Der Tag der Bundestagswahl, kurz vor 18 Uhr. Die Kamera im Konrad-Adenauer-Haus muss sich beeilen, um schnell noch ins Büro des Parteivorsitzenden zu kommen, bevor die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm flimmern. Friedrich Merz und Markus Söder sitzen dort Schulter an Schulter, hochkonzentriert. Merz fragt, bei welchem Sender die bessere Hochrechnung läuft. Und man könnte glatt vergessen, dass beide Herren das wahrscheinliche Ergebnis längst kennen, seitdem ihnen zwei Stunden zuvor die Nachwahlbefragungen auf den Schreibtisch gelegt wurden.
Aber, hey: Warum eine gute Inszenierung verderben?
So startet die ZDF-Dokureihe "Inside CDU" bereits in der allerersten Szene mit einer sorgsam choreografierten Scheinspontaneität – und offenbart eines der größten Probleme der folgenden 167 Minuten. In denen die Zuschauer:innen dabei sein dürfen, wenn Deutschlands letzte große Volkspartei beschließt, uns dabei sein zu lassen.
Hinter den Kulissen des politischen Betriebs
"Inside CDU" reiht sich ein in den wachsenden Trend politischer Langzeitbeobachtungen, wie wir sie bereits von "Kevin Kühnert und die SPD", Markus Feldenkirchens "Konfrontation" oder zuletzt "Inside Bündnis Wagenknecht" im ZDF kennen.
Alle teilen den Anspruch, ganz nah dran an ihren Protagonist:innen zu sein und hinter die Kulissen des politischen Betriebs zu blicken.
Während aber etwa die Kühnert-Doku tatsächlich ungewöhnliche Einblicke in den politischen Alltagsbetrieb lieferte, dokumentiert "Inside CDU" vorwiegend öffentliche Wahlkampftermine und egale Konferenzsituationen – aufpoliert in einer cineastisch wirkenden Optik, die (bis hin zum blockbusterhaft montierten Intro-Bild) Großes verspricht. Um ihr Publikum nachher doch bloß zum Akkordeon-bespielten CDU-Neujahrsempfang in Taucha zu entsenden, zum Erstwähler:innen-Briefeintüten in die CDU-Kreisgeschäftstselle Eschweiler und Merz' Besuch in seinem Wahlkreis im Hochsauerland, wo die Gattin dem Spitzenkandidaten ihres Herzens nach dem gemeinsamen Foto nachruft: "Friedrich, wann kommst du nachhause?" – "Vier, the latest." – "Soll ich Kuchen besorgen?"
Drohnenflüge und dramatische Musik
Die zwischenmontierten Drohnenflüge um die Parteizentrale zu "Also sprach Zarathustra" (dem Intro von "2001: Odyssee im Weltraum"), dramatische Kamerafahrten durchs nächtliche Berlin und bedeutungsschwere Zwischenschnitten von Straßenkünstlern, die vor der Siegessäule mit Feuer jonglieren, stehen jedoch in Widerspruch zum tatsächlichen Inhalt.
Denn die Kamera wird von den Porträtierten – natürlich – fast ausschließlich in für die Partei harmlosen oder gut kontrollierbaren Situationen zugelassen. Wirklich interessante Inside-Informationen kommen ironischerweise von außenstehenden Journalist:innen wie Robin Alexander oder Mariam Lau, die mit ihren Einordnungen dazwischen geschnitten sind.
Es fehlt der Reihe dabei nicht an Backstage-Momenten. Beim Einsprechen einer Videobotschaft meckert Merz über Schreibfehler im Teleprompter-Text und muss in letzter Sekunde noch Formulierungen ändern, um seinen Einfluss auf jedes Detail geltend zu machen. Generalsekretär Carsten Linnemann nimmt peinlich anmutende Instagram-Videos in seinem Büro auf. Und im Aufzug diskutieren Merz, Söder und Alexander Dobrindt, durch welchen Eingang sie gemeinsam in den Plenarsaal schreiten sollten.
Von außen hinzugefügter Insider-Blick
Doch diese vermeintlichen Einblicke sind schlicht banal oder entpuppen sich als Teil der Selbstinszenierung. Über parteiinterne Dynamiken erfährt das "Inside CDU"-Publikum – rein gar nichts.
Natürlich: Das Netz feiert Momente wie den Einblick in die freitägliche "Disco-Pause" für Mitarbeitende des Konrad-Adenauer-Hauses – aber vor allem, weil dieser in seiner übergriffigen Bemühtheit eher zum Fremdschämen einlädt als Aufschluss über die Parteikultur zu geben. Cringe mit Ansage.
Der wahre Wert einer politischen Dokumentation zeigt sich in kritischen Momenten, wenn Konflikte aufbrechen oder schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen. Hier offenbart "Inside CDU" seine größte Schwäche: Bei den tatsächlich spannenden politischen Entwicklungen fehlt der versprochene Insider-Blick völlig.
Das politisch Brisante bleibt unsichtbar
Als nach dem Attentat von Aschaffenburg die Migrationsdebatte hochkocht und Merz eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik fordert, gibt es öffentliche Auftritte und Bundestagsreden zu sehen – exakt das, was man auch in der regulären Nachrichtenberichterstattung verfolgen konnte.
Interne Strategiediskussionen kann die "Inside"-Doku nicht liefern. Innerparteiliche Kontroversen zu diesem heiklen Manöver? Fehlanzeige.
Ähnlich oberflächlich bleibt die Doku beim Konflikt zwischen Markus Söder und Daniel Günther ums (potenzielle) Regieren mit den Grünen. Die Parteikollegen schießen öffentlich gegeneinander – aber was genau bedeutet das für die Stimmung in der Union? "Inside CDU" hat nichts Eigenes dazu zu sagen.
Nur ein Teil der Selbstinszenierung?
Besonders problematisch wird es, wenn die Doku ungewollt zur Plattform für die Selbstvermarktung der Protagonist:innen wird. Philipp Amthor begrüßt CDU-Neumitglieder per Videokonferenz, Markus Söder singt Weihnachtslieder für Social Media – die Doku dokumentiert die PR-Manöver brav, hinterfragt sie nicht. Alles wird abgefilmt, als handele es sich um dokumentarisch wertvolle Momente politischer Arbeit. Und nicht um Marketingaktionen.
Statt mit Enthüllungen will "Inside CDU" mit filmischen Effekten und gut gesetzten Intros punkten. Aber was genau erzählt das über die Partei, wenn die Junge Union im Bus zum CDU-Wahlkampfabschluss in Oberhausen fährt und Stefan Raabs Merz-Song "Rambo Zambo" dazu aufdreht? Oder Thorsten Frei früh morgens durch die Hauptstadt joggt und bemerkt: "Das ist ein schöner Start in den Tag"?
Die Entscheidung, auf einen eigenen Off-Kommentar zu verzichten und ausschließlich Protagonist:innen mit Hauptstadtkorrespondent:innen als Gegengewicht sprechen zu lassen, mag wirkungsreich sein.
Wertvolles zur politischen Aufklärung
Sie verstellt es den Macher:innen aber, ausgerechnet Szenen einzuordnen, bei denen die eigene Kamera dabei war – etwa wenn sich Christiane Schenderlein in Sachsen bemüht, der AfD Paroli zu bieten und schon beim Plakataufhängen bepöbelt wird. Eine tiefergehende Analyse, wie die Union mit ihrem Strategiedilemma im Osten umgeht, bleibt aus.
"Inside CDU" verfehlt den eigenen Anspruch, echte Einblicke in die Partei zu liefern. Stattdessen erhalten wir eine filmisch aufgewertete Version dessen, was wir bereits aus der regulären Nachrichtenberichterstattung kennen. Die vermeintliche Insider-Perspektive entpuppt sich als sorgfältig kuratierte Außendarstellung.
Das ist besonders bedauerlich, weil das Format eigentlich alle Voraussetzungen mitbringt, um Wertvolles zur politischen Aufklärung beizutragen.
Dem Titel nicht gerecht geworden
Langzeitbeobachtungen könnten zeigen, wie Politik wirklich funktioniert – jenseits von Pressemitteilungen und wohlkalkulierten Auftritten. Stattdessen offenbart sie in diesem Fall die grundlegende Problematik eines Genres, das in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat (auch befeuert durch den Wunsch, den Doku-Mehrteilern der großen Streamer in deren Ästhetik etwas entgegenzusetzen): Überall mit der Kamera dabei gewesen zu sein, ist eine lobenswerte Fleißarbeit – aber deswegen noch lange kein erzählerischer Wert.
Was von "Inside CDU" bleibt, ist eine Dokumentationsreihe, die handwerklich solide gemacht ist, aber ihrem Titel nicht gerecht wird – und als Fünfteiler fürs Web-ZDF unnötig aufgeblasen wirkt. (Der kürzere Zusammenschnitt fürs Lineare war in der vergangenen Woche trotz cleverem Sendetermin ein Flop.)
"Alongside CDU" wäre der ehrlichere Titel gewesen. Denn trotz aller kinoaffinen Brillanz bleibt die Kamera stets draußen, wenn die wirklich spannenden Geschichten beginnen. Kann jetzt noch mal jemand Kuchen besorgen?
Und damit: zurück nach Köln.