Wenn das deutsche Fernsehen irgendwann in unbestimmter Zukunft vor seinem Schöpfer steht und erklären muss, was es zeitlebens auf Erden zu leisten vermochte, dann wird die Antwort unweigerlich lauten: "Wetten dass..?" Und: Auswanderer-Reportagen. Die haben die Leute immer gern gesehen, um abwechselnd mit Schadenfreude und Bewunderung zu verfolgen, wie Unbekannte den Neustart fern der Heimat wagen, an Sprachbarrieren zerschellen oder tatsächlich die erträumte Schafzucht, das Hotel oder den Friseurladen in die Tat umsetzen.

Keine dieser Geschichten hat in all den Jahren so sehr verfangen wie die der Reimanns, die anno 2004 dank Greencard-Gewinn mit zwei Kindern und RTL-"Extra" im Schlepptau von Hamburg nach Texas übersiedelten und dort ihr (bis heute anhaltendes) Glück fanden, während ihnen weiter regelmäßig ein Kamerateam dabei über die Schulter sieht.

Die "Fernseh-Fuzzis" gehören zur Familie

Zu Beginn dieses Jahres wechselten die Auswanderprofis, die Texas vor sieben Jahren durch Hawaii getauscht haben, zum wiederholten Mal die TV-Heimat und zogen von RTLzwei zu Kabel Eins, wo gerade der zweite Teil der ersten Staffel von "Willkommen bei den Reimanns" zu Ende ging – mit für alle Seiten sehr zufrieden stellenden Quoten.

Weltbewegendes gibt es eigentlich kaum noch zu erzählen, das aber mit umso größerer Ausdauer: Bei Kabel Eins dauern die Folgen jetzt nicht mehr 45, sondern 90 Minuten. Und die Leute schalten ja weiter gerne ein, wenn Konny sich auf seinen Trecker setzt, Manu ihre Kinderklamottenkollektion schneidert und von Zeit zu Zeit die erwachsen gewordenen Kinder mit den Enkeln zu Besuch kommen.

Dazu ist im Laufe der Jahre aus den erfolgreichen Auswanderern ein noch viel erfolgreicheres Geschäftsduo geworden: mit zahlreichen Werbeverträgen für diverse Unternehmen, eigenem Fan-Shop und dem Wissen, für ein paar Wochen im Jahr "die Fernseh-Fuzzis" in ihr Leben lassen zu müssen, um sonst ungestört vor sich hinwerkeln zu können. Und das alles könnte wahrscheinlich ewig so weitergehen, wenn es nicht inzwischen auf einer dreisten Lüge basieren würde, die, vom Off-Sprecher zu hübschem Inselambiente vorgetragen, da lautet: "Hier, tausende Kilometer von Deutschland entfernt, wird es nie langweilig."

Also, naja: So kann man das aber wirklich nicht sagen.

Ein überflüssiges Bauprojekt nach dem nächsten

"Willkommen bei den Reimanns" besteht natürlich längst nicht mehr daraus, eine Familie beim Ankommen in ihrem neuen Leben zu begleiten, das schon seit Jahren etabliert und eingewohnt ist. Stattdessen guckt das Publikum jetzt halt dabei zu, wie Konny seinem vom Fernsehen verliehenen Ruf als "König der Handwerker" gerecht wird, indem er fast schon manisch ein überflüssiges neues Bauprojekt ans nächste reiht, um sich die Zeit dazwischen mit Reparaturen zu vertreiben. Morgen genauso. Übermorgen auch. Und täglich grüßt das Dschungeltier.

Weil dann immer noch ausreichend Sendezeit übrig ist, werden länglich Alltäglichkeiten abgefilmt, bei denen die meisten Zuschauer:innen, wenn sie sie selbst erledigen müssten, vermutlich einschliefen. Aber Reimanns dabei zuzusehen geht irgendwie in Ordnung.

Manu holt Sohn Jason vom Flughafen ab und steht dabei im Stau, hui! Ach, sieh mal an: Die Familie schreibt zusammen einen Einkaufszettel fürs abendliche Barbecue. Konny, der Tausendsassa, macht Burger selbst und dreht dafür das besorgte Fleisch durch den Wolf! Und wenn die Familie wieder weg ist, geht ein Viertelstündchen damit rum, wie Konny Manus nach Hawaii gereistem Ukulele-Lehrer aus Marburg und dessen Frau am Strand das Eheversprechen erneuert, weil er sich online zum hawaiianischen Standesbeamten hat ausbilden lassen: "Ich hab da keine Hemmungen."

Den amerikanischen Traum ins Deutsche übersetzt

Kern des Reimann-Mythos, der dem hiesigen Publikum quasi den amerikanischen Traum ins Deutsche übersetzt hat, ist aber Konnys Lust am Selbermachen, wobei der anfänglich sympathische Ehrgeiz des ehemaligen Blohm-und-Voss-Lehrlings – "Für mich bedeutet Glücklichsein: Ich hab'n griffbereiten Akkuschrauber" – sich längst zu einem monstermäßigen Bauzwang ausgewachsen hat.

Fast die ganze erste Staffel durfte das Kabel-Eins-Publikum dabei zusehen, wie Konny seiner Manu nach einer verlorenen Wette von vor sechs Jahren, an die regelmäßig jede Folge erinnert wird, über sieben Monate und acht Tage einen 12.000 Euro teuren 50-Quadratmeter-Pool vors Haus gesetzt und dafür 80 Kubikmeter Erde bewegt hat, um zum Schluss noch ein 14 Meter langes Deck, eine gigantische Treppe, ein Poolhaus für den Reinigungsroboter und eine Außendusche dran zu bauen, während in den Pausen das Dach des Haupthauses abgedichtet wurde, der alte Schulbus einen neuen Motor bekam und der Elektrozaun gegen die Wildschweine aufgestellt wurde. Oder wie's der Stützpfeiler der hawaiianischen Baumarktindustrie zwischendurch selbst formuliert hat: "Klein geht nicht."

Dass der Hamburger Jung' auch nach fast zwei Jahrzehnten mit der amerikanischen Baumentalität fremdelt, wird sich wohl nicht mehr ändern, denn: "In Amerika wissen die Handwerker nicht, was Kappilarwirkung bedeutet." Und: "Die Leute denken hier einfach nicht weiter. In zwei Jahren musst du wieder von vorne anfangen."

Primetime-taugliche Güllerohranbohrung

Aber das wäre gegen Konnys Handwerkerehre, die besagt, dass Selbstgebautes für die Ewigkeit dazustehen hat. Auch wenn eigentlich kaum Zeit ist, es nachher zu nutzen, weil ja schon wieder eine neue Selbstbeschäftigungsmaßnahme gefunden worden ist.

Die unbestreitbare Bodenständigkeit, die dazu führte, dass man Reimanns den Erfolg in der Ferne stets gerne gönnte, ist der Überzeugung der Protagonist:innen gewichen, dass jede Kühler-Auswechslung, jeder Palmenkauf und jede Güllerohranbohrung auf "Konny Island III" (wie das inzwischen dritte Reimann'sche Anwesen getauft wurde) zuhause Primetimetauglichkeit besitzt – weil es ja auch genau so ist, die zur Familie gehörenden "Fernsehen-Fuzzis" begeistert nicken und widerspruchslos mit der Kamera draufhalten.

Das Publikum will seinen Idolen die bisweilen nicht mehr ganz so ausgeprägte Bescheidenheit partout nicht übel nehmen – weswegen nun regelmäßig über eine Million Menschen verfolgen, wie es sich zwei mutmaßlich nicht ganz schlecht verdienende Fernsehpromis auf ihrem 4.000 Quadratmeter großen Grundstück mitten im hawaiiansichen Dschungel mit eigener Bar, Sauna, Riesenwerkstatt, sechs Grills und eigener Obstplantage gut gehen lassen, ohne dass ihnen dies auch nur im Entferntesten geneidet würde. Was man tatsächlich als Phänomen bezeichnen muss.

Kein Neid, nirgends

"Das ist schon eine Steigerung von Lebensgefühl, wenn man morgens aufsteht und kann in den Pool springen", gibt Konny der Kamera nach getaner (und wohldokumentierter) Arbeit zu Protokoll. "Wir springen jeden Tag rein und fragen uns, wie wir wir wohl leben konnten ohne Pool", schiebt Manu hinterher, bevor danach wieder reife Papaya und Bananen geerntet werden, weil: "Es gibt nichts Schöneres als Obst aus dem eigenen Garten."

Und da können ja auch Reimanns nix für, wenn sich in der früheren Heimat gerade viele den Kopf darüber zerbrechen, ob sie im Winter frieren müssen, wenn sie ihre Heizkostenvorauszahlung nicht mehr bezahlen können, oder die Lebensmittel im Supermarkt jede Woche teurer werden, während in 7.000 Kilometer Entfernung 50.000 Liter Wasser ins Entspannungsbecken laufen.

Reimanns sind und bleiben ein in Fernsehgeschichte gemeißeltes Beispiel dafür, dass man alles schaffen kann, was man will – wenn man sich dafür anstrengt. Vielleicht gehen die Fans mit ihren Idolen deshalb so milde ins Gericht, obwohl irgendwer Konny schon noch mal sagen müsste, wie sehr sein Abenteuerfimmel und der unbedingte Wille, beim Messer-Darts gegen den Schwiegersohn zu gewinnen, um am folgenden Tag zu bestimmen, dass mit Haien getaucht wird, nerven. Und dass man natürlich überall runterspringen kann, um zu demonstrieren, was man für ein toller Hecht ist. Aber dass das auch wahnsinnig albern und kindisch wirkt.

Der König baut sein Reich gerne für sich

Zum "Erfolgsgeheimnis" der Reimanns gehöre "Teamwork, Humor und wahre Liebe", behauptet Kabel Eins. Zumindest ersteres ist aber stark übertrieben, denn: "Der König der Baumeister lässt sich nur ungern helfen."

Seine Gattin lobt der King trotzdem, weil: "Manchmal hält sie irgendwas fest oder sie fasst mit an, wenn wir irgendwas hin und herräumen müssen." Und: "Ist ja lieb gemeint, wenn sie mir hilft." Die Gelobte "möchte auch'n bisschen Leistung mitbringen, obwohl ich nicht helfen soll". Und so lässt einfach jeder den anderen gewähren, bis man sich zum Feierabend wieder in die Arme läuft.

Das Fernsehen zelebriert "die erfolgreichsten Deutschland-Auswanderer seit dem Opa von Donald Trump und den Erfindern der Levi's-Jeans", einfach weil auf sie Verlass ist. Weil sie beständig liefern. Und die Produktion selbst zwischendurch nicht viel mehr tun muss, als am Strand ein paar neue Schnittbilder zu produzieren, um den Alterungsprozess der Protagonist:innen zu begleiten, immer wieder in Zeitlupe zu zeigen, wie Konny mit dem Trecker in der selbst ausgehobenen Grube spektakulär wegrutscht, oder ihn zu bitten, für ein bisschen Abwechslung zwischendurch die Promenade am ungeliebten, weil viel zu touristischen Waikiki Beach entlang zu schlendern – was für ihn schon nah an der Zumutung ist, weil: "Hier riecht's nicht nach Blumen."

Nächster Halt: neue Dachterrasse

Außerdem muss ja das im vergangenen Jahr zusätzlich erworbene "Beach House" nach der Fertigstellung der weitgehend ungenutzten Terrasse und dem gerade aufgebauten Werkstatthäuschen, um die Wale vor der Küste besser zu sehen, noch eine Dachterasse mit Wendeltreppe bekommen, für die die am Haupthaus zu fällende Tanne verwertet werden kann, damit die beim nächsten Sturm nicht auf die daneben gelegene Saune stürzt. Wer kennt solche Probleme nicht?

Wahrscheinlich senden Reimanns noch bis zur Fernsehrente weiter, und im Zweifel auch darüber hinaus, so lange die Kamera Konny beim Lattenabmessen, Chlorinfiltereinbauen, Grubeneinschlämmen oder Klebereinlutschern zusehen kann und seine Angetraute bestätigt: "Für mich kann Konny wirklich alles." (Außer Minimotorradfahren.)

Das ist immerhin durchweg interessanter, als Reimanns – wie in der am vergangenen Sonntag gelaufenen Abschlussfolge – beim Heimaturlaub zu verfolgen, wenn sie ihren geliebten Cadillac verkaufen, weil der auf Hawaii sonst wegrostet, und Konny auf der Kieler Woche eine neue Funsportart ausprobiert, weil: supergähn.

"Es geht weiter mit den Reimanns bei Kabel Eins – denn es gibt noch so viel zu tun", behauptete der Off-Sprecher nachher. Und falls die sich gerade in Vorbereitung auf die nächste bemannte Mondmission im Jahr 2025 befindende Nasa vielleicht noch einen kernigen Typen braucht, der ihr am Ziel zeitnah eine Infrastruktur zur Besiedelung hinzimmert, weiß die US-Raumfahrtbehörde ja, an wen sie sich wenden kann.

Und damit: zurück nach Köln.

Alle Folgen von "Willkommen bei den Reimanns" lassen sich bei Joyn abrufen.