Wenn Ihnen vor zwei Jahren jemand prophezeit hätte, dass der ganze Corona-Schlamassel Anfang 2022 immer noch nicht rum ist, hätten Sie dem Trottel wahrscheinlich einen Vogel gezeigt. Erst recht, wenn der im gleichen Atemzug behauptet hätte, dass parallel dazu eine Quizshow im Fernsehen läuft, bei der ständig die moderative Betreuung wechselt, und die auch deswegen absurde Marktanteile einfährt.

Gut, da kann man jetzt auch nichts mehr machen. Am Dienstagabend jedenfalls geht bei ProSieben die dritte – und bislang erfolgreichste – Staffel von "Wer stiehlt mir die Show?" zu Ende, in der Anke Engelke, Mark Forster und Riccardo Simonetti ein letztes Mal versuchen, ihrem Gastgeber Joko Winterscheidt den Job bzw. in diesem Fall: ein Rätselheft abzunehmen. Bloß: was genau macht die Sendung eigentlich zu so einer Ausnahme?

Hier sind acht Dinge, die sich andere von "Wer stiehlt mir die Show? abgucken können. (Und eins, das lieber nicht.)

1. Die Regeln des Genres brechen

Sorry, Jörg – aber niemand braucht noch 'ne Quizshow im Fernsehen. Es sei denn, sie bricht konsequent mit so ziemlich jeder Erwartung, die das Publikum im Laufe der Jahre an das Genre gesammelt hat. Zum Beispiel mit einem in Pastelltönen getauchten Studiodesign, das seine Kandidatinnen und Kandidaten vor vogelkäfighafte Bögen mit eingelassenem Bildschirm setzt (mit Seitenwänden von minderer Qualität); oder eine wahnsinnige Kameraführung, die saust und wirbelt und ackert, dass man zuhause gar nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht; oder der Lust, Fragentypen auszuprobieren, die in Quizzen sonst nie, nie, niemals geduldet werden. Dann gibt's bei "Wie wird das Wetter morgen?" halt Punkte für Originalität; oder es kommt eine ganze Reihe kleiner Helferlein zum Einsatz, um Antworten zu offen gestellten Fragen in Echtzeit auf ihre Richtigkeit zu ergoogeln. Macht extra Arbeit. Macht aber auch extra Spaß.

2. Die Extra-Mühe mit den Kategorien

A, B, C, D, fertig ist das Quizkonzept – außer, die Redaktion macht nicht schon nach dem Frühstück Feierabend. Und denkt sich stattdessen aus, dass die Kandidatinnen und Kandidaten ihre Antworten ersteigern, aus Papier ausschneiden oder mit Schimpfwörtern buchstabieren sollen; was alles gar nicht so einfach ist, und genau deshalb so schöne Ergebnisse produziert. Oder wie's auf Engelkisch heißt: Rotzlöffel! Ekelpaket! Meckerziege! Igelpisser! Schlopfe!

3. Das Panel der nicht-üblichen Verdächtigen

Um der inzwischen hauptberuflichen Tätigkeit mancher Schauspielerin und manches Moderators gerecht zu werden, überlegt die Künstlersozialkasse, den Kunstbereich D20 ("Darstellende Kunst / Quizshowteilnahme") in ihre Formulare aufzunehmen – weil zahlreiche Prominente inzwischen häufiger zum Fragenbeantworten in Fernsehstudios herumsitzen als in ihrem erlernten Beruf. Umso toller ist's, wenn sich ein Panel mal aus den nicht-üblichen Verdächtigen speist.

"Wer stiehlt mir die Show?" hatte dafür bereits in den ersten Staffeln ein hervorragendes Händchen, weil Gäste Promi-Generationen-übergreifend ausgesucht wurden, um einander zu ergänzen. Aber diesmal passt's wirklich perfekt. Engelke, Forster und Simonetti sieht man den Spaß, den sie damit haben, mit- bzw. gegeneinander zu spielen, so sehr an, dass sich die gute Laune durch den Bildschirm bis ins Wohnzimmer durchpaust – und man ein bisschen darauf hofft, dass die drei demnächst mit ihrem Enthusiasmus fürs erste Quiz-Verstecken im deutschen Fernsehen auf Tour gehen.

4. Der Ausbruch aus dem Gewohnten

Die Königsdisziplin des TV-Entertainments ist die Duldung des Unberechenbaren – oder zumindest die Inszenierung desselben. Darin macht der ProSieben-Rateshow so schnell keiner was vor. Der Reiz, mit einwöchigem Vorlauf angekündigt zu kriegen, dass die nächste Ausgabe besonders originell verpackt und mit speziellen Knalleffekten versehen sein wird, ist großartig – und mit Engelkes Moderation ESC-Stil samt Conchita-Wurst-Duett für "Joko weiß eh nix" und Mark Forsters Stadioneinmarsch auf dem zum Betzenberg umdekorierten Studio mit Bengalo-Feuer und "You'll never walk alone" sensationell gut umgesetzt.

Das geht nur, weil "Wer stiehlt mir die Show?" die Idee, der Gewinnerin bzw. dem Gewinner jeder Ausgabe die Sendung zu übertragen und auf den Leib zu schneidern, wirklich ernst nimmt – und ein mit maximalem Aufwand inszeniertes Fünf-Minuten-Intro schafft, das die Zuschauer aus dem Gewohnten herauskatapultiert. (Um es ihnen – genauso wichtig! – später wieder zurückzugeben.)

5. Die Live-Band

Was sich alles Fantastisches anstellen lässt, wenn man sein Budget mal nicht in riesige LED-Screens investiert, sondern in eine – Live-Band! Haufenweise originelle Musikratespiele nämlich. Zum Beispiel das Erraten von Serien-Titelmelodien, die von einzelnen Instrumenten alle gleichzeitig gespielt werden ("Alle unter einem Krach"); oder von Songs, deren Instrumente von den Bandmitgliedern gesungen anstatt gespielt werden ("Instrumenta Capella"); oder von Songs, bei denen die Melodie des einen mit dem Text des anderen verschmolzen wurde ("Song Song Song"). Und wer hätte gedacht, dass David Guettas "Titanium" in der Blaskapellenversion besser fetzt als im Original?

6. Den gepflegten Moderatoren-Diss

Winterscheidts Quiz ist vielleicht die einzige Sendung, in der die Gäste permanent gegen den Eigentümer stänkern, sticheln und frotzeln können, ohne dass der sich wehren dürfte – weil sie ja gekommen sind, um den Igelpisser zu entthronen! (Und der in seiner ursprünglichen Rolle stets höflich zu bleiben hat.) Manchmal ergibt sich dadurch auch ein hübsch anzusehender Hochmut vor dem Fall, wie bei Mark Forster, der in der Vorwoche gegen Winterscheidt im Finale lästerte: "Ich check' nicht, wie man so dumm sein kann." Um sich dem Gedemütigten zwei Minuten später doch geschlagen geben zu müssen.

7. Den Cube

Er ist gleichzeitig Designelement, Kategorien-Preview, Countdown-Einblender, Fragen-Ablesegerät und Projektionsfläche für den gelungenen Showwechsel. Wobei man, wenn man die Idee vom coolen Bildschirmwürfel unter der Studiodecke schon klaut, die natürlich auch angemessen einzusetzen wissen muss. Also: genau nicht so wie die traurige Bildschirmzapfenkopie neulich beim RTL-"Gipfel der Quizgiganten".

8. Die zelebrierte Verabschiedung

Während Ausgeschiedene andernorts nach besiegelter Niederlage unter höflichem Klatschen von der Bühne gebeten werden, desavouiert "Wer stiehlt mir die Show"? seine Ausgesiebten und zelebriert ihren Abschied zugleich – indem sie durch den Tunnel der finalen Schmähung geschickt werden. Bevor der "Loser aus der Show entfernt" wird, wie eine mechanische Stimme dort ankündigt und die geländeeigene Müllabfuhr zum Einsatz kommt, wird in Zeitlupe mit wechselndem Soundtrack noch an dessen schönste Irrtümer der vorangegangenen Minuten erinnert. So viel Mühe gibt sich sonst keine Sendung mit ihren nicht mehr benötigten Stars – nicht mal, wenn die vorher für zwei Wochen in irgendwelchen Dschungeln herumgesessen haben.

Extra-Joker für die Normalos – jetzt!

"Wer stiehlt mir die Show?" demonstriert, wieviel Spaß sich aus einem Genre herausholen lässt, das eigentlich schon bis zur Erschöpfung ausgequetscht worden schien – unter der Voraussetzung, sich auch mit Kleinigkeiten allergrößte Mühe zu geben.

Bloß dass die Show noch keinen richtigen Umgang mit den Wildcard-Kandidatinnen und Kandidaten gefunden hat, von denen die allermeisten schnell wieder ausscheiden, ist erstaunlich. Zumal der Impuls, ganz normale Leute gegen Prominente um Winterscheidts Show spielen zu lassen, ja quasi der Urreiz dieser ganzen Schnapsidee ist. Wie wär's in der nächsten Staffel mit einem Extra-Joker, der den Nachnamenlosen aus der Zuseherschaft hilft, ihren Malus der Kameraunerfahrenheit auszugleichen?

Ein abgekartetes Spiel?

Und schließlich ließe sich vortrefflich darüber streiten, wie legitim es ist, dem durchaus erwünschten Show-Klau aktiv nachzuhelfen. Zumindest sind die Musik-Fragen für Musiker Forster und die Oscar-Fragen für Film-Kennerin Engelke in den Finalspielen ebenso auffällig wie die Tatsache, dass "der einzig wahre und echte Moderator dieser Show" sein aus dem Italienurlaub mitgebrachtes Sprachwissen just dann anwenden konnte, als es praktisch war, die Show mal zurück zu gewinnen.

Zwischendurch baut "WSMDS" seinen Stars noch viel unverhohlener Brücken (mit güldenen Geländern), wenn etwa beim tollen Spiel "Wer nichts wird, wird Nerd" Kategorien auftauchen, die von den Mitspielenden mit möglichst vielen passenden Antworten gefüllt werden müssen. Bastian Pastewka wusste in Staffel zwei endlos Rollennamen aus "Star Trek" aufzuzählen, das die Redaktion zuvor leicht als eines seiner Lieblingsserien-Universen identifizieren konnte; Shirin David legte mit Harry-Potter-Charakteren nach, was angesichts ihres vorherigen Fan-Geständnisses auf Twitter absehbar war. Diesmal gelang dem "Sex and the City"-Auswendigkenner Riccardo Simonetti selbiges mit "SatC"-Charakteren; und die Kategorie "ÖPNV-Stationen" stand da natürlich für Engelke, die in Köln bekanntlich ständig Straßenbahn fährt.

Dass einem Knalleffekt öfter mal auf die Sprünge geholfen wird, ohne dem Publikum die dafür genutzten Mittel unter die Nase zu reiben, hat bei der produzierenden Show-Schmiede aus Berlin ja durchaus Tradition. Und auch "Wer stiehlt mir die Show?" wirkt ab und an wie ein abgekartetes Spiel. 

Das ist einerseits eine gute Gelegenheit zum Kleinen Applaus für Florida Entertainment. Und lässt sich andererseits natürlich prima ignorieren, weil man sich zu Unterhaltungszwecken im deutschen Fernsehen schöner gerade halt nicht abkarten lassen kann.

Und damit: zurück nach Köln.

ProSieben zeigt das Finale der dritten Staffel von "Wer stiehlt mit die Show?" am Dienstag ab 20.15 Uhr.