Rüdiger Böss© ProSiebenSat.1
Die Erwartungen waren hoch und sie wurden erfüllt: "Das Highlight war ganz klar 'Young Sheldon', das Spin-off von 'The Big Bang Theory'. Da hat Warner wirklich einen Volltreffer gelandet." Rüdiger Böss, EVP Group Programming Acquisitions der ProSiebenSat.1 Media SE, ist glücklich. Warum? "Gelungener Cast, herrliche Bücher mit Witz, aber auch viel Herz. Aus meiner Sicht ideal für die Prime Time auf ProSieben." Mit seinem positiven Urteil über die Serie ist Böss, der im Rahmen eines Volumendeals mit Warner auch die deutschsprachigen Rechte an der Serie besitzt, nicht allein.

Nach der Sichtung von mehr als 40 Pilot-Episoden neuer Fernsehserien sind die deutschen Besucher der LA Screenings in den vergangenen Tagen mit viereckigen Augen aus Kalifornien zurückgeflogen - und geben wie gewohnt zuerst bei DWDL.de ihr Urteil zu den Screenings ab. Auch in diesem Jahr haben wir mehr als ein dutzend Einkäufer und Fachbesucher, darunter auch mitgereiste Produzenten, befragt. Einige wollen mit ihrem Urteil anonym bleiben. Wie schon in den Vorjahren geht es um die Lieblingsserien der deutschen Besucher, die Performance der Hollywoodstudios und beobachtete Trends. Und "Young Sheldon" ist eine der beiden Top-Serien der deutschen Screening-Besucher.

Young Sheldon© Warner/CBS

Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "Young Sheldon" (Warner für CBS) 

Norbert Himmler© obs/ZDF
"Mein Favorit", sagt etwa auch ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler. "Die Vorgeschichte von Sheldon Cooper sehr anrührend erzählt. Humor mit Tiefgang." Genau das hat nach DWDL.de-Informationen wiederum manchen Besucher zunächst zögern lassen. Es hebt sich - auch durch die Produktion als Single-Camera-Comedy - deutlich vom klassischen Sitcom-Look ab. Die Mehrheit der befragten Messebesucher sagt aber: Gerade das ist wohltuend. Mehr Interesse im Comedy-Segment weckte nur das Comeback von "Will & Grace" - allerdings gab es hier noch nicht viel zu sehen. Den ersten Platz in der Einkäufer-Umfrage teilt sich "Young Sheldon" übrigens mit der von CBS Studios produzierten Krimiserie "Instinct".

Hier spielt Alan Cummings an der Seite von Bojana Novakovic einen in Theorien verliebten Professor und ehemaliger CIA-Agenten, dessen schrullige Rolle Cummings perfekt auf den Leib geschrieben scheint. "Ein klassisches Crime-Procedural mit frischer Note. Da stimmt die Chemie im Ermittlerteam und der Dialogwitz ist gut. Dennoch traut sich CBS das erst in der Midseason, was schade ist", meint ZDF-Programmdirektor Himmler. Die Serie wirkte im Wettbewerb von Task Forces, Militär-Kommandos und mancher sehr schrägen Krimi-Variation tatsächlich vergleichsweise konventionell, aber hervorragend gespielt und geschrieben. "Das könnte auch in Deutschland bei einem größeren Publikum funktionieren. Was man nicht oft sagen kann bei den Screenings", merkt ein deutscher TV-Produzent an.

Instinct© CBS

Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "Instinct" (CBS Studios für CBS) 

Julian Krietsch© RTL II
Bei vielen der Fachbesucher schlagen zu dieser Jahreszeit ohnehin wieder zwei Herzen in der Brust: Privater Serienkonsum und die Eignung beim Massenpublikum gehen mitunter auseinander. "Das Free-TV insgesamt ist dabei, seine Position im Markt neu zu bestimmen und aus der Defensive herauszukommen. Momentan gelten meist die Streaming-Portale als die ersten Adressen für herausragende neue Serien. Dabei wird aber oft vergessen, dass sich nicht alles in sehr spezialisierten Nischen abspielen kann. Free-TV muss Geschichten finden, die breite Zielgruppen ansprechen, hohe Reichweiten erzielen, und trotzdem mutig und überraschend sind. Das ist eine Herausforderung", räumt Julian Krietsch (Bereichsleiter Programmplanung RTL II) ein.

Immerhin: "Die Majors haben dem internationalem Markt zugehört und sind wieder dabei, mehr Procedurals zu produzieren. Die Studios haben erkannt, dass das Überangebot an Serien mehr und mehr zu Nischenprodukten führt, so dass es dieses Jahr schon weniger Piloten als in den Jahren zuvor gab. In diese Richtung müssen wir weiterdenken: mehr Qualität und weniger Masse" stellt Rüdiger Böss, EVP Group Programming Acquisition der ProSiebenSat.1 SE, zufrieden fest. Procedurals sind Serien mit abgeschlossenen Handlungen pro Folge, die in den vergangenen Jahren durch den Trend zur horizontal erzählten Serie in den Hintergrund gedrängt wurden. Auch ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler nimmt dies als Erkenntnis aus Los Angeles mit.

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Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "Deception" (Warner für ABC) 

Jörg Graf© RTL
Und dennoch ist die Laune der deutschen Besucher der LA Screenings nicht ganz so positiv wie beispielsweise im vergangenen Jahr. Marcus Ammon, Senior Vice President Film bei Sky Deutschland, bringt es knackig auf den Punkt: "Keine Ausfälle, Erwartungen wurden erfüllt, Überraschungen blieben aus." Dem pflichtet auch Jörg Graf, COO Program Affairs der Mediengruppe RTL Deutschland bei. "Ich würde 2017 als eher durchschnittlichen Jahrgang bezeichnen. Wirkliche Überraschungen oder Aushängeschilder gab es meiner Meinung nach nicht. Interessanterweise, hatten wir in diesem Jahr auch deutlich mehr Termine zu Non-Scripted-Formaten als in den Jahren zuvor." Und Graf ergänzt: "Ich denke, momentan ist die Übereinstimmung von US Markt und Europa bei Non-Scripted Shows größer als bei den Serien."

Glücklich ist der RTL-Einkäufer hingegen mit dem Angebot von Sony Pictures Television, einem von zwei Hollywoodstudios mit denen die Mediengruppe RTL Deutschland noch einen Volumen-Deal haben. "Wir waren sehr positiv angetan von Sony, die mit 'The Good Doctor', 'S.W.A.T.' und 'Absentia' ganz unterschiedliche, solide und spannende Serien im Programm hatten. Für einen größeren Sender sind aber auch diese Serien nicht ganz einfach in der Prime Time zu programmieren." Doch nicht nur RTL ist angetan von dem, was Sony Pictures Television zu präsentieren hatte. "Sony hat zwar mengenmäßig nicht viel anzubieten, aber gleich drei auffällige Dramen", bemerkt z.B. ZDF-Programmdirektor Himmler.

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Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "The Good Doctor" (Sony für ABC) 

Sony Pictures Television© Sony Pictures
Besonders "The Good Doctor" hat es den deutschen Messebesuchern angetan. Hier sehen gleich mehrere das Potential für ein neues "House". Besonders überzeugt hat Freddie Highmore in der Hauptrolle. Gefragt nach den überzeugendsten Hollywoodstudios der diesjährigen Screenings gewinnt daher auch Sony Pictures Television in diesem Jahr das Votum in der DWDL.de-Umfrage mit deutlichem Abstand vor Warner Bros., die sich Platz 2 sichern können. Im vergangenen Jahr teilten sich Sony und Fox den Sieg im Studio-Ranking der deutschen Einkäufer. 2015 waren es ABC und Warner Bros. Trost für Warner: Mit "Deception" (für ABC) hat man als einziges Studio noch eine zweite Serie in der Top6-Serien der deutschen Einkäufer: Ein Illusionist soll der Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen helfen - und tut das sehr unterhaltsam mit Wow-Effekt und Humor.

Zwei Serien fehlen noch, um die sechs mit Abstand meistgenannten Lieblingsserien der deutschen Einkäufer komplett zu haben. Da wäre zum einen "Snowfall" von Fox für Kabelsender FX. Das Period-Drama von John Singleton über den Handel mit Crack in den 80ern startet in den USA schon im Juli und hat einige Fans bei deutschen Einkäufern. "Großartig gespielt und ideal umgesetzt, aber seriell aufgezogen und damit auf Pay-Plattformen einsetzbar", urteilt P7S1-Einkäufer Böss. Den Favoritenkreis komplett macht die Serie "The Brave" von NBC Universal, eine der zahlreichen Militär- bzw. Sondereinheiten-Serien dieses Jahres. Auch Böss findet die Serie sehr stark, gibt aber zu bedenken: "Hier wird man sehen, ob der Zuschauer die wöchentliche Rettung von Geiseln will oder doch eher Eskapismus sucht."

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Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "Snowfall" (Fox für FX) 

Stichwort Eskapismus. Ein fehlender Trend überraschte einige Screening-Besucher. "Es gab wenig emotionale Drama-Serien, mit denen man aufgrund des positiven Feedbacks zu 'This Is Us' nach den letzten Screenings gerechnet hatte. Aber wir haben ja auch gesehen, dass 'This Is Us' in Deutschland nicht gut gestartet ist", so RTL-Einkäufer Graf. Dafür lauter Helden. Übernatürliche und vermeintlich echte. Den penetranten Patriotismus einiger Serien kritisiert er scharf: "Für die Studios wird es zunehmend schwieriger, ihren heimischen US-Markt und den Weltvertrieb gleichzeitig zu bedienen." ZDF-Programmdirektor Himmler stimmt zu: "In diesem Jahr wurde sehr deutlich, dass die europäischen und die amerikanischen Serien-Bedürfnisse offensichtlich stark auseinander driften."

Marcus Ammon© Sky Deutschland
Auch für Sky-Manager Marcus Ammon sind die "mitunter recht pathetischen Heldendramen" ein Trend dieses Jahres. Einige davon seien allerdings hochaktuell, gut erzählt und gespielt. Zwei weitere Beobachtungen von Ammon: "Ich frage mich, wieviele und welche Superkräfte man noch erfinden kann, um noch mehr unbezwingbare Superhelden zu inszenieren und dann gab es im weltweit erfolgreichsten und beliebtesten Genre - dem guten alten Krimi - einen überraschend geringen Output." Letzteres ist eine relativ exklusive Beobachtung, so wie die Freude von Rüdiger Böss über viele gute neue Comedys. Die Mehrheit der befragten Screening-Besucher teilt dies nicht.

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Top6-Serie der deutschen Screening-Besucher: "The Brave" (NBC für NBC) 

Jörg Winger, Geschäftsführer UFA Fiction, macht in Los Angeles noch eine ernüchternde Beobachtung: "Die negative Überraschung, die sich durch mehrere Studios zieht, ist der oft schreckliche Look der Sets bei den Innenaufnahmen. Egal, ob mich eine Serie in den Weltraum entführen soll, oder in eine andere Ära - immer lande ich innen in irgendeiner Studiobühne." Dass es zwar weniger Remakes als zuletzt aber immer noch einige gibt, sei auch kein Beleg für besonders viel Kreativität, bemängelt Winger weiter.

Jörg Winger© getty images
Übrigens: ABC Studios bzw. Disney hatten in diesem Jahr - anders als bei den LA Screenings 2016 - immerhin wieder etwas zu zeigen. Zwei Serien haben hier die Herzen einiger aber nicht vieler deutscher Besucher erobert: So ist einmal die unaufgeregte Comedyserie "Alone together" (für Freeform produziert) aufgefallen. RTL II-Einkäufer Julian Krietsch: "Es ist herrlich mit anzuschauen, wie die beiden Außenseiter im coolen Los Angeles mithalten möchten und dabei alles falsch machen." Zum Anderen war es die Meerjungfrauen-Mysteryserie "Siren". Neben Krietsch war hier auch TV-Produzent und UFA Fiction-Chef Jörg Winger ("Sehr gut erzähltes Ensemble") angetan.

Und was fiel sonst noch so auf bei den LA Screenings? ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler bemerkt eine Rückbesinnung ("wen wundert's") auf amerikanische Werte, vor allem Familie und Religion sowie viele Storylines zu den jüngsten Rassenproblemen in den USA. Und ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss bemerkt noch amüsiert: "Es gibt vermehrte Einsätze von Vibratoren in einigen Dramedys, aber ich will ja nicht alles verraten." Sky-Kollege Marcus Ammon bilanziert: "2017 wird nicht in die Geschichte eingehen, aber der eine oder andere erfreuliche Akzent wurde gesetzt."

Und jetzt warten erst einmal alle auf mehr von "Young Sheldon", "Instinct" und Co. sowie dem Trailer-Liebling "Will & Grace". Vorfreude ist und bleibt vor und auch nach den LA Screenings schließlich immer noch das schönste. Im Herbst werden schon schnell genug und reihenweise Serienträume platzen, wenn das US-Publikum als erstes sein Urteil fällt.