Wer dieser Tage durch die deutschen Originals von Amazon Prime Video zappt, kann ein ausführliches Wiedersehen mit alten Bekannten feiern. Kurt Krömer zum Beispiel: Nach denkwürdigen Auftritten in gleich drei Staffeln des Prime-Video-Hits "LOL: Last One Laughing", die allerhöchstens mit einer Wiederkehr im jüngsten Halloween-Special gekrönt hätte werden können, tauchte der RBB-Abtrünnige zu Beginn des neuen Jahres im Edelkoch-Travel-Format "Dinner Club" auf. Und zwar, um dort erst mit Drei-Sterne-Koch und Host Andreas Caminada die Halloumi-Herstellung von Hand auf Zypern zu erkunden, am Strand im Bulli zu übernachten und nach der Heimkehr für die zu Tisch gebetenen Stargäste Fenchel-Dorade und Lamm zuzubereiten.

Krömer ist festes Mitglied der stets wachsenden Prime-Video-Familie geworden, und wenn man sich eine Rolle für ihn aussuchen müsste, dann vielleicht die des leicht seltsamen Onkels, der mit liebevoller Pampigkeit zuverlässig alle zum Lachen bringt.

Vor allem aber ist er: nicht der einzige. Denn schon seit längerem arbeitet Prime Video daran, Eigenformate mit deutscher Besetzung für den hiesigen Markt zu adaptieren – und die dafür verpflichtete die Prominenz möglichst umfassend an sich zu binden.

Durchlässigkeit der Genres

Das an sich ist noch keine Besonderheit. Auch klassische TV-Sender schicken "ihre" Stars gerne durch unterschiedliche Sendungen: "Tatort"-Kommissar:innen, Bergdoktoren und "Tagesschau"-Sprecher:innen sind seit jeher gern gesehene Quiz- und Talkgäste.

Dennoch fühlt sich das bei Prime Video anders an – vielleicht wegen der Hochkarätigkeit zahlreicher Stars, die die Amazon-Tochter in ihre Streaming-Rotation holt; wahrscheinlich aber auch, weil sie dabei eine Durchlässigkeit der Genres produziert, die sonst eher unüblich ist.

Dass Anke Engelke und Bastian Pastewka nach ihren "LOL"-Teilnahmen ihre erste gemeinsame Comedy-Dramaserie "Perfekt verpasst" bei Prime Video – und nicht einem großen deutschen TV-Sender – veröffentlichten, mag nur folgerichtig sein. (Zumal Pastewka durch die Fortsetzung seiner nach ihm benannten Serie ja ohnehin schon halbadoptiert war.) Ebenso wie die Idee, Teddy Teclebrhan nach der schon vor vier Jahren erfolgten "LOL"-Feuertaufe 2024 seine eigene "Teddy Teclebrhan Show" zu geben, um ihn nun ebenfalls in die "Dinner Club"-Besetzung wandern zu lassen.

Eselsmilchmelken und Muscheltauchen

Den Prime-Video-Verantwortlichen gelingt es aber auch zunehmend, Namen zu gewinnen, die im klassischen Fernsehen sonst tendenziell eher nicht in Formaten auftauchen, für die sie ihr Hauptgenre verlassen müssen.

Und so kommt es, dass Schauspielerin Karoline Herfurth für den Streaming-Auftraggeber eben nicht nur durch die Nachtleben-Thrillerserie "Beat" tanzt, sondern nun für "Dinner Club" mit Caminada kulinarisch die Schweiz bereist, arschscharfen Senf probiert, mit Postbus, Seilbahn und Schneeraupe ganz weit rauf auf die Berge fährt, "Lebensmittelveredler" und Käsemeister besucht und nachher vegane Jakobsmuschel aus Kräuterseitling und Gams anrichtet.

Ihr Schauspielkollege Moritz Bleibtreu, der die Hauptrolle der im Vorjahr veröffentlichten Prime-Video-Serie "Viktor bringt's" spielte, steht ihr da in nichts nach – und ging für Fisch-Cevapcici, Eselsmilchmelken und Muscheltauchen nach Montenegro.

Ein ganz besonderer Cast

Die Kurzreportagen sind allesamt opulent gefilmt (siehe DWDL.de-TV-Kritik), aber trotzdem Geschmackssache, weil die gewollte Kurzweiligkeit allzu oft in Hektik abdriftet, schönen Reise-Elemente teilweise wirr mit Szenen des darauffolgenden Dinners zusammengeschnitten sind und so kaum Zeit bleibt, um irgendwas davon so genussvoll zu erkunden, wie es das Format die ganze Zeit behauptet. Reichlich Platz ist bloß dafür, dass die Promis ständig alles "superlecker" finden, " Das ist Hammer" oder "Oh mein Gott".

Aber, ja – das ist schon deshalb besonders, weil bislang kein anderer deutscher Bewegtbildanbieter einen derartigen Cast für ein solches Format hinbekommen hat, das für die Privatsender zu speziell und für ARD und ZDF zu modern und cineastisch angelegt ist.

Es wird hochinteressant zu beobachten sein, wie weit Prime Video in naher Zukunft mit diesem Format-Hopping deluxe noch gehen kann und will.

Star-Autor mit Grusellesung

Was alles möglich ist, demonstrierte Prime Video bereits mit Sebastian Fitzek. Der Bestseller-Autor, dessen Romane exklusiv für den Streaming-Dienst verfilmt werden (u.a. "Die Therapie", diese Woche neu: "Der Heimweg"), tauchte im Herbst urplötzlich bei "LOL" auf - um mit einer Special-Effect-unterstützten Grusellesung den unglücklich schmunzelnden Torsten Sträter aus dem Rennen zu kegeln.

(Wenn die im Wettbewerb verbliebenen Kaulitz-Zwillinge sich nicht schon an den Konkurrenten Netflix gebunden hätten, würde deren Personality-Doku "Kaulitz vs Kaulitz" nun sicher ebenfalls beim Streamer in Hellblau laufen.)

Eine starre Grenze zieht die Amazon-Tochter bei ihrer Prime-Rotation dann aber doch: die zum Reality-Universum, das ebenfalls kontinuierlich ausgebaut wird – bei dem die Protagonist:innen aber vorerst weiter unter sich bleiben, ohne plötzlich in High-End-Formaten zu wechseln. Zumal das sonst zügig zum Ausschlusskriterium für die A-Liga werden dürfte, eine eigene Teilnahme zuzusagen, wenn man plötzlich Gefahr liefe, neben dem amtierenden "The 50"-Sieger performen zu müssen.

Getrennte Garderobentüren

Aber schon mit einer Produktion wie "Licht aus!", dem von Steven Gätjen moderierten Show-gewordenen Dunkelheitsexperiment, scheinen sich bislang getrennte Garderobentüren langsam zu öffnen – und Schauspieler:innen wie Luna Schweiger und Gedeon Burkhard experimentierten in Gruppenunion mit Ex-"DSDS"-Juror Pietro Lombardi.

Fast ließe sich behaupten, die Prime-Video-Strategie erinnere an die der legendären Hollywood-Studios aus den 1940er Jahren, die Stars unter Vertrag nahmen und sie dann standesgemäß in verschiedensten Produktionen einsetzen – was schon deshalb passen würde, weil sich ja ausgerechnet Amazon mit MGM eine dieser alten Studiomarken einverleibt hat (um sie zu "Amazon MGM Studio" umzubranden).

Neu ist hingegen, wie systematisch Prime Video Genre-Durchlässigkeiten einsetzt und plant, um Formate, die sonst vermutlich längst nicht so viel Beachtung fänden, mit großen Namen zusätzlich aufwerten zu können.

Das war doch noch nicht alles

Wer die aktuellen Prime-Produktionen aufmerksam verfolgt, kann vermutlich schon die Besetzung der nächsten Shows vorhersagen. Der Auftritt im "Dinner Club" war doch für Franka Potente bestimmt noch noch nicht alles bei Prime Video, oder? Und wer käme noch dafür in Frage, so wie Fitzek zumindest kurz die magische Grenze zwischen den Entertainment-Welten zu überschreiten?

Auf diese Weise liefert man in München nicht nur beständig neues Streaming-Entertainment – sondern auch die Vorlage für ein Star-Bingo, das es ihn dieser Form sonst nirgends in der TV-Branche gibt.

Auch wenn die Chance, dass Pietro Lombardi es demnächst zu "LOL" schafft und Bastian Pastewka eine eigene Prime-Video-Reality-Show moderiert, vermutlich eher gering sein dürften.

Und damit: zurück nach Köln.

Alle "Dinner Club"-Episoden lassen sich hier bei Prime Video ansehen; "Sebastian Fitzeks Der Heimweg" läuft dort ab Donnerstag.