereit, auch nur einen Cent auf die Zukunft von Premiere zu wetten. 800 Millionen Euro Einnahmen, 1,8 Milliarden Euro laufende Ausgaben, eine runde Milliarde Cash im Jahr operativ verbrannt, inklusive Abschreibungen und Zinsen stand in der Bilanz 2001 ein Nettoergebnis von minus 1,6 Milliarden Euro.

Also nicht gerade eine Firma, wo sich die Leute um neue Jobs reißen, schon gar nicht um den Schleudersitz eines Geschäftsführers. Ich überlegte natürlich auch: soll ich es machen oder nicht? Die innere Stimme meldete sich und argumentierte unwiderstehlich: wenn Du es nicht machst, bist Du ein Feigling. Du wirst immer daran denken, dass Du Dich nicht getraut hast, eine Herausforderung im höchsten Schwierigkeitsgrad anzunehmen. Warum willst Du es nicht all diesen Zweiflern und Skeptikern und Besserwissern zeigen? Also rief ich am nächsten Tag Leo Kirch an und sagte zu, ohne auch nur einen Blick in die Bücher von Premiere geworfen zu haben.

Ein detaillierter Blick in die Bilanzen hätte mir zu diesem Zeitpunkt auch nicht viel gebracht, denn meine Grundidee für die Sanierung von Premiere war radikal einfach: die Kosten halbieren, den Umsatz auf ein Milliarde erhöhen, dann mit einem Private Equity Partner die Firma kaufen und neu aufgestellt an die Börse bringen. Klingt ja abenteuerlich, sagten die Vertreter der kreditgebenden Banken, bei denen Premiere mit gut 800 Millionen Euro in der Kreide stand. Sie gaben damit das repräsentative Meinungsbild wieder, das meine Bemühungen in den ersten Wochen an der Spitze von Premiere begleitete. Dann beschleunigte sich das Absturzrisiko: im April 2002 meldete Kirch Media die bis heute spektakulärste Insolvenz der deutschen Medienindustrie an.

Kirch Media war Hauptgesellschafter und wichtigster Programmlieferant von Premiere. Damit war die Zeit für radikale Schritte schneller gekommen als von allen Beteiligten vorhersehbar. Einen Monat nach Kirch Media meldete ich, strategisch genau geplant, für einige Gesellschaften rund um Premiere Insolvenz an. Damit bekamen wir einen Insolvenzverwalter als Gesellschafter und konnten die operative Premiere Gesellschaft selbst ohne Insolvenz fortführen. So konnten wir die 2,6 Millionen Abo-Verträge und exklusiven Programmrechte erhalten. Unser klares Ziel war, Premiere als eigenständiges Unternehmen außerhalb der Kirch Media zu positionieren. Ich wollte auf keinen Fall in das Gesamtschlamassel bei Kirch Media hineingezogen werden.

Unter großem Zeitdruck analysierten wir im Team der Geschäftsführung die Kostenpositionen des Gesamtunternehmens Premiere und überlegten, wie deren Halbierung oder gar Eliminierung möglich sei. Bei den Verhandlungen mit allen Geschäftspartnern war die Insolvenzsituation ausgesprochen hilfreich: ich konnte glaubwürdig argumentieren, dass uns nur die Wahl blieb, die Hälfte des bisherigen Preises zu bezahlen oder eben gar nichts, sprich Insolvenz von Premiere. Die Präsenz des Insolvenzverwalters in der Nähe meines Büros verlieh meinen Argumenten zusätzlichen Druck. 50 Prozent oder Null, so begann jede Verhandlung. Schnell stellte sich heraus, dass jene monatliche Premiere-Zeitschrift ein äußerst kostspieliges Unterfangen war: 36 Millionen Euro pro Jahr.

Es gab eine eigene Redaktion inklusive Chefredakteurin. Ich fragte, ob die laufenden Betriebskosten substantiell gesenkt werden könnten. Keine Chance, lautet die Antwort, wir pfeifen ohnehin schon aus dem letzten Loch. Mir wurde klar, dass hier mit einer Optimierung des Bestehenden nichts zu gewinnen war. Wir brauchten ein neues Konzept, ein anderes Produkt, eine völlig neue Organisation. Leichter gesagt als getan. Ich flog nach Wien, um Wolfgang Fellner zu treffen. Für mich damals der kreativste Zeitschriftenverleger im deutschsprachigen Raum. Er hatte gerade einen Riesenerfolg mit der Wochenzeitschrift „News“ gelandet und auch eine neue, moderne Programmzeitschrift mit dem Titel „Media“ lanciert. Er riet mir beim Dinner, dass wir die Premiere Zeitschrift nicht mehr im bisherigen DIN A4 Format produzieren sollten, sondern im kleineren DIN A5, dem sogenannten Pocket-Format. Das war gerade sehr modern, zahlreiche Frauenzeitschriften wie etwa „Elle“ oder „Cosmopolitan“ erschienen im Pocket-Format.

Wunderbar, dachte ich, da sparen wir schon mal kräftig bei Papier und Porto, flog nach München zurück, ging schnurstracks ins Büro der Chefredakteurin und eröffnete ihr, dass wir das Premiere-Magazin künftig im Pocket-Format produzieren würden. Gesagt, getan. Wenige Wochen später erschien die erste Ausgabe des Premiere Magazins im DIN A5 Format, deutlich handlicher, auch irgendwie charmanter und zeitgeistiger, wie ich fand. Die von einigen Bedenkenträgern befürchteten Proteste der Abonnenten blieben weitgehend aus und nach einigen Ausgaben hatten sich alle an das neue Format gewöhnt. Wir hatten so aufs Jahr jedoch nur 10 Millionen Euro eingespart. Verflixt, das reiche einfach nicht, sagte ich bei unserer wöchentlichen Sitzung, in der wir den Status der zahlreichen Restrukturierungsprojekte durchgingen.

Es war klar, dass wir damit die Halbierung der Kosten nicht erreichen konnten. Diese Halbierung war aber wichtige Grundlage für unsere Verhandlung mit den Banken, damit sie uns einen Sanierungskredit, einen sogenannten Bridge Loan, in Höhe von 100 Millionen Euro gewährten. Außerdem hatte sich in der Zwischenzeit herausgestellt, dass wir die Zahlungen für die Bundesliga und Champions League nicht ganz um 50 Prozent reduzieren konnten und auch nicht die Beträge für die Formel 1, wo Bernie Ecclestone ein besonders hartleibiger Verhandler war. „Dear Georg, please don’t ask me to be fair“, hatte er mir kürzlich auf den Weg gegeben.

Wir mussten also bei anderen Kostenpositionen radikaler vorgehen. Das Premiere-Magazin war eine davon. Wir überlegten, ob eine Kooperation mit einer der zahlreichen, schon im Markt etablierten Programmzeitschriften sinnvoll sein könnte. Zwangsläufig tauchte die Frage auf, wieviel Premiere-Kunden wohl zusätzlich eine dieser Programmzeitschriften abonniert hatten. Im Zuge dieser Diskussionen elektrisierte mich eine Idee, die mich nicht mehr losließ: wie wäre es, wenn Premiere selbst eine neue Programmzeitschrift auf den Markt brächte, eine Programmzeitschrift der neuen Generation, die sowohl das Pay-TV als auch das Free-TV vollumfänglich darstellen würde? Also die erste Programmzeitschrift für das Zeitalter des digitalen Fernsehens. Die Idee war geboren. Hätte ich nur geahnt, welchen Ärger wir damit auslösen würden.

Am Mittwoch schreibt Georg Kofler im zweiten Teil seiner Kolumne über das Experiment "TV Komplett" und die Reaktion der Wettbewerber.