Laut keltischem Aberglauben ist am Vorabend von Allerheiligen, wenn so langsam der Winter an die Türen klopft, die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten besonders dünn. Genau daraus ist irgendwann Halloween ("All Hallows' Eve") entstanden, heute vorrangig ein Feiertag der internationalen Süßwarenindustrie.

Auch in der bewegtbildproduzierenden Industrie ist der Aberglaube groß. Der nämlich, dass einst erfolgreiche und später abgesetzte Shows und Serien sich mit ausreichend langer Wartezeit exhumieren lassen, um an frühere Triumphe anzuknüpfen. Mit dem Unterschied, dass die Grenze zwischen den lebenden und den toten Formaten in der TV-Industrie das ganze Jahr über ziemlich dünn ist. Ohne dass sich so genau vorhersagen ließe, welche davon in dieser permanenten Night of the Living Cancelled die Vampire sind und nicht altern, sondern sich bloß anpassen. Und welche die Zombies, die bloß kurz vor sich hinirrlichtern.

Um früher Gewissheit darüber zu erlangen, gibt es ab sofort den international anerkannten Schatz-oder-Leiche-Test, dessen Verfahren sich anhand einiger abgeschlossener Fälle mühelos entwickeln lässt:

Der Schatz: "TV total"

Nach sechsjähriger Pause auf den Bildschirm zurückgeholt, hat sich "TV total" seit 2021 zu einem echten Quotenjuwel im ProSieben-Programm entwickelt. Warum das funktioniert: Die Mechanik des Formats, auf die TV-High- und Lowlights der vergangenen Woche zurückzublicken, ist zeitlos. Außerdem hat Nachfolge-Moderator Sebastian Pufpaff inzwischen nicht nur seinen eigenen Stil gefunden, sondern kann Pointen auch fehlerfreier aufsagen als der Formaterfinder.

Die Leiche: "7 Tage, 7 Köpfe"

2022 wollte RTL seinen satirischen Wochenrückblick mit Kultstatus zurückholen. Unter Panel-Chef Guido Cantz verweste diese Ambition aber schneller als frisch gewolftes Hackfleisch unter Sonneneinstrahlung. Warum das nicht funktioniert hat: Das Original lebte stark von den Running Gags der festen Besetzung. Dafür blieb der Neuauflage nach erfolgreichem Auftakt im Dschungel-Schlepptau am merkwürdigen Samstagabendsendeplatz aber kaum Zeit.

Der Zombie: "Tutti Frutti"

Dreiundzwanzig Jahre Pause waren dann vielleicht doch ein bisschen viel, um der legendären Erotikspielshow neues Leben einzuhauchen – das Silvesterspecial mit 1,6 Prozent Marktanteil blieb für den Kleinstsender RTL Nitro eine einmalige Angelegenheit und ging direkt wieder in die Gruft. Warum das nicht funktioniert hat: Das Aufreger-Image der Obst-Entblößung von damals war längst passé, und die sehr kostengünstige Produktion in einem Berliner Nachtclub hat sicher auch nicht geholfen.

So einfach kann's sein! Sind Sie bereit, in die Zukunft zu blicken? Los geht's: Schatz oder Leiche?

"Star Search" (Netflix, USA)

Durch sie wurden Beyoncé, Britney Spears und Adam Sandler groß – und das ist wahrlich keine Bilanz, vor der sich die Mutter aller Castingshows zu verstecken bräuchte. Um endgültig auch in eine der letzten Bastionen des linearen Fernsehens vorzustoßen, hat Netflix vor wenigen Monaten angekündigt, "Star Search" 2026 aus dem Sarg steigen zu lassen und das Format in einer "supercharged"-Variante zurückzuholen: größer, interaktiver – und live. Die Prognose: Das könnte funktionieren, wenn Netflix soviel Geld in die Produktion pumpt, wie es heutzutage fast nur noch Streaming-Anbieter riskieren. Aber: Die große Zeit der Castingshows ist eigentlich vorbei. Und die internationale Auswertung wird deutlich mühseliger sein als bei fiktionalen Inhalten. Dazu kommt: Netflix und Live waren sich lange Zeit spinnefeind. Aber wenn's klappt, können wir uns schon mal auf die deutsche "Star Search"-Neuauflage freuen: selbstverständlich moderiert von Bill und Tom Kaulitz und mit Kai Pflaume als teetrinkendem Jury-Alterspräsidenten. Verwesungsrisiko: mittel.

"Gladiators" (Prime Video, RTL)

Laser, Diamond, Sunny, Elektra und Nitro hießen die muskulösen Zeitgenoss:innen, die sich Anfang der 90er Jahre zwischen spielbereite Normalos und das vom Sender ausgelobte Geldsümmchen drängelten. Im kommenden Jahr wollen Prime Video und RTL neue Teilnehmer:innen auf Drahtseile stellen und in Stahlkäfige sperren, um sie gegen Kraftpakete antreten zu lassen. Die Prognose: Zwei zahlungskräftige Partner versprechen für so ein Spektakel zweifelsfrei doppelte Muskelkraft. Und es gibt ja schon "Ninja Warrior", das seit vielen Staffeln beweist, wie zeitlos körperliche Wettkämpfe im Fernsehen funktionieren. Andererseits: Es gibt ja schon "Ninja Warrior". Statt die alte Marke "American Gladiators" neu anzustreichen, wäre es vielleicht cleverer, "German Influencers" in den Battle zu schicken. Verwesungsrisiko: hoch.

"Durch die Nacht mit…" (ZDF)

Endlich wieder seriöses Fernsehen – will das ZDF produzieren, hat vorsichtshalber aber nochmal seine Publikums-Community gefragt, ob die sich auch wirklich vorstellen könnte, ein Revival des Arte-Klassikers "Durch die Nacht mit…" anzuklicken, wenn das in einer Streaming-only-Variante zurückkäme. Die Mehrheit sagte: ja. Die Prognose: Zwei zusammengewürfelte Promis, die sich im Schein der Straßenlaternen über Gott und die Welt unterhalten – das Prinzip ist genial wie eh und je. Und dank der Podcast-Schwemme dürfte auch das junge Publikum aufgeschlossen für längere Gespräche sein. In der Streaming-Nische wäre der Erfolg quasi sicher. Und für Classic-Varianten könnte man einzelne Gäste von damals zurückholen. Michel Friedman jedenfalls hatte neulich schon Sehnsucht: "So traurig, dass das aufgehört hat." Verwesungsriskio: null.

"Kanzlei Liebling Kreuzberg" (Das Erste)

Vor einem Jahr schickte das Erste die übernächste Generation in die vermutlich bekannteste Fernsehkanzlei, die je über deutsche Bildschirme flimmerte: Als Reinkarnation des eigenen Opas klopfte Enkelin Lisa an die Tür der "Kanzlei Liebling Kreuzberg", um sich auf die Nöte kleiner Leute statt großerHonorare zu fokussieren. Die Prognose: Die Reprise als kosmetisch restaurierte Filmreihe ist zeitgemäß, die Premiere lief gut – für Ende November ist die Ausstrahlung zwei neuer Fälle angekündigt. Freuen Sie sich erneut auf das Autor:innen-Kunststück, einen knackigen Prozess aus einer völlig irren Plotkonstruktion herzuleiten, um damit 90 Minuten zu füllen. Und halten Sie bitte die Bingokarte mit den wichtigsten Begriffen vom letzten Mal bereit: Hausverbot → Mietnomade → Podcast → Sammelklage. Verwesungsrisiko: fifty-fifty.

Mit ein bisschen Übung können auch Sie demnächst souverän beschwören, ob neu zusammengenähte Altformate die erhofften Lebenszeichen zeigen werden – oder ob den auf diese Weise Zurückgeholten bereits der kalte Atem der Publikumsignoranz im Nacken sitzt.

Alternativ macht man's einfach wie Bürosatire-Gottvater Bernd, wenn der zum erneuten Kinostart am 4. Dezember munter aus dem Sarg steigt und einen Untertitel mitbringt, der alles sagt, was man wissen muss: "Stromberg – Wieder alles wie immer". Weil sich zwar die Zeiten und die Arbeitswelt grundlegend gewandelt haben – aber zur im Film inszenierten Reunion nach zwanzig Jahren doch wieder alle Charaktere in ihre bekannten Muster zurückfallen.

Ob man das als Versprechen oder als Drohung sieht, ist jedem selbst überlassen. Auch und gerade in der deutschen Fernsehbranche.

Und damit: zurück nach Köln.