Irgendwann im Laufe des Gesprächs hätte der "Zeit" mal das riesige pelzige Déjà-vu auffallen können, das da mit tiefer Stimme kichernd im Raum stand, als sie den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in der vorgegangenen Woche zum angeblichen Linksdrall bei ARD und ZDF interviewte (Abo-Text). Und dieser fast exakt dieselben schwammigen Sachen sagte wie im April 2022, als die "Zeit" den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder schon einmal zum angeblichen Linksdrall bei ARD und ZDF interviewte (Abo-Text).

Vor drei Jahren saß noch die damals gänzlich skandalbefreite ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger mit in der Runde und gab Söder argumentativ Paroli. (Gar nicht schlecht, übrigens.)

Diesmal durfte der Interviewte im Alleingang die Ungenauigkeiten referieren, die ihn zu seiner Grundthese bringen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichte einseitig zu Lasten konservativer Parteien. Das "bürgerliche Spektrum" fühle sich nicht "ausreichend angesprochen", es gebe zu viel "Haltung vor Handwerk", hieß es damals. Und heute: Bei "vielen Menschen" verstärke sich "das Gefühl, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei tendenziell links, vor allem grün".

Immer wieder diese Volos

Nichts davon will oder kann Söder konkret belegen. Eine Untersuchung öffentlich-rechtlicher Formate an der Universität Mainz ("Fehlt da was? Perspektivenvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten", pdf) kam 2024 zu dem Schluss, dass sich ARD und ZDF wegen ihrer liberal-progressive Grundhaltung zwar auf der gesellschaftlichen Seite positionierten, "die man vereinfacht ausgedrückt als politisch links der Mitte" bezeichnen könne; es gebe auch Raum für "eine Stärkung konservativer und marktliberaler Positionen".

Die Formate hätten zwar unterschiedliche Positionierungen. Aber sie reihten sich "weitgehend nahtlos in die 34 Vergleichsmedien ein". Die Behauptung besonderer Einseitigkeit der Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks "trifft folglich in dieser Form nicht zu".

Diese Differenzierung scheint Söder schon zuviel zu sein. "Mehr als 90 Prozent" der ARD-Volontär:innen bei ARD und ZDF würden sich links oder grün positionieren, sagte er 2022 unter Berufung auf eine explizit nicht repräsentative Umfrage. Und behauptete 2025, es seien "mehr als 80 Prozent" – immer noch: in derselben, genauso wenig repräsentativen Umfrage, von der er längst weiß, dass sie als Beleg nicht taugt.

Eine Bühne fürs Political Framing

Als Schlesinger 2022 konkret wissen wollte, was ihn denn am Programm störe, erklärte Söder, im Bundestagswahlkampf sei zu viel über "Nebensächlichkeiten" gesprochen worden, vor allem wie sich Politiker:innen zueinander positionieren. (Genau das also, was er selbst mit Angriffen auf einzelne politische Gegner:innen perfektioniert hat.) 2025 musste die "Zeit" selbst nachhaken ("Woran denken Sie konkret…") – und war nachher auch nicht schlauer, weil Söder bloß "unzählige sprachliche Beispiele" sowie "Debatten über Begriffe und Stilfragen" nannte und dass in der "Tagesschau" nicht mehr "Guten Abend, meine Damen und Herren" gesagt werde.

"Es gäbe eine ganze Liste von Dingen zu nennen", die bei ARD und ZDF "nicht korrekt und richtig" seien. Aber nennen will Söder sie nicht – und dreht den Spieß einfach um: "Nicht die Kritiker, sondern die Öffentlich-Rechtlichen sind in der Bringschuld."

Das ist bemerkenswert dreist. Und funktioniert prächtig. Söders Signal ist: Es geht auch ohne Belege, wenn sich dadurch eine Grundstimmung transportieren lässt und ihn niemand so recht in die Pflicht nimmt. Dass ihm die "Zeit" dafür wiederholt eine Bühne bietet, ohne sich ihrer Rolle in diesem Spiel bewusst zu werden, ist hochproblematisch. Aber es zeigt auch: Political Framing gegen die Öffentlich-Rechtlichen ist inzwischen so sehr zum Standard geworden, dass niemand mehr genau hinhört, was da eigentlich gesagt wird.

Selbstbewusste Programmdirektor:innen aus der Politik

Vor allem aber hat die permanente Stimmungsmache zunehmend Konsequenzen – wie der Fall Julia Ruhs gerade anschaulich demonstrierte.

Mitte September entschied der NDR, die Moderatorin künftig nicht mehr für die von ihm verantworteten Ausgaben des neuen, von bürgerlichen Sichtweisen geprägten Gesellschaftsformats "Klar" einzusetzen. Über die Gründe lässt sich streiten, die Kommunikation des Senders dazu war unterirdisch – und auch weil Ruhs in den sozialen Medien gegen ihre vermeintliche Absetzung (die keine ist, weil sie "Klar" weiter für die hinzukommenden Ausgaben des BR moderieren darf) agitierte, konnte sich die Debatte schnell verselbstständigen.

Beinahe im Stundentakt meldeten sich anschließend selbstbewusste Programmdirektor:innen aus der deutschen Politik. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn x-te von einem "Rechtfertigungsproblem" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther nannte den NDR-Entschluss ein "extrem schlechtes Signal". Auch von der gegenüberliegenden Seite des politischen Spektrums hagelte es Kritik: der Fall sei "hochproblematisch", fand die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek.

Kompetenzurteile zu Sitzmoderationen

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann war es schließlich, der finanzielle Konsequenzen forderte: Man solle den Rundfunkbeitrag (Linnemann: "die Gebühren") einfrieren.

Markus Söder wollte natürlich auch nicht fehlen: Dass der Sender nicht mehr mit Ruhs plane, sei "kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit", schrieb er auf X – und legte im "Zeit"-Interview nachher nochmal ein paar Schippen drauf. "Es entsteht der Eindruck, die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten nur mit politisch liebsamem Personal", die "Nachbesetzung" des NDR mit Ex-"Bild"-Chefin Tanit Koch wirke "wie ein Feigenblatt", Ruhs Arbeit sei "handwerklich absolut korrekt". (Dass er ein von "Klar" für die letzte Ausgabe angefragtes Interview zu seinen Äußerungen während der Corona-Pandemie offenbar trotzdem ablehnte, hätte die "Zeit" an dieser Stelle vielleicht als interessantes Detail parat haben können.)

Fakt ist: Inzwischen ist es gang und gäbe, dass sich deutsche Politiker:innen zu Personalfragen und inhaltlichen Belangen, die Sendungen von ARD und ZDF betreffen, äußern und glauben, ihre Kompetenzurteile zu Sitzmoderationen selbstdarstellungsaffiner Nachwuchstalente wären in irgendeiner Form notwendig oder gefragt.

Schutz vor mittelbarer und subtiler Einflussnahme

Das exakte Gegenteil ist der Fall. Und es wird allerhöchste Zeit, daran zu erinnern, wer diese Regel aufgestellt hat: keine Intendant:innen, auch niemand sonst aus dem Dunstkreis der Sender und erst recht nicht irgendwelche dahergelaufenen Wochenendkolumnisten. Sondern: das Bundesverfassungsgericht.

Seit dem ersten Rundfunkurteil von 1961 gilt: Der Staat darf weder unmittelbar oder mittelbar eine Anstalt oder Gesellschaft beherrschen, die Rundfunksendungen veranstaltet. (Zur Erinnerung: Das Urteil war eine Konsequenz des Versuchs von Bundeskanzler Konrad Adenauer, das ZDF als vom Bund kontrolliertes Programm zu etablieren, weil ihm die ARD zu kritisch über die Regierung berichtete.)

Die Rezeption des Urteils besagt, dass der Rundfunk vor mittelbarer oder subtiler Einflussnahme geschützt sein muss. Das ist keine Kleinigkeit. Die Rundfunkfreiheit ist, so das Bundesverfassungsgericht, "schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung" (4. Rundfunkurteil, BVerfGE 73, 118 von 1986). Sie dient der freien Meinungsbildung – und damit der Funktionsfähigkeit der Demokratie selbst.

Was die Politik darf – und was nicht

Und der leider aus der Mode gekommene Begriff der "Staatsferne" lässt sich nicht umsonst aus dem Grundgesetz ableiten. (Hier ein Service-Link zum Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags.)

Aber wo verläuft die Grenze? Was dürfen Politiker:innen – und was nicht?

Die Antwort ist eigentlich eindeutig: Politiker:innen dürfen den Programmauftrag definieren. Langfristig, "in abstrakter Weise", in Staatsverträgen. Sie dürfen über Strukturreformen diskutieren und grundsätzliche Kritik am System äußern. Was sie nicht dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag (vom 5. August 2021, Az. 1 BvR 2756/20) formuliert. Das Deutschlandradio fasste das in seinen FAQ zum Urteil laienverständlich so zusammen: "Die Länder dürfen (…) nicht in die Programme eingreifen, etwa, weil ihnen Sendungen oder die Berichterstattung nicht gefallen. Sie dürfen auch nicht die Finanzierung mit der Auftragsdebatte verknüpfen." Das sei "verfassungswidrig, weil dann die Sender nicht mehr vor staatlicher Einflussnahme geschützt wären."

Der Beitrag ist kein Programmlenkungsinstrument

In Teilen der deutschen Politik ist es zwar seit längerem eine Art Sport, auf sprachliche Genauigkeit zu achten, sofern sie damit ARD und ZDF deren Bemühungen ums für sie und ihre Wähler:innen unliebsame Gendern um die Ohren hauen können.

Mit der sprachlich exakten Auslegung der Rundfunkurteile nehmen es manche Akteur:innen aber gleichzeitig deutlich weniger genau. Einzelne trauen sich noch, als direkte Konsequenz einer einzelnen Personalentscheidung das Einfrieren des Rundfunkbeitrags zu fordern – obwohl das Bundesverfassungsgericht explizit sagt: Die Festsetzung der Höhe des Beitrags dürfe nicht "zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik" benutzt werden (BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021, 1 BvR 2756/20, Rn. 220, pdf).

Womöglich ist Söders Unkonkretheit in Interviews deshalb auch kein Zufall, sondern Kalkül. Würde er konkret benennen, welche Sendungen er ändern will, welche Inhalte er streichen möchte – dann ginge er ein größeres Risiko ein, dafür Kritik zu ernten, die verfassungsrechtliche Grenze zu überschreiten. Solange er vage bleibt, lässt sich immer behaupten, nur eine grundsätzliche Debatte führen zu wollen. Ohne dass damit irgendwem geholfen wäre.

Eine Normalität, die sich keiner wünschen kann

Wenn sich die Kritik an ARD und ZDF aus der Politik immer stärker an rein redaktionellen Entscheidungen reibt, wenn Finanzierungsfragen mit inhaltlichen Aspekten vermischt werden, und wenn der amtierende Kulturstaatsminister in Interviews erklärt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe "ein Akzeptanzproblem, weil er politisch links geneigt wirkt", und Kampfbegriffe wie "Zwangsbeiträge" verwendet, dann entsteht genau jener Druck, jene "mittelbare Einflussnahme", vor der das Bundesverfassungsgericht warnt.

Und aus vielen kleinen Grenzüberschreitungen wird eine Normalität, die sich keiner wünschen kann.

Deutsche Politiker:innen (und Medien) kritisieren zurecht die beängstigenden Einschränkungen und Verbote, denen Medien in Ländern wie Russland unterworfen sind; sie blicken mit Sorge darauf, wie große Medien- und Tech-Konzerne unter dem Druck der derzeitigen US-Regierung einknicken und aus mutmaßlich wirtschaftlichen Gründen ihre Unabhängigkeit opfern, wenn sie kritische Shows absetzen, die dem Präsidenten nicht gefallen.

Aber was in der öffentlichen Debatte über ARD und ZDF derzeit passiert, ist auch nichts anderes als eine Vorbereitung der Aushöhlung von Prinzipien, die lange Zeit aus gutem Grund als unantastbar galten.

Es ist nicht so kompliziert

Die Ironie daran: Wenn Politiker:innen permanent in die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingreifen, legitimieren sie genau die Kritik, die sie selbst vorbringen: dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht unabhängig sei. Sie schaffen das Problem, das sie angeblich bekämpfen wollen.

Deshalb, liebe Politiker:innen, hier nochmal zum Mitschreiben: Definiert das, was die Gesellschaft von ARD und ZDF erwarten kann! Legt Grundprinzipien fest, gebt den Sendern klare Grenzen vor, setzt längst überfällige Reformen – auch des Beitrags – durch! Aber haltet euch raus, wenn es um Personalfragen geht; untersteht euch, mit Kürzungen zu drohen, wenn euch redaktionelle Entscheidungen nicht in den Kram passen; und erspart uns Diskussionen über gefühlte Wahrheiten, für die es keine belastbaren Belege gibt.

All das steht – vereinfacht formuliert – im Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat es in etlichen Urteilen präzisiert. Man kann es nachlesen. Es ist nicht so kompliziert. Sondern, im Gegenteil, supereinfach: Die Staatsferne ist das Fundament unabhängiger Berichterstattung. Wer sie wissentlich untergräbt, beschädigt die Demokratie. Nicht nur gefühlt, sondern: ganz konkret.

Und damit: zurück nach Köln.