Am Ende der Woche, in der sich die EU erst nach längerem Streit über ihren neuen Haushalt mit dem milliardenschweren Corona-Hilfspaket einigen konnte und Großbritannien selbst kurz vorm epischen Brexit-Finale weiter um ein Austrittsabkommen schachern wollte, hat Jörg Pilawa am Samstagabend im deutschen, österreichischen und im Schweizer Fernsehen dankbarerweise daran erinnert, dass Europa eigentlich auch ganz putzig und unterhaltsam sein kann.

Oder hätten Sie gewusst, dass finnische Reisepässe besonders fälschungssicher sind, weil sie über ein eingebautes Elch-Daumenkino verfügen? Dass der Nikolaus in den Niederlanden mit dem Dampfschiff extra aus Spanien kommt? Und dass die Schweiz zusammen mit dem Vatikan die einzige quadratische Nationalflagge der Welt hat?

Macht nix, einigen von Pilawas Kandidatinnen und Kandidaten der Premiere des "Quiz ohne Grenzen" im Ersten ging’s genauso. Nun hat sich bei der Konzeption dieses Abends gewiss niemand kreativ verheben müssen, um acht Prominente stellvertretend für "ihre" Länder in sehr gleichförmigen Raterunden gegeneinander antreten zu lassen: DJ Bobo für die Schweiz, Miroslav Nemec für Kroatien, Samu Haber für Finnland, Markus Lanz für Südtirol, Kaya Yanar für die Türkei, Emilia Schüle für Russland und "Günnipedia" für Deutschland (dessen frühere Produktionsfirma die Show nicht nur herstellen, sondern den Ex-Chef nachher auch noch als Sieger befeuerwerken durfte).

Finnische Schlaflieder, isländische Lebensweisheiten

Dennoch hatte Pilawas x-ter Quiz-Anlauf so ziemlich alles, was man von so einem Samstagabend im Dezember des erschöpfenden Jahres 2020 erwarten können darf, wenn man mal für dreieinhalb Stunden keine Infektionsstatistiken, vollen Fußgängerzonen und Lockdown-Spekulationen sehen mag: eine Runde gut gelaunter Promis, gaaanz süße Tiere – und die Gewissheit, sich nicht von einem allzu aktionsreichen TV-Programm anstrengen zu lassen.

Wenn es nach den Partnern ARD, ORF und SRF geht, könnte "Quiz ohne Grenzen" das Show-Erbe der Vorläufer "Spiel für dein Land" und "Ich weiß alles" antreten, die nicht fortgesetzt werden sollen (im letztgenannten Fall, weil dafür Studiopublikum benötigt würde, das sich aktuell ja aufs Adventsshopping konzentrieren muss).

Und, zugegeben: Im deutschen Fernsehen ist zur besten Sendezeit sonst eher selten Platz, um ungarische Sprichworte, finnische Schlaflieder und isländische Lebensweisheiten im Original vorzutragen ("Es gibt drei Dinge, die gegen Winterdepression helfen: Witze, Lebensfreude und Alkohol"). Im Idealfall überlegt für die Fortsetzung aber vielleicht doch mal jemand, wie ein solcher Abend noch ein bisschen vielfältiger europäisch werden könnte, um nachher nicht wieder bloß von Lasern ins Studio gebeamte Gebäude erraten zu müssen.

Signal des europäischen Zusammenhalts

Schon als Lebenszeichen des europäischen Zusammenhalts ist es ja ohnehin nicht verkehrt, vor so eine Show die stets festlich wirkende Eurovisionsfanfare zu schalten, um dem Publikum zu vermitteln, dass es seinen aktuellen Einschaltimpuls in diesem Moment mit der europäischen Nachbarschaft teilt.

Eurovision ARD ORF SRF © Screenshot Das Erste Eurovisionsankündigung (die Fanfare müssten Sie sich bitte selbst dazutrompeten)

In der vergangenen Woche hab ich deshalb mal bei den Sendern nachgefragt, welchen Stellenwert Eurovisionsshows im Jahr 2020 noch für sie haben, und die Antwort von ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber klingt ein bisschen so, als hätte er sich dafür frisch gebadet im Schlafanzug vor den Fernseher gesetzt.

Schreiber sagt: "Es ist nach wie vor ein besonderer Moment, wenn am Samstagabend die drei deutschsprachigen Länder ein gemeinsames Show-Programm ausstrahlen. In aller Regel sind das Programme, die – egal ob durch Musik oder durch Spiel und Spaß – nicht nur Länder verbinden, sondern eben auch Menschen." Über die Eurovision lerne das Publikum in Deutschland besondere Künstlerinnen und Künstler oder Kandidatinnen und Kandidaten aus Österreich und der Schweiz kennen – und umgekehrt. "Eine gute Eurovisionsshow hat immer noch das Zeug, am Samstagabend vor einem Millionen-Publikum Brücken zu bauen."

14 Abende mit Fanfare

2020 werden im Ersten insgesamt an 14 Abenden Eurovisionsshows gelaufen sein – von den "Feste"-Shows mit Florian Silbereisen über "Verstehen Sie Spaß", "Klein gegen Groß" und das neue "Quiz ohne Grenzen" bis zur "Silvester Show" am 31. Dezember. Schreiber: "Die Zahl der Eurovisions-Shows ist über die Jahre relativ konstant."

Oliver Heidemann, Unterhaltungschef des ZDF, bekräftigt: "Der Stellenwert dieser Zusammenarbeit [mit ORF und SRF] ist weiterhin hoch, denn Programm für so ein großes Sendegebiet zu entwickeln, ist natürlich eine attraktive Aufgabe." Was produziert werde, entscheiden die beteiligten Sender in der Regel gemeinsam. Dafür stünden deren Unterhaltungschefs in regelmäßigem Austausch – "und das nicht nur über konkrete Projekte, sondern auch über alle anderen praktischen und strategischen Aspekte der TV-Unterhaltung", so Heidemann. In Sachen Show kooperiert man beim ZDF vor allem für die (in diesem Jahr wegen Corona ausfallende) "Helene Fischer Show", im neuen Jahr kommt außerdem die Spezialausgabe von "Wetten, dass..?" dazu.

Angesichts der stärker werdenden euroskeptischer Tendenzen in manchen Ländern wäre vielleicht sogar die Zeit reif dafür, diese Art der Zusammenarbeit noch ein bisschen öfter als bisher zu zelebrieren. Oder wie’s Pilawa in der Ankündigung für seine neue Show mit verschmitztem Pilawalächeln formuliert hat: "Einer wird gewinnen am Samstagabend beim 'Quiz ohne Grenzen'. Wetten, dass?"

Quiz ohne Grenzen © NDR/Max Kohr Beim "Quiz ohne Grenzen" durften die Promis fahnenschwenkend zur Eurovisionsfanfare einlaufen

Her mit den Entertainment-Eigenarten!

Dabei ist die neuste Quiz-Kooperation natürlich in allererster Linie eine Anspielung aufs legendäre "Spiel ohne Grenzen", das zwischen 1965 und 1980 im deutschen Fernsehen lief und bei dem Teams aus unterschiedlichen Ländern Europas in Rutsch-, Dreh- und Gleichgewichtsspielen gegeneinander antraten. Die Neuauflage mit Michael Schanze war 1989 nur von kurzer Dauer, und Mitte der Nuller Jahre kündigte die Europäische Rundfunkunion (EBU) ein Revival an, zu dem es nie kam.

Vielleicht geht es auch in Ordnung, dass sich die Klassiker der Vergangenheit nicht so einfach exhumieren lassen, zumal die Gefahr besteht, dass ihr Zauber womöglich an den Gewohnheiten der Gegenwart zerschellen könnte. (Fragen Sie mal das Moderatoren-Trio der "Deutschland Champions" anno 2003.) Aber das heißt ja nicht, dass man’s nicht mit neuen Ansätzen versuchen könnte.

"Schon einige Ideen", seien von den Sendern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam entwickelt worden, bestätigt ARD-Unterhaltungskoordinator Schreiber – wie jetzt eben das "Quiz ohne Grenzen". Aber denken wir das doch am besten gleich viel größer und holen noch einen Schwung anderer Partner aus der Rundfunkunion an Bord, um wenigstens einmal im Jahr – und parallel zum Eurovision Song Contest – eine Art Best-of der erfolgreichsten Shows Europas zu zelebrieren. (Sobald das wieder möglich ist.) Einen Abend in mehreren Sprachen, mit beliebten Elementen aus dem italienischen, dänischen, kroatischen und deutschen Fernsehen, um die Entertainment-Eigenarten der Nationen beschnuppern zu können!

Fernsehratspräsidentschaft zu vergeben

Organisiert werden könnte dieser öffentlich-rechtliche Abend in bester EBU-Tradition mit jährlich wechselnder Landesverantwortung (idealerweise natürlich, ohne dass sich ein Sender wegen des Aufwands dafür komplett verschulden muss).

Meinetwegen übernehmen wir auch direkt den Aufschlag – mit einer deutschen Fernsehratspräsidentschaft für die allererste Europa-"Show ohne Grenzen". Um das Publikum nicht gleich komplett zu überfordern, kann am Ende ja ruhig wieder Günther Jauch gewinnen, oder zur Abwechslung halt Markus Lanz, damit der nicht so traurig gucken muss, wenn ihm kurz vorm Beinahe-Sieg der Name des bekannten belgischen Meisterdetektivs nicht einfällt. (Hercule Poirot! – quasi der Karl Lauterbach der Kriminalliteratur.) Dann haben die anderen per Eurovision zugeschalteten Nationen auch gleich was zum Sichwundern darüber, wie die seltsamen Deutschen ihre Samstagabende so verbergen. Was tut man nicht alles für die Völkerverständigung.

Und damit: zurück nach Köln.

Korrektur: In der ursprünglichen Version dieses Texts war Jörg Pilawa fälschlicherweise auch als Moderator der "Deutschland Champions" genannt. Entschuldigung.

Die erste Ausgabe vom "Quiz ohne Grenzen" ist in der ARD Mediathek ansehbar.