Manchmal dauert's etwas länger, bis Wünsche in Erfüllung gehen. Und einer der sehnlichsten von Tim Mälzer bestand offensichtlich darin, seinen Freund und Kollegen Jamie Oliver in ein Taxi zu setzen, um ihn in ein schmales East-Londoner Reihenhaus zu fahren, wo er in einer 10-Quadratmeter-Küche das Rezept für eine aromatische Fischsuppe mit Reisnudeln erschmecken sollte, um es in zweieinhalb Stunden Zeit unter Anwesenheit der Originalköchin möglichst detailgetreu nachzukochen, damit ihr Supper Club anschließend darüber urteilen konnte, ob ihm das gelungen ist.
Und bloß falls Sie ebenfalls mal in die Verlegenheit geraten sollten: Katzenwels, Reisnudeln, Zitronengras, Ingwer, Kurkuma, Fischsauce (viel Fischsauce!) bereitstellen; Fisch köcheln, Gewürze einrühren, Suppe binden, über Nudeln gießen, nebenbei ungewöhnlich luftige Chana-Dal-Cracker machen (erst ins kalte Öl, dann langsam Temperatur hochdrehen!) – fertig ist die Mohinga, das Nationalgericht Myanmars.
Schwarze Box, fremde Küche
"I'm grateful for this experience. I mean it was horrible but amazing", urteile Oliver nachher, als das Ergebnis doch besser ankam, als es anfangs ausgesehen hatte. Und wahrscheinlich schwante ihm da schon länger, dass er während des vorausgegangenen Prozesses selbst eine Art Hauptzutat war – für eine Art von Fernsehen, wie sie nur "Kitchen Impossible" seit zehn Jahren dem deutschen Publikum serviert.
Das Rezept für dieses "wunderschöne Kochformat"? Werde er nach all der Zeit "nicht mehr erklären", frotzelt Gastgeber und Herausforderer Tim Mälzer zu Beginn der Ausgabe, die an diesem Sonntagabend bei Vox zu sehen sein wird. "Ich bin's leid. Ich will nicht mehr."
Also gut: Man nehme zwei bis vier ehrgeizige Starköch:innen, eine schwarze Box, eine fremde Küche, Zeitdruck, eine kritische Alltagsjury und einen Tisch mit vollgeschenkten Weingläsern zur Nachbesprechung (siehe Hauptstadtstudio vom Februar). Erst die Köch:innen aus der Komfortzone holen, anschließend mit dem Gericht kämpfen lassen, später alle Erlebnisse gemeinsam verkosten. So geht eines der erfolgreichsten Rezepte, die das deutsche Fernsehen in der vergangenen Dekade hervorgebracht (sowie schon exportiert) hat. Und das Mälzer nun mit Stolz auch seinem Freund aus London präsentieren wollte.
Zentrale Elemente des Formats geopfert
"Wir kennen uns 30 Jahre. Und ich hab zehn Jahre davon gebraucht, um dich davon zu überzeugen, bei 'Kitchen Impossible' teilzunehmen", schnoddert er anfangs. Kurz darauf wird auch klar, warum es so lange gedauert hat: Oliver ist hypernervös, weil die Grundidee allem widerspricht, wie er sonst im Fernsehen aufzutreten gewohnt ist.
"I've done many, many things in 25 years, but I never had to cook ever blindfolded", sagt er. "My whole life ist about control and order." Und: "'Kitchen Impossible' is a bit of a nightmare for me. Because through my whole life, whenever I've done competitions, I always come in second."
Diesmal scheinen die Drängler aus Deutschland aber so viele Kompromisse eingegangen zu sein, dass Oliver nicht mehr nein sagen konnte – selbst wenn dafür zentrale Elemente des Formats geopfert werden müssen. Der Wunschgast braucht nicht in ein anderes Land zu reisen, um das Gericht aus der Box blindzuverkosten und nachzukochen, sondern bloß ans andere Ende Londons; die Einkäufe sind auch schon gemacht; und weil Anstifter Tim Mälzer sich seiner eigenen Herausforderung – ein perfektes Beef Wellington vom "Pie King" Calum Franklin – zur selben Zeit in Olivers Kochschule stellt, bleibt nachher sogar noch Zeit, den Kontrahenten beim Anrichten schwitzen zu sehen.
"This program is genius"
Es ist vielleicht nicht die beste Folge, die sich "Kitchen Impossible" mit dem lange ersehnten "Showdown" zwischen Mälzer und Oliver zum Geburtstag selbst geschenkt hat, auch wenn noch ein unterhaltsamer von Mentor Gennaro Contaldo ausgesuchter Pasta-Exkurs drangehängt wird, bei dem sich Mälzer seine Großmäuligkeit wieder auszuspielen traut ("You are much funnier than I remember you", gibt sich Oliver überrascht). Aber es ist zweifellos: eine ganz besondere.
Weil man als Zuschauer:in die freundschaftliche Verbundenheit der beiden Köche merkt, die sich in jungen Jahren erst in der gleichen Londoner Küche begegnet sind, später in Olivers TV-Show "The Naked Chef", die dann in ihrer jeweiligen Heimat eine ähnliche Karriere gemacht haben; und natürlich, weil man dabei zusehen kann, wie sich Oliver nicht nur an die burmesische Nudelsuppe herantastet, sondern auch ans Konzept der Show.
"It was at this stage when I knew that this program is genius, because this is really hard. I don't know any other cooking show that does this", schwärmt er, als er sich mit Mälzer die Challenge im Zusammenschnitt ansieht und den Moment Revue passieren lässt, als er das Gericht aus der schwarzen Box hebt, um es sensorisch zu erfassen.
Und später ("This is good TV"): "Thank you for having me on your show. It was a true honour." Was endgültig dem Ritterschlag fürs Format und Mälzers Verdienste darum gleichkommen dürfte, erst recht vom offiziellen König der Kochshows – wenn auch mit etwas Verspätung.
Das gut gehende Restaurant unter den TV-Formaten
Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch: "Kitchen Impossible" ist schon längst nicht mehr das Quick-and-dirty-Streetfood-Erlebnis, das mit seinen intensiven unerwarteten Geschmäckern überrascht – sondern eher ein gut gehendes TV-Restaurant, in das die Stammgäste gerne wieder kommen, weil sie wissen, was sie dort erwartet. Umso angenehmer ist aber das Gefühl, dass sich dort von der Küche bis zum Service alle der Tatsache bewusst sind, wie sehr man bei aller Tradition immer auch Variation braucht, um die Spannung zu erhalten.
Selbst das Mälzer'sche Maulheldentum ("Ich bin jünger, smarter, besser, energetischer, vielseitiger, kreativer") hat sich zwischenzeitlich etwas abgenutzt, wird von seinem Erfinder deshalb aber auch sehr viel wohldosierter eingesetzt.
"Kitchen Impossible" hat die nötige Balance – die so vielen anderen Formaten nicht (mehr) gelingt – bislang geradezu meisterhaft hinbekommen. Die Grundzutaten des Formats bleiben dieselben: Hochmut und Überforderung, Irrtum und Verzweiflung, Glücksgefühl und Kumpelei. Aber anrichten lässt sich das immer wieder aufs Neue.
Mit Specials zu feierlichen Anlässen. Oder, wie gerade in der Jubiläumsstaffel, indem man die Team-Konstellationen variiert, den Chefs kochaffine Rapper für die Duelle zur Seite stellt, stellvertretend die Küchenchef:innen ihrer Restaurants gegeneinander antreten lässt bzw. das Format für die ein oder andere Ausgabe zu einer im wahrsten Sinne des Wortes persönlichen Angelegenheit werden lässt.
Tauben-Croustillants und Shrimp Moilee
Für das vor zwei Wochen gezeigte (deutlich dynamischere) Special traf Mälzer seine "Best Friends" Mario Lohninger und Edi Frauneder in New York City und besichtigte mit den beiden gemeinsam die Orte seines früheren Wirkens in der Stadt: das alte Apartment in der Bowery, und das Restaurant, das er dort eröffnen wollte. Anschließend stellten sich die drei dem füreinander erdachten Chaos: die Zubereitung des Tauben-Croustillants vom Zwei-Sterne-Chef Gabriel Kreuther in Bryant Park; und die südindische Curry-Spezialität Shrimp Moilee von Junoon-Chef Akshay Bhardwaj, die zu einem der bestgelauntesten Küchen-Duelle führte, die das Format seit längerer Zeit hingekriegt hat.
"Die vergangenen Tage waren mehr als nur eine Fernsehsendung. Das war eine kleine Essenz meines Lebens in a nutshell", zeigte sich Mälzer nachher sichtlich bewegt.
Ohnehin ist erstaunlich, wieviele der Weisheiten, die die Starköche während ihrer Aufgaben formulieren, am Ende auch auf die Sendung selbst zutreffen: "Man muss nur die Uridee verstehen – und dann gibt's da Spielraum", versuchte Lohninger das Geheimnis der Curry-Zubereitung auf den Punkt zu bringen. Kollege Jamie Oliver philosophiert über seine Herangehensweise: "I think the most important thing is if I can tap into the soul of the dish." Und Mälzer ächzt, nachdem er für den Culurgiones-Teig das falsche Mehl ausgesucht hat: "Die Leute beurteilen das, was sie essen: den Geschmack. Und darum geht's beim Kochen."
Ganz genau wie bei gutem Fernsehen.
Jede Woche in eine neue Welt des Geschmacks
Welches man, wie im Fall von "Kitchen Impossible", einfach dafür lieben muss, seine Zuschauer:innen jede Woche in eine neue Welt der Ingredienzen und Zubereitungsarten unterschiedlicher Landesküchen eintauchen zu lassen und den Kochprozess so appetitlich und respektvoll mit der Kamera zu begleiten – während die Original-Köch:innen (bzw. an diesem Sonntag auch Jamie Oliver) Gedanken und Hintergründe zu ihrem Gericht teilen, ohne das jemand stumpf auf deutsch drübersynchronsiert. Einfach so, in ihrer Sprache – fast drei Stunden lang. Mit Untertiteln. Im Privatfernsehen!
Zurecht ist dieses TV-Gericht Mälzers ganzer Stolz. Weil ihm etwas gelingt, das auch gutes Fernsehen nur selten schafft: Es verbindet – Welten, Menschen, Geschmäcker, Erfahrungen.
Und damit: zurück nach Köln. Genießen Sie den Sommer.
"Kitchen Impossible – Der große Showdown: Tim Mälzer vs. Jamie Oliver" läuft am heutigen Sonntagabend um 20.15 Uhr bei Vox und ist bereits bei RTL+ abrufbar.