Wenn Ihnen vor zwei Jahren jemand prophezeit hätte, dass Sie den Großteil des Jahres 2020 zuhause verbringen werden, hätten Sie den Trottel wahrscheinlich nicht für voll genommen. Erst recht, wenn der noch behauptet hätte, dass parallel dazu die erfolgreichste Show des Jahres mit zwei Erdmännchen, einem ägyptischen Mumifizierungsgott, einem Nilpferd im Tutu und einem singenden Skelett im Fernsehen läuft.
Gut, da kann man jetzt auch nichts mehr machen. Am Dienstagabend jedenfalls geht bei ProSieben die dritte Staffel der Musikrateshow "The Masked Singer" zu Ende, in der Prominente in lustigen Kostümen so lange um den Auftritt der Woche buhlen, bis das Publikum sie demaskiert. Bloß: was genau macht die Sendung eigentlich zu so einer Ausnahme? Hier sind sieben Dinge, die sich andere Shows von "The Masked Singer" abgucken können:
1. Die Euphorie, bei etwas Besonderem dabei zu sein
In den 50 Jahren ihrer Karriere habe sie schon an vielen TV-Shows teilgenommen, sagte Vicky Leandros in der vergangenen Woche, nachdem sie als singende Katze enttarnt worden war – aber ein so großartiges Team wie bei "Masked Singer" habe Sie bisher noch nie erlebt.
Dass sich Beteiligte an Fernsehsendungen noch im Verlauf derselben explizit dafür bedanken, dabei sein zu dürfen, gehört sonst eher zu den Ausnahmen. In der ProSieben-Show gibt es solche Dankesworte regelmäßig. Offensichtlich hat da ein Team sehr große Lust daran, richtig gutes Fernsehen zu machen. Diese Begeisterung, bei etwas Besonderem dabei zu sein, überträgt sich auf alle Beteiligten und ist auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer zuhause spürbar.
2. Die Detailverliebtheit
Sein stechend blauer Blick verleiht dem Skelett die Lizenz zum Röntgen, das Alpaka tanzte Woche für Woche in einem neu designten Trainingsanzug auf die Bühne und die Augen der Katze haben auch noch gefunkelt, als die Scheinwerfer gerade für den Bruchteil einer Sekunde aus waren. Bei "Masked Singer" sind nicht zuallererst die teilnehmenden Prominenten die Stars, sondern: ihre Kostüme mit den vielen Details.
Um die Charaktere wirklich zum Leben zu erwecken, haben ihnen die Verantwortlichen zudem kleine Eigenheiten auf Plüsch und Knochen geschrieben. Zwischen all dem Brustgetrommel klappt der Anubis seine Arme von sich als würde er gleich in ein ägyptisches Wandbild klettern, das Nilpferd tänzelt immerzu auf Zehenspitzen um sich selbst und das Alien hat zu dem ängstlichen Zähnegeklapper im Laufe der Staffel einen veritablen Hüftschwung entwickelt. All das lässt die ungleiche Truppe nicht wie einen wandelnden Kostümfundus wirken, sondern: ziemlich lebendig.
3. Das ProSieben-Fernsehballett
Einer ganze Reihe an Helfenden unterstützen die maskierten Promis dabei, bei ihren Auftritten noch ein bisschen heller zu strahlen. Das gilt zuallererst für die Tänzerinnen und Tänzer, die im Hintergrund jeder Performance eine zweite Show auf die Bühne bringen.
Zum Modern-Talking-Medley des Froschs tanzt ein Lurch-Kollektiv in seerosenblattgrünen Strumpfhosen mit Blümchenbadehose, Sonnenbrille und Thomas-Anders-Frise. Saltischlagende Schakale proben vor ihrem singenden Gebieter Anubis den Museumsraub. Und während der Hummer mit Langusten tanzt, lässt sich das Nilpferd zu „Purple Rain" von einer Badewannen-Choreopgraphie begleiten. Eigentlich kann es nicht mehr lange dauern, bis das laufende Wollknäuel und das Nadelkissen aus der "Shine bright like a Diamond"-Interpretation der Katze Premiere mit ihrem eigenen Musical feiern. Als Zuschauerin bzw. Zuschauer weiß man oft gar nicht, wo man zuerst hingucken soll, weil es soviel zu entdecken gibt.
Die Mund-Nasenschutz-maskierten Herren von der Show-Security sind zwar sehr viel weniger beweglich, aber längst nicht nur dafür zuständig, die Promis auf die Bühne zu eskortieren. Sondern dahinter auch für den ein oder anderen Scherz. Nüchtern assistiert der auf dem Boden liegende Personenschützer dem Skelett mit der Feuerfackel, während der Konkurrent im Rampenlicht gerade "Empire State of Mind" performt, vom Frosch lässt er sich die Locken föhnen und dem Nilpferd reicht er rechtzeitig zur nächsten Ballade ein rosa Taschentuch. Da sag nochmal einer, Schränke hätten keinen Humor!
4. Die Überraschungsgarantie
Auch "Masked Singer" lebt als Format ein Stück weit von seiner Routine: Erst laufen ein paar kecke Einspielfilme, dann singen alle, es wird geraten und am Schluss wird jemand demaskiert. Das Kunststück besteht darin, diese Routine für das Publikum immer wieder ein Stück weit aufzubrechen. Zum Beispiel, wenn das Erdfrauchen in der ersten Show zu singen anfängt, plötzlich begleitet wird und man merkt: das sind ja zwei! Das Alien wird während "Perfect Symphony" zum Opernsänger. Und die Katze wechselt plötzlich mühelos ins Französische. Die Show hütet sich, diese von den Prominenten mitgebrachte Munition nicht direkt zu verpulvern, sondern setzt sie sorgsam Woche für Woche ein, um zu verblüffen.
Gleichzeitig gelingt es zunehmend, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu rekrutieren, die ihre Prominenz auch über den Rand der eigenen Sendergruppe hinaus erworben haben, teilweise sogar für die Konkurrenz tätig sind oder sonst eher selten zu den regelmäßigen Gästen von TV-Shows gehören. Das hat "The Masked Singer" seiner schnell gewachsenen Beliebtheit zu verdanken, und genau das macht das Mitraten weiterhin faszinierend: Weil nach Vicky Leandros, Veronica Ferres und Dieter Hallervorden inzwischen wirklich (fast) jede bzw. jeder unter einem der Plüschköpfe stecken könnte. (Weiß eigentlich jemand, wie voll der Terminkalender des Bundespräsidenten im nächsten Frühjahr ist?) Noch toller wär's, wenn dieser Überraschungseffekt künftig auch bei der Auswahl der wechselnden Jury-Köpfe berücksichtigt würde.
5. Die musikalische Inszenierung
Am laufenden Band betont die Jury, dass es bei der Bewertung vor allem darum geht, wer seine Rolle am besten ausfüllt. Und trotzdem ist "The Masked Singer" eine Show, in der es eben auch auf herausragenden Gesang ankommt – zum Beispiel von Prominenten, denen man das so vielleicht gar nicht zugetraut hätte; oder von Profis, die das Publikum mit ihrer Performance mitreißen können.
Als Astronaut aus der ersten Staffel müsste Max Mutzke doch eigentlich Stadien füllen (sobald sich Stadien wieder füllen lassen)! Und wenn am Dienstag die Identität des Skeletts enttarnt wird, wird sich die deutsche Musikbranche die Frage gefallen lassen müssen, was eigentlich schief gelaufen ist, dass dieser Person nicht längst zu länderübergreifendem Ruhm verholfen werden konnte. (Wahrscheinlich: weil einem hierzulande niemand Songs wie für Sia schreibt, sondern bloß für die nächste Silbereisen-Schlagerparty.)
6. Den Opdenhövel
"Manchmal krieg ich selber Angst: Hier arbeiten nur Besessene", hat Matthias Opdenhövel im Halbfinale gesagt. Wobei die Besessenheit in diesem Fall positiv zu beurteilen wäre, und das liegt auch daran, dass Opdenhövel mit soviel Freude an "Trötenöhrchen" und "Monsterchen", guter Laune und gleichzeitiger Disziplin für die Bändigung der Jury-Rätseleien durch den Abend führt, dass man gegen halb zwölf unbekümmert einschlummern kann. Und: Als einer von wenigen Eingeweihten hat er sich bislang bei den Promi-Identitäten noch nie verplappert! (Auch wenn man wahrlich kein Mentalist sein muss, um ihm manchmal anzusehen, wenn die Jury einen Namen richtig geraten haben könnte.)
7. Die Staffellänge
Kaum hat sie angefangen, ist die Staffel auch schon wieder vorbei – und das gehört zu den größten Stärken des Formats, das sein Publikum nicht über Monate auf einen oder sogar zwei Sendetermine pro Woche festzunageln versucht. Selbst wenn der wichtigste Grund dafür sein dürfte, dass ProSieben die live gesendete Geheimhalterei nicht unendlich lange aufrecht erhalten kann. Im Gegenzug hat sich der Sender bereits dazu verleiten lassen, zwei Staffeln pro Jahr zu produzieren – und die wöchentliche Sendezeit so sehr zu dehnen, dass die Monetarisierung vollständig ausgeschöpft werden kann.
Gleichzeitig sollte man in München auf der Hut sein, die Gunst der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht zu sehr mit ausufernden Werbeblöcken sowie aufdringlicher Produktplatzierung überzustrapazieren – weil's mit dem Zauber dann auch ganz schnell wieder vorbei sein kann. Zu dem gehört es nunmal auch, dass die wundersame Promi-Verwandlung jede Staffel so schnell vorbei ist, dass es sich danach schon auf die nächste zu freuen lohnt.
Und damit: zurück nach Köln.
Das Staffelfinale von "The Masked Singer" läuft am Dienstag um 20.15 Uhr bei ProSieben. Alle bisherigen Shows sind bei Joyn Plus abrufbar.