Unter all den Wochentagen hat sich der Montag kulturgeschichtlich nicht den allerbesten Ruf erworben. Unzählige Liedzeilen wurden zu seinen Lasten verfasst ("I wish it was Sunday / 'Cause that's my fun day"), vergessene Comic-Kater haben ganze Karrieren auf ihren Montagshass aufgebaut, im Formatradio fangen überdrehte Morgenmoderationen mit den ersten Witzen darüber an, dass es nur noch vier Tage bis zum Wochenende sind.

Und jetzt kommt auch noch Christine Strobl und macht alles schlimmer.

Zur Ankündigung des neuen Programmschemas erklärte die ARD-Programmdirektorin Mitte Oktober in einem Pressegespräch: "Wir haben uns vorgenommen, das Profil des Ersten deutlich zu schärfen, insbesondere, indem wir am Montag ein klares Informationsversprechen geben." Und bevor sich eruieren ließ, was Versprechen wert sind, die gar niemand eingefordert hat, ergänzte ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, man wolle den Montag "als Info-Tag" ausbauen: "Unsere besten Dokus, die Highlights, werden wir um 20.15 Uhr zeigen." Außerdem: am späteren Abend noch ganz viel Wissen, im Wechsel mit "spannenden und kontroversen" Themen aus dem Ausland.

Gesellschaftliche Abgründe zum Feierabend

Als die beiden fertig waren, hätte ich mich der vorausahnenden Erschöpfung wegen am liebsten direkt hingelegt und wäre gemütlich weggenickert, weil: Ich glaube, der bevorstehende Winter wird auch schon ohne die Profilierungsambitionen der ARD hart genug. Vor allem montags.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund glaubt man in München aber daran, dass der erste Tag der Woche in hervorgehobenem Maße dafür geeignet sei, Zuschauerinnen und Zuschauern Programme über den aktuellen Zustand der Welt im Allgemeinen und des Landes im Speziellen zuzumuten. Dabei hat Fernsehdeutschland zu diesem Zeitpunkt meist gerade erst den edukativen Erzähl-Spin verdaut, mit dem ihm 24 Stunden zuvor die aktuelle "Tatort"-Leiche aufs Pflaster gelegt worden ist.

Montags, das versteht sich doch eigentlich von selbst, fällt zahlreichen Menschen die Direktkonfrontation mit den Realitäten des Alltags noch viel schwerer als sonst. Niemand, wirklich niemand, der montagabends von der Arbeit heimkommt, hat jemals den Satz gesagt: Och, und jetzt freu ich mich nach der "Tagesschau" noch auf ein gut recherchiertes kritisches Filmchen über die Abgründe unserer Gesellschaft. (Selbst wenn findige Redakteurinnen und Redakteure dort mit ausgelatschten Promi-Turnschuhen zu locken wüssten.)

Sanft röhrt der Hirsch am Wochenanfang

Es hat sich im Ersten über die Jahre bloß so eingebürgert, dass zu Wochenbeginn ab 21 Uhr Frank Plasberg in der 90er-Jahre-Kulisse von "Hart aber fair" rumsteht und in seinem Talk all die Themen beackert, die man übers Wochenende zu vergessen versucht hat.

Dass das keineswegs gottgegeben ist – auch wenn diese Entscheidung in der Programmdirektion gefällt wurde, die dem Allmächtigen in der oberen Etage des BR-Hochhauses sehr, sehr nahe ist –, müsste sich inzwischen eigentlich selbst in der ARD herumgesprochen haben. Nicht umsonst schickt das Erste sein Publikum derzeit oft eher sanft in die neue Woche, unter anderem mit ganz seriös gemachten Naturreportagen wie dem "Geheimen Leben der Rothirsche", wo die recht expliziten Brunftbemühungen röhrender Geweihträger neulich mit sanfter Klaviermusik unterlegt wurden, damit der Off-Kommentator fachsimpeln konnte: "Bei Rothirschen herrscht Damenwahl. Ist sie nicht überzeugt, geht so mancher Schuss ins Leere." (Danach wurde direkt ein völlig unverdächtig kamerakommod in die Landschaft drapierter Hirschkadaver von Raben, Seeadlern und Wölfen bildgewaltig zerfleddert.)

Man muss sich ja bloß mal ansehen, was die Konkurrenz montagabends so alles aufbietet, um den Charakter zu verstehen, der dem ersten Tag der Woche in der Branche sonst beigemessen wird: RTL holt sich mit dem Format-Oldie "Bauer sucht Frau" trotz sinkenden Zuspruchs um viertel nach acht wiederholt die Marktführerschaft in der jüngeren Zielgruppe; Vox erzählt bei "Goodbye Deutschland" Auswanderergeschichten, deren kathartischer Effekt darin besteht, die Zusehenden in ihrem Daheimbleiben zu bestärken.

Zwei Ambosse um den Hals

Und falls Ihnen das noch nicht als Indiz für die behauptete Montags-Infomuffeligkeit genügt, möchte ich hiermit meinen Joker bemühen, die Dauerwurst unter den TV-Traditionen: den Krimi auf dem einstigen Fernsehfilmsendeplatz im ZDF, in der zurückliegenden Woche eingeschaltet von 6,97 Millionen Menschen ab 3 Jahren (fast 24 Prozent Marktanteil), die lieber nix über den ganzen Schlamassel um sie herum wissen wollten, sondern: Wann kriegt der Heino Ferch als Sonderermittler Ingo Thiel raus, wohin die 14-jährige Nele aus dem Bergischen Land verschwunden ist?

Machen wir uns, wie "Lanz & Precht" sagen würden, doch mal ehrlich: Der Montagabend ist für die allermeisten Menschen kein Tag, an dem die Fernbedienung in der Hand von einem gesteigertem Informationsbedürfnis geleitet wird.

Niemand hat das zuletzt leidvoller erfahren als ProSieben, wo man seinem zu Beginn der TV-Saison neu gestarteten Info-Journal "Zervakis & Opdenhövel. Live" zusätzlich zum Sendeplatz am Montagabend gleich noch einen zweiten Amboss um den Hals band: die Ausstrahlung um 20.15 Uhr. Das Ergebnis ist bekannt – und bedauerlich: Nur eine sehr überschaubare Zahl an Zuseherinnen und Zusehern hat in den vergangenen Wochen eingeschaltet, um mitzukriegen, wie ambitioniert gemachtes Infotainment im deutschen Privatfernsehen aussehen kann, wenn es sich um Relevanz bemüht.

Ist Mittwoch ist der bessere Montag?

In der vergangenen Woche lief "Zervakis & Opdenhövel. Live" zwei Monate nach dem Start erstmals auf dem neuen Platz mittwochs um 21.15 Uhr und sammelte dort prompt doppelt soviel Publikum ein – natürlich auch dank des Überraschungs-Comebacks von "TV total" davor. Aber selbst ohne Steilvorlage dürfte die spätere Sendezeit zur Mitte der Woche besser für die Art von Fernsehen geeignet sein, die "ZOL" sein möchte.

Wobei: Ob man in Unterföhring wirklich schon weiß, was der Newcomer unter den TV-Magazinen eigentlich sein möchte, lässt sich durchaus anzweifeln. Denn so konsequent die Redaktion Woche für Woche Themen mit gesellschaftlicher Bedeutung – von der häuslichen Gewalt bis zum Missbrauch von Kindern im Sport – anpackt: Richtig zusammen passt das alles noch nicht.

Natürlich hilft es, um den eigenen journalistischen Anspruch zu formulieren, auch mal mit komplexen Themen aufzumachen, die selbst bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz zu dieser Zeit keine Chance hätten. Gleich mit dem schwersten Thema des Abends einzusteigen, ist allerdings für den Aufbau eines treuen Stammpublikums eher hinderlich – erst recht montags um viertel nach acht, wenn die meisten noch das in der "Tagesschau" vorhergesagte Herbstwetter verdauen müssen.

Allen Anstrengungen zum Trotz wirkt "Zervakis & Opdenhövel. Live" auf mich bislang wahnsinnig unbeweglich und statisch. Das mag auch an dem viel zu kleinen Studio liegen, in dem sich das Moderationsduo immer gegenseitig auf den Füßen steht; oder daran, dass man vom Corona-bedingt auseinander gesetzten Publikum immer nur die Hinterköpfe im Bild sieht, aber nie die Reaktionen auf das im Studio Besprochene und Gezeigte.

Paradedisziplin: emphatisches Betroffeneninterview

Vor allem aber ist es der teilweise kuriosen Mischung der Sendung geschuldet, die einerseits demonstrativ journalistisch geprägt ist und gleichzeitig wiederholt als erweiterte Spielfläche des ProSieben-Programms zweckentfremdet wird, als wäre sie der erwachsene Bruder von "red": zum Beispiel, wenn Jens Riewa noch mal erzählen soll, wie das im Chili-Kostüm bei "The Masked Singer" war, oder ein zusammengestoppelter Beitrag über den Retro-TV-Trend Zuschauerinnen und Zuschauer von "TV total" zu "ZOL" rüberziehen soll – wo man sie anschließend per hartem Cut auf die Corona-Zusammenfassung der Woche auflaufen lässt.

Natürlich ist's interessant, der Sendung dabei zuzusehen, wie sie ihre Form zu finden versucht (was ich ihr von ganzem Herzen wünsche): Wie Linda Zervakis jetzt auch mal rausdarf, um beim Spaziergang, im Café, im Park mit Protagonistinnen und Protagonisten zu reden; wie mit dem Aufbau der Sendung experimentiert wird; wie die Redaktion darum bemüht ist, Themen möglichst eng mit der Lebenswirklichkeit ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer zu verknüpfen.

Gleichzeitig muss sich das Moderationsduo aber auch vorwerfen lassen, ziemlich schnell aus der Form zu geraten, wenn ausnahmsweise mal nicht seine Paradedisziplin des emphatischen Betroffeneninterviews gefragt ist.

Als Gesundheitsminister Jens Spahn vor ein paar Wochen zu Gast war, um mit der Protagonistin der abendfüllenden Joko-und-Klaas-Doku zum Alltag in der Pflege über den Zustand an deutschen Krankenhäusern zu diskutieren und sichtlich auf Verteidigung gebürstet vorpreschte, agierten sowohl Zervakis als auch Opdenhövel erstaunlich milde und schafften es nicht, an wichtigen Punkten nachzuhaken und Spahn stärker in die Pflicht zu nehmen. Kann sein, dass das nicht gewollt war. Aber es stünde der Sendung, schon aus Gründen der Abwechslung, gut zu Gesicht.

Und wie steht's um Ihr Glyphosatlevel?

"Zervakis & Opdenhövel. Live" fehlt bislang ganz offensichtlich ein Gleichgewicht, und daran ist ausnahmsweise mal nicht der Montag Schuld, wie wir spätestens seit Mittwoch wissen; vielleicht gelingt es der Redaktion auf dem neuen Sendeplatz aber, das noch zu ändern. (Womöglich braucht dann künftig auch kein ProSieben-Reporter an Kölner Tankstellen mehr live nachzufragen, ob den Leuten eigentlich das Tanken zu teuer geworden ist.)

Und montags übernehmen wieder "Young Sheldon" und "Die Simpsons" die Aufgabe, das ProSieben-Publikum möglichst unbeschwert in die neue Woche zu tragen. Wobei man ja auch in Springfield nie ganz sicher ist vor einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen.

Dass Mr. Burns am Montag in der Folge "Burger Kings" nach übermäßigem Hamburgerkonsum einen Herzinfarkt erleidet und daraufhin einen nach Fleisch schmeckenden, viel besser verträglichen Pflanzenburger erfinden lässt, wirkt ja im Grunde genommen wie eine einzige kommentierende Konsequenz aus "Jenke. Das Food-Experiment", das zwei Wochen zuvor auf demselben Platz lief. Mit ganz guter Quote, zugegebenermaßen. Aber ich bin nachher mit dem unguten Gefühl durch die Woche gelaufen, unbedingt mein eigenes Glyphosatlevel bestimmen zu wollen, ohne dazu Gelegenheit zu haben. Das hat die Laune bis Freitag auch nicht unbedingt gesteigert.

Und damit: zurück nach Köln.

ProSieben zeigt "Zervakis & Opdenhövel. Live" ab sofort mittwochs um 21.15 Uhr.