Wenn der Archivar im Olymp der deutschen Fernsehunterhaltung irgendwann mal abheften muss, welche TV-Shows uns durchs ätzende Jahr 2020 getragen haben, dann steht dort auf einem goldenen Moderationskärtchen ganz gewiss die kryptische Abkürzung: #DSWNWP. Und zwar weil "Denn sie wissen nicht, was passiert – die Jauch-Gottschalk-Schöneberger-Show" halt nicht drauf gepasst hat.

Seit 2018 schon schickt RTL Barbara Schöneberger, Thomas Gottschalk und Günther Jauch alle paar Monate in ein Fernsehstudio, um sie dort direkt wieder voneinander zu trennen, einen zum Gastgeber zu erklären und die zwei anderen gegen prominente Kontrahentinnen bzw. Kontrahenten antreten zu lassen. Irgendwann ist es knapp vor eins am frühen Sonntagmorgen und Spielleiter Thorsten Schorn sagt in seiner Kommentatoren-Box: "Kaum hat’s angefangen, ist es auch schon wieder vorbei."

Publikum: fehlt, Stimmung: top

Das Spielprinzip dieser Veranstaltung ist nicht sonderlich innovativ, der Titel unnötig sperrig, eigentlich ist sogar schnuppe, wer am Ende die Spielsumme für seine "Alltagshelden" gewinnt. Und trotzdem ist DSWNWP so ziemlich die beste Werbung, die live gesendetes Unterhaltungsfernsehen derzeit für sich machen kann. Auch ohne Studiopublikum.

Dabei lechzen die Sender eigentlich nach einer Rückkehr der Zuschauerinnen und Zuschauer, die über Monate Corona-bedingt zuhause bleiben mussten, sonst aber dafür sorgen, dass in Shows Stimmung in den Laden kommt, wenn auf der Bühne gesungen, getanzt oder gespielt wird. Damit sich das auf Sie zuhause überträgt!

Dass RTL seine neue Musik-Rateshow "I Can See Your Voice" nun schon wieder vor scheinbar vollen Rängen aufzeichnen ließ, sorgte in der vergangenen Woche bei Twitter direkt für Irritationen. (Gut, wann sorgt auf Twitter schon mal was nicht für Irritationen?) "Denn sie wissen nicht, was passiert" hat den Vorteil, dass der Sender erst gar nicht zu argumentieren braucht, sich an sämtliche Auflagen gehalten zu haben: Die neuen Ausgaben, von denen die erste am gestrigen Samstagabend lief, werden nämlich erneut ohne Publikum gezeigt. Und ich leg mich jetzt mal fest: sehr zu ihrem Vorteil.

Tosendes Bratkartoffelgeräusch

Als im April der Applaus zur Premiere der neuen Staffel erstmals vom Band kam, war das zwar gewöhnungsbedürftig – vor allem für Gottschalk, den das Konservenklatschen im Wechsel an Platzregen oder Günther Jauch beim Knollenanbraten erinnerte ("das Bratkartoffelgeräusch"). Doch schon kurz nach Beginn waren alle Beteiligten wieder so sehr mit den Spielen und sich selbst beschäftigt, dass die Irritation eine kurzzeitige blieb.

Denn sie wissen nicht was passiert

Ohne Studiopublikum ist noch mehr Platz, um aufwändige Spiele aufzubauen. Spätestens in der Woche drauf gehörten auch Abstandsstöckchen, Desinfektionsspray und Trennwände ganz selbstverständlich zum Show-Inventar. Und als kleine Live-Rückkoppelung liest Schorn zwischendurch vor, was die Leute auf Twitter gerade von Schöneberger, Jauch und Gottschalk halten.

Mit der Entscheidung, die Show live zu senden, hatte RTL bereits im vergangenen Jahr eine goldrichtige Entscheidung getroffen. Und dass dem Trio zunehmend mehr Freiheiten bei der Abendgestaltung zugestanden wird, macht "Denn sie wissen nicht, was passiert" noch unterhaltsamer.

Unterstütztes Gebrauchsanleitungsvorlesen

Die Hauptgründe dafür sind eine Mischung aus Ehrgeiz, Spaß an gegenseitigen Sticheleien und eine kaum zu bändigende Spielfreude. Im Finalspiel klemmt sich Günther Jauch jedes Mal wie ein junger Bergpuma in die Klötzchenwand, aus der man nicht zuerst rausfallen darf, wenn man das Spiel gewinnen will.

Und selten in den vergangenen Jahren hab ich so sehr das Gefühl gehabt, Thomas Gottschalk in seinem Element zu sehen, wie an diesen Samstagabenden bei RTL, wo er oft einfach das machen darf (und muss), was er am besten kann: unvorbereitet in den Moment hinein zu moderieren: "Ich zeig euch jetzt noch einmal, wie's geht, aber dann ist Schluss."

Selbst dass sich die Sendung immer ein bisschen wie unterstütztes Gebrauchsanleitungsvorlesen anfühlt, wenn Gottschalk die Anweisungen auf den Moderationskärtchen entziffert, hat Charme – vor allem, wenn er die daneben notierten Regieanweisungen gleich mitvorträgt: "'Moderator bleibt mit allen am Pult.' Moderator: bin ich. Alle: seid ihr." Oder: "'Nächste Frage vorlesen.' Ich bin doch kein Depp!"

Gluckser vor Glück

Thorsten Schorn erträgt, die Hemden von Daniel Hartwich auftragend, sämtliche Frotzeleien gegen seine Person (Gottschalk: "Sie machen das gar nicht so schlecht wie alle sagen") – und frotzelt zurück: "Eigentlich wollten wir das mit einer Stoppuhr spielen, aber in eurem Fall brauchen wir einen Kalender."

Den allergrößten Spaß hat (und macht) aber Barbara Schöneberger, die jedes Mal vor Glück gluckst, wenn sie wieder geheißen wird, irgendwo blind rückwärts einzuparken, Hindernis-Pantomime zu absolvieren oder Bier wettzuzapfen. Schöner Höhepunkt war zuletzt, wenn sie beim "Kauderwelsch" Begriffe umschreiben musste und jedes gesagte Wort mit einem demselben vorgegebenem Konsonanten beginnen sollte.

Denn sie wissen nicht was passiert

Dabei ist Schöneberger vor Lachen jedes Mal so sehr den Tränen nahe, dass man zuhause zwangsläufig mitprustet. "Ich liebe dieses Spiel", sagt sie. Oder: "Oh, ist das lustig." Oder: "Ein sehr schönes Spiel!" (Außer beim Leiterwetthüpfen, da sagt sie: Bitte keine Zeitlupen.)

Pizza im laufenden Spielbetrieb

Ist doch klar, dass soviel Action Appetit macht. Deshalb wird mit voranschreitender Sendezeit jetzt manchmal Pizza beim örtlichen Hürther Italiener bestellt und während des laufenden Spielbetriebs verzehrt. "Es macht uns menschlich", versichert Schöneberger, während Gottschalk ("Ich kann gleichzeitig moderieren und essen") Pizza Salami unter den maskierten Kameraleuten und Kabelträgerinnen verteilt. Und weil gerade Steffen Henssler als Kontrahent zu Gast war, wurde diesmal halt direkt was gekocht. Schöneberger: „Mir schmeckt alles, ich hab keine Allergien."

Denn sie wissen nicht was passiert

In anderer Besetzung wäre all das ein Rezept für ein sicheres Desaster. In dieser ist es einfach die Basis für entspannten, sehr langen Fernsehabend, selbst wenn man gegen Oliver Pocher und Michael Wendel antreten muss. Oder wie Gottschalk es im April formulierte: "Bis vor fünf Minuten waren wir am heutigen Abend noch die intellektuelle Speerspitze des deutschen Fernsehens – und dann dieser Absturz."

Halb-Finale wär’ auch okay

Das heißt nicht, dass die Verbesserungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft wären. Günther Jauch könnte ja zum Beispiel endlich mal recht haben mit seiner Ankündigung, das sich in der Regel eeewig ziehende Abschlussspiel sei diesmal bestimmt "nach 20 Minuten durch“. Zumal Gottschalk richtig liegt, wenn er meint: "Das Finale ist ja eigentlich immer eine eigene Show." (Halb-Finale wär’ auch okay.)

Aber sonst ist "Denn sie wissen nicht, was passiert" einfach ein schöner Beweis dafür, wie sehr es sich lohnt, TV-Shows mit jeder neuen Ausgabe weiter feinzujustieren und auch mal laufen zu lassen. Weil sich die Begeisterung der Wettkämpfenden vor den Kameras dann automatisch auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zuhause überträgt – in diesem Fall auch ohne Umweg übers Publikum. Das ist doch nun wirklich ein tosendes Bratkartoffelgeräusch wert!

Und damit: zurück nach Köln.

RTL zeigt zwei weitere Ausgaben von "Denn sie wissen nicht, was passiert" am 29. August und am 5. September, jeweils um 20.15 Uhr.