Frau Potthoff, wäre eine Serie wie "Skylines", in der Sie die Geschäftsführerin eines Frankfurter Hip-Hop-Labels spielen, auch im linearen Fernsehen denkbar?

Man kann bei den Streaming-Diensten schon ein bisschen freier und mutiger erzählen. Deshalb finde ich es toll, dass es sie gibt. Da steckt nicht so sehr die massive Quotenangst im Kopf der Verantwortlichen. Wenn man eine Serie in der Hip-Hop-Szene machen will, dann muss die Sprache etwas freier sein, dann muss die Mode etwas anders aussehen, dann muss auch Gewalt ein bisschen roher erzählt werden. Das würden sich die meisten TV-Sender nicht trauen. Im deutschen Fernsehen herrscht noch große Angst, dass man durch sowas die Zuschauer über 60 verlieren könnte.

Angesichts dessen muss man die ziemlich impulsive Kommissarin Sarah Kohr aus Ihrer gleichnamigen ZDF-Reihe wohl für eine mutig erzählte TV-Figur halten. Sie wird sogar öfter mal im Krav-Maga-Nahkampf handgreiflich.

Ja, ich finde, sie ist eine mutige Figur, weil sie mit der üblichen Verabredung darüber bricht, was deutsche Fernsehfilm-Figuren zu erfüllen haben. Gerade im klassischen Ermittlungskrimi reagiert eine Frauenfigur sonst eher besonnen oder löst den Fall mit Intelligenz und Einfühlungsvermögen, weil eine Frau eben nicht so aufbrausend sein darf wie der wilde Kollege in Lederjacke neben ihr. Sie muss immer eine gewisse Weiblichkeit an den Tag legen, damit der männliche Zuschauer sie irgendwie süß finden kann. Ich weiß, ich formuliere hier gerade viele Klischees, aber die werden immer noch erschreckend oft im deutschen Fernsehen bedient. Da wird noch viel ins Unterbewusstsein der Leute transportiert.

Was tun Sie denn, wenn eines Ihrer Projekte betroffen ist?

Ich habe vor einiger Zeit ein Drehbuch bekommen, in dem meine Figur in einer Szene auf der Fahrerseite in ihr Auto steigen sollte, während die männliche Co-Hauptfigur gleichzeitig auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. Der Dialog begann damit, dass sich meine Figur dafür entschuldigen sollte, dass sie selbst fahren möchte, weil sie ungern Beifahrerin sei. Meine Reaktion war: Geht's noch? Ich entschuldige mich doch im Jahr 2019 nicht dafür, dass ich mein eigenes Auto lenke! Bloß weil es die Frauenfigur ist, denken manche, es müsse irgendwie dialogisch erklärt werden, warum sie fährt. Ich bin der Meinung, das muss man gar nicht kommentieren. Im Endeffekt haben wir den Dialog gestrichen. Wir sind heute an einem Punkt, an dem man wirklich darauf achten sollte, Frauen mal anders zu erzählen und sie nicht mehr so zu beschränken.

Sie gehen aktiv voran und machen auch Ihre Stunts selbst.

Sarah Kohr – Das verschwundene Mädchen© ZDF/M. v.d. Mehden
Alles, was die Rolle kämpferisch verlangt, mache ich tatsächlich selbst. Warum auch nicht? Ich traue mir das zu, und der Stunt-Koordinator traut es mir auch zu. Das Schöne daran ist, dass man eine Szene ganz anders filmisch auflösen kann, wenn man nicht ständig zwischen Stuntfrau und Schauspielerin schneiden muss. Mir persönlich hilft es, durch das entsprechende Training noch tiefer in der Rolle drin zu sein. Wenn ich beim Dreh im Tanktop durch Hamburg laufe, dann sehen meine Arme auch wirklich so aus, als könnte ich gleich zuschlagen. (lacht)

Mit "Sarah Kohr", der Susi in den Eberhofer-Krimis oder der Vicky in "Bier Royal" sind Sie es gewohnt, Haupt- oder gar Titelrollen zu spielen. Warum jetzt eine Nebenrolle in der Netflix-Serie "Skylines"?

Die Figur der Celine ist ein klassischer 'supporting character', wie die Amerikaner es nennen würden – eine kleine, feine Nebenrolle. 'Supporting' passt in diesem Fall besonders gut, weil die Figur zwar wenig eigenes Futter hat, aber für den Handlungsverlauf wichtig ist. Um sie herum kochen die Gemüter ziemlich hoch. Celine steht derweil für die Vernunft. Als Frau der Zahlen versucht sie, an die Besonnenheit aller Beteiligten zu appellieren. Was den Umgang mit einer solchen handlungsdienenden Rolle angeht, nehme ich mir gern den Respekt und die Professionalität amerikanischer Kollegen zum Vorbild. Natürlich war ich auch neugierig, wie es so ist, für Netflix zu drehen.

Und wie ist es so?

Man steht auch da am Drehort und versucht, das Beste aus seiner Figur herauszuholen. Es wird auch da irgendwann dunkel und alle werden nervös. Wir haben im Januar gedreht, da dämmert es nun mal ab 15 Uhr. Nicht so praktisch, wenn das Set im 16. Stock eines vollverglasten Frankfurter Büros ist. (lacht) Ich glaube, die Probleme sind überall die gleichen. In kurzer Zeit muss möglichst viel Strecke gemacht werden. Das ist bei Netflix nicht anders als bei deutschen Sendern. 

Also gar kein Unterschied?

Doch. Mir ist aufgefallen, dass Dennis Schanz, der Creator und Showrunner, öfter mal am Set war und sich künstlerisch eingebracht hat, so wie es auch in den USA üblich ist. Das fand ich sehr spannend. Das berührt ja einen Punkt, den deutsche Drehbuchautoren oft kritisieren: Sie schreiben ein Buch, geben es ab, und dann machen Regie, Produktion und Redaktion daraus, was sie wollen. Dass Dennis Schanz nah an uns dran war, habe ich als positiv empfunden. Schließlich war er es ja, der Jahre an dieser Idee saß und die Figuren entwickelt hat. Also kann er auch besser als jeder andere Input vor Ort geben, der einem inhaltlich weiterhilft.

Wie nah oder fern war Ihnen denn die Hip-Hop-Szene, in der die Serie spielt?

Skylines© Netflix/Nik Konietzny
Ganz ehrlich: Ich war schockiert, wie wenig Ahnung ich davon hatte. Es gibt eine Szene, in der wir eine Label-Party feiern. Da bin ich als Geschäftsführerin im Gespräch mit zwei Künstlern. Bei der Besprechung der Szene habe ich den Regisseur gefragt, ob ich davon ausgehen kann, dass die beiden bei mir unter Vertrag stehen. Da guckten die mich ganz entgeistert an und meinten: Erkennst du uns etwa nicht? Um mich herum standen echte, mega-angesagte Rapper mit Millionen Followern, von denen ich im Leben noch nichts gehört hatte. Das war der Moment, wo ich mich kurzzeitig sehr alt gefühlt habe. (lacht)

Warum haben Sie sich nicht einfach bei Ihrem Mann, dem Doku-Produzenten Torsten Berg, erkundigt? Der hat immerhin 2018 die viel beachtete WDR-Doku "Die dunkle Seite des deutschen Rap" produziert.

Sagen wir mal so: Wir hatten ein paar lebhafte Diskussionen zum Thema. All die Rapper, die ich nicht kannte, waren ihm natürlich ein Begriff. Ich war froh, dass ich nicht in Gewissenskonflikte geraten bin, weil meines Wissens nach kein Künstler an der Serie mitgewirkt hat, von dem ich mich innerlich hätte distanzieren müssen.

Sind Sie jetzt auf den Geschmack gekommen, was weitere Serien angeht?

Ja, ich finde den Gedanken, eine horizontal erzählte Serie zu machen, äußerst spannend. Bei Filmreihen wie "Sarah Kohr" oder den Eberhofer-Krimis kann ich zwar meine Figur auch weiterentwickeln, aber es liegt immer sehr viel Zeit zwischen den einzelnen Filmen, meist ein Jahr. Da kann man nicht wirklich nahtlos seriell erzählen. Dieses Jahr haben wir zwei "Sarah Kohr"-Filme im Abstand von sechs Wochen gedreht – da habe ich schon einen Riesenunterschied bemerkt. Hinzu kommt, dass großartige Projekte wie "Dark", "Braunschlag", "4 Blocks" oder "Bad Banks" die professionelle Wahrnehmung von Serien hierzulande um Lichtjahre nach vorn gebracht haben.

Frau Potthoff, herzlichen Dank für das Gespräch.