Als eine große deutsche Boulevardzeitung kürzlich fälschlicherweise meldete, der RBB werde im Zuge seiner Sparmaßnahmen auch auf die regelmäßige Sendung von Dieter Nuhr verzichten, sah sich der Betroffene gezwungen, kurz seinen Italienurlaub zu unterbrechen und seinen Fans die (peinlicherweise auch noch mehrfach berichtigte) Ente per Facebook einzuordnen: "Das ist Journalismus heute: Allzuoft völlig faktenfrei, aber herrlich unterhaltsam."

Denn "selbstverständlich", hatte zuvor bereits Nuhrs Haussender getwittert, werde "Nuhr im Ersten" auch 2024 fortgesetzt. (Bloß eine Sonderausgabe soll es weniger geben.)

Zumal eine Welt ohne Dieter Nuhr nun wirklich keinen Sinn mehr ergäbe, wer sollte ihr sonst in schöner Regelmäßigkeit den Zerrspiegel vorhalten?

Im Laufe der vergangenen Jahre ist der Kabarettist für seine Fans zum Anführer gegen die grassierende Verweichlichung des Landes geworden; und zum Lieblingsgegner vieler, die seine Bühnenscherze über Phänomene bzw. Akteur:innen des gesellschaftlichen Wandels nicht teilen und ihn über die sozialen Medien für manche seiner Einlassungen massiv kritisieren. Wobei es einiges zu differenzieren gilt: Nein, Dieter Nuhr ist weder Nazi noch Querdenker, was sich auch daran festmachen lässt, dass er regelmäßig Witze über beide Gruppen macht, die der AfD ins Netz gehenden "ganz schlichten Geister" genau so wie über die "Verschwörungsheinis". Bloß halt nicht ganz so oft wie über Grüne, Veganer:innen, Lastenfahrradnutzer:innen, Annalena Baerbock und Karl Lauterbach.

Stachel im woke gewordenen Fleische

Vielleicht ist es bloß Zufall, dass Nuhr sich dabei gelegentlich Erzählmustern bedient, die auch jene nutzen, denen er partout nicht zugeordnet werden will. Aber all das ändert nichts daran, dass die Gesellschaft und das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem einen wie Dieter Nuhr als Stimme im Dialog zwischen Links und Rechts aushalten können muss.

Von Lustigfinden hat ja keiner was gesagt.

Nun erwartet vom deutschen Kabarett hoffentlich ohnehin niemand politische Ausgewogenheit, also: niemand mehr. Aber es grenzt schon an Kuriosität, wie sehr einer der bekanntesten deutschen Satiriker sich von allen (und allem) getriggert fühlt, die nicht wie er aufs Land und in die Welt blicken. Nuhr wähnt die verloren gegangene Urvernunft und das richtige Maß auf seiner Seite, sieht sich umzingelt von neuen Regeln und Verboten und zweifelt die Prioritäten einer aus den Angeln gehobenen Gegenwart an, in die er sich nicht mitgenommen fühlt. Das mag bis zu einem gewissen Grad sogar nachvollziehbar sein. Jedenfalls geht es vielen so, die sich von den Herausforderungen der aktuellen Zeit und für die Veränderungen einer gerechter organisierten Gemeinschaft nicht richtig abgeholt, dafür aber ständig gemaßregelt und ihrer Vergangenheitsidentität beraubt sehen.

Das liegt daran, dass die eine Seite in ihrer Aufbruchsbereitschaft manchmal lieber ermahnt als erklärt; und die andere sich sehr bequem eingerichtet hat in ihrem Zorn, um sich – wie Nuhr – erfolgreich als Stachel im woke gewordenen Fleische der Gesellschaft zu inszenieren.

Die Außenministerin als Dauerprovokation

Wobei seine Sendung "Nuhr im Ersten" oft eigentlich bloß aus denselben daueraktualisierten Spöttereien und Ablehnungen besteht, allerdings in einem Ausmaß, das sich zu dokumentieren lohnt.

Man kann das kabarettistische Tradition nennen, nur eben ausnahmsweise nicht von Links; zur Wahrheit gehört aber auch, dass Nuhrs Kleinkunst nur durch das absichtliche Weglassen jeglicher Form von Differenzierung funktioniert, getrieben von der Sehnsucht nach einem Früher, das vielleicht nicht besser, aber wenigstens einfacher war. Als Minderheiten die Klappe gehalten und die Mehrheit nicht mit ihren vermeintlichen Empfindsamkeiten belästigt haben.

Die Minderheiten, die Umerzieher:innen, die Deppen aber sind Nuhr zufolge heute überall, und dem gilt es Gegenwehr zu leisten. Zuallererst den "identitären Ideologen, die inzwischen auch im Außenamt sitzen", wobei Nuhr vor allem eine meint: Annalena Baerbock. Zu Karneval spottete er: "Die Leute haben zum Teil so verrückte Verkleidungen. Haben Sie gesehen? Annalena Baerbock geht als Außenministerin! Crazy." Und: "Viele sagen: das ist kulturelle Aneignung, das geht nicht, das ist doch eine Herabwürdigung aller richtigen Außenminister – ja, das isso. Aber lassen Sie uns da tolerant sein, es ist ein Witz." Zumal "die Russen" ja schon wüssten, "dass man sie nicht ernst nehmen darf." Nuhr empfindet Baerbock gleichermaßen als peinlich und gefährlich: "Unsere Außenministerin wird auch 2023 zurecht darüber empört sein, dass sich die Welt nicht an den moralischen Werten unserer Lastenfahrradfahrer orientiert." Aber, da lässt sich wenig machen: "[S]ie ist beliebt. Weil ja Naivität auch was wahnsinnig Sympathisches hat." Obgleich natürlich um den hohen Preis, das Ansehen Deutschlands in der Welt zu verspielen: "Ich freu mich, wenn ich als Deutscher im Ausland überhaupt noch ernstgenommen werde – meist da, wo Annalena Baerbock noch nicht war. Und versucht hat, Mullahs, Scheichs und Diktatoren von ihrer feministischen Außenpolitik zu überzeugen. Es ist kein Wunder, im übrigen, dass sich Deutschland im freien Fall befindet." Wenn Baerbock so weitermache "und allen vor den Koffer scheißt, die ihre Werte nicht teilen, dann dürften sich unsere Außenbeziehungen bald beschränken auf Dänemark, Legoland und Mittelerde."

Die Sache mit den Panzern

Aber so ist das nunmal mit den Grünen, deren einstiges Gründungsmitglied heute zu ihren größten – naja, sagen wir: Kritiker:innen gehört. Die Anklage lautet (u.a.): "Verweigerung jeglicher Sinnhaftigkeit zugunsten eines poetischen Surrealismus."

Und natürlich: Inkompetenz. Robert Habeck zum Beispiel ist "ein netter Junge", "ein lieber Kerl", "der guckt immer so lieb", "sieht so bärig aus", bleibt aber – anders als ein Dieter Nuhr – "von der Komplexität seines Fachs überfordert": "Man muss heute nix mehr können, um was zu wollen. Man kann Wirtschaftsminister sein ohne jede Sachkenntnis. (…) Aber wir haben Fachkräftemangel, was soll man machen?" Und Anton Hofreiter, der Panzer für die Ukraine fordert? Den stellen wir, so Nuhr, einfach selbst an der Front auf. "Weil: Abschreckung hilft."

Der Krieg in der Ukraine hat auch für Nuhr einiges verändert: vor allem in Bezug auf die Erweiterung seines Gag-Repertoires. "Selbst die Kinder der Grünen dürfen jetzt wieder mit Pistolen spielen, so lange sie versprechen, damit nicht auf Indianer zu zielen, sondern auf Russen", sagt er. Das mit den Panzern versteht Nuhr trotzdem nicht: zum einen weil die Ukraine "auch ein Oligarchenstaat [ist] und kein Land, für das ich jetzt gern in einen Weltkrieg ziehen würde" (anders wahrscheinlich als: Mittelerde), zumal die Ukrainerinnen "mit hoher moralischer Berechtigung, aber nicht ganz uneigennützig" von Deutschland forderten, "in den Krieg einzusteigen", diesem Land mit den plötzlich "80 Millionen kriegsbegeisterte[n] Militaristen". (Uff.) Egal, "ich fahr auch privat kein Leopard 2. Das Entertainmentsystem hat mich nicht überzeugt". Ohnehin sei er "eigentlich davon ausgegangen, dass ein grüner Weltkrieg mit dem Fahrrad durchgezogen würde".

Wann kommt endlich Lisa Eckhart?

Ähnlich suspekt wie die Grünen sind ihm bloß deren schwerpunktmäßig vermutlich größte Untergruppen: Radfahrer:innen und Veganer:innen. Die einen fahren "als hätten sei einen göttlichen Auftrag" und seien als "der Gute zwischen all den vierrädrigen Dämonen" dafür "bereit zu sterben"; die anderen sind bloß ulkig und man muss aufpassen, dass sie "an der Fleischtheke von Rewe" nicht Amok laufen. (Wo es, kleiner Hinweis, inzwischen auch vegane Produkte zu kaufen gibt.)

Am schlimmsten, findet Nuhr, sind radfahrende Veganer:innen, "gehen Sie [denen] bitte aus dem Weg!", oder besser noch: Provozieren Sie sie, indem sie mit ihrem SUV auf dem Radweg parken und ein Schild in die Windschutzscheibe legen: "Bin kurz beim Metzger."

Es ist ein Kabarett, das immer wieder mit voller Wucht und voller Absicht in dieselbe Sackgasse kracht; dann noch mal zurücksetzt, und von neuem Anlauf nimmt, bis auch der Letzte verstanden hat: der Genderwahn ruiniert das Land, die Grünen geben ihm den Rest und dann kommt auch noch Karl Lauterbach, der "arbeitet zuhause in seinem Labor an neuen [Corona-]Varianten, weil er Angst hat vor Bedeutungslosigkeit", um "bestimmt auch noch 2034" vor allem warnen zu können: "in der Insassenzeitschrift der Nervenklinik St. Hildegundis".

Zwischenzeitlich überlässt Nuhr seinen Gäst:innen die Bühne, setzt sich seitlich an den Tisch und lässt auch gelegentliche Gags über andere Parteien des politischen Spektrums zu, mal mit verschränkten Armen, sich hustend die Hand vor den Mund haltend, das Mikrofon nicht aus der Hand legend, um notfalls eingreifen zu können wie ein Lehrer beim Referat, mit kritischem Blick, sich zu gelegentlichem Miniapplaus durchringend, ein Schmunzeln nicht verkneifen könnend – bis endlich, Gott sei Dank, die hochverehrte Lisa Eckhart aus Österreich im Glitzerkostümchen kommt, immer Höhepunkt der Sendung, Licht aus – Spot an!, um das Publikum als "Königin der geistreichen Pointe" am "Nektar ihrer Geistesblüten" (Nuhr) zu laben. Indem sie von der Sexualaufklärung durch Skilehrer berichtet und "Klimakleber" in die Ukraine zu senden versucht ist: "Uhu statt Puma."

Klimawandel? Wissen wir schon

Auch Nuhr sind Umweltschützer:innen und Klimaaktive suspekt, nicht mehr nur in Person der von ihm erfolgreich geschmähten "Greta. Frau Thunberg! Sie ist ja jetzt volljährig". Sondern, seit der Zunahme der Proteste im Land, all "die Extremisten von der Letzten Generation". Für die er einerseits Verständnis aufbringt: "Natürlich kommen immer wieder Generationen, die sich in ihren Endzeitvisionen suhlen." Auch wenn die Forschung herausgefunden haben will: Weltuntergang erst in fünf Milliarden Jahren. "Das heißt: Die Letzte Generation hat offenbar vor, sehr sehr alt zu werden."

Andererseits – aber auch wieder nicht.

"Die Klimakleber meinten, sie müssten Deutschland auf den Klimawandel aufmerksam machen. Das wäre in meinem Fall nicht notwendig gewesen. Ich wusste bereits davon. Weil bei uns in diesem Jahr ständig über Klimawandel geredet wurde. Und zwar mehr als überall anders auf der Welt."

Nuhr lehrt: "Die Proteste machen doch bei uns überhaupt keinen Sinn. Der Klimagasausstoß hat sich bei uns seit 1990 in etwa um 40 Prozent verringert, während der im Rest der Welt kräftig ansteigt. Vielleicht sollten sich unsere klebrigen Freunde einfach mal in China festpappen. (…) Könnte sein, dass es da ein bisschen unbequemer ausgeht als bei uns."

Und: "Ob wir Braunkohle verstromen oder nicht, ändert ja am Klima nichts. Ist bloß noch keinem aufgefallen." (Weil immer noch zu wenige Zuschauer:innen das zeitweise wöchentlich im Ersten laufende Dieter-Nuhr-Repetitorium dazu einschalten.)

Aufforderung zur Dauerflatulenz

Dieter Nuhr leugnet den Klimawandel nicht: "Der Klimawandel kommt." Aber: "Seine Verhinderung liegt nicht in unserer Hand. So leid mir das tut im übrigen." Und wenn Sie sich jetzt nicht mit einem großen Glas Wein auf die Dachterrasse setzen wollen, um abzuwarten, wie die Chines:innen den Planeten ins CO2-Chaos dampfen, dann kann Ihnen auch Dieter Nuhr nicht mehr helfen, denn: "Das Festkleben weiter Teile unserer Bevölkerung hat den Klimawandel überraschenderweise nicht aufgehalten. Trotzdem wird die allgemeine Verkleisterung fortgeführt."

Nuhr kann sich einfach "nicht vorstellen, dass es einen einzigen Menschen gibt, der sagt: Oh, da klebt jemand am Van Gogh – wir müssen was gegen den Klimawandel tun." Und was sich Dieter Nuhr nicht vorstellen kann "im Zeitalter des real existierenden Dilettantismus", das kann, nein: das darf es einfach nicht geben.

Zumal die Umweltschützer:innen ein Rechtsverständnis demonstrierten, "das man durchaus totalitär nennen kann", was sich Nuhr zufolge an den Protesten in Lützerath Anfang des Jahres zeigen lässt, dem "Donbas der Klimabewegung", diesem "Abenteuerspielplatz für Revolutionsbedürftige", organisiert mit dem "kaptialismuskritischen Smartphone, der veganen Brieftaube des 21. Jahrhunderts", damit ein "jugendliches Bedürfnis nach pathetischem Heroismus befriedigt" werden könne: "Was gibt es Schöneres für eine Weltuntergangssekte als einen Ort, für den der Untergang bereits beschlossen ist?"

"Was in Lützerath passiert ist, ist zurecht vergessen, weil es ist scheißegal. Lützerath" – kleine Aufforderung zur Dauerflatulenz – "hat weniger Einfluss auf das Klima als ein Furz auf die Luft in der Großstadt."

Kreuzzug gegen die "woke Ideologie"

Wenn es an Nuhr gewesen wäre, hätte die Polizei die Räumung immer weiter hinausgezögert, "dann wäre Lützi eine Art freiwilliges Guantanamo für radikal Verschwurbelte geworden", wo sich gezeigt habe: "Immer mehr Leute glauben, dass sie das Recht haben, anderen ihren Willen aufzuzwingen, weil sie ihren eigenen Standpunkt für den moralisch überlegenen halten." Und mit der Moral kennt man sich sich als Kabarettist nach fast vierzig Dienstjahren allerbestens aus, zumal die einem hierzulande ja jetzt ständig um die Ohren gehauen wird wie ein nasser Sack: von der "woken Ideologie", die sich als Vernebelschleier übers ganze Land gelegt hat.

"Unser Grundgesetz schreibt vor, dass auch Selbstbefruchter an der Waffe dienen können", spottet Nuhr. "Der Wille zum Opfersein war noch nie so groß wie in diesem Jahr. Überall waren Opfer von Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Aktivismus, Katholizismus!", "überall ist heute Gleichbehandlung" (warum nicht endlich auch unter Mördern?, schlägt er vor), "immer etwas gruselig, wie in Deutschland der gute Zweck jedes Mittel heiligt", "wir leben in Zeiten des Irrsinns!", in denen man sich nichtmal mehr die Haare blond färben darf, weil eine Soziologieprofessorin dann auf die Idee kommt, das demonstriere einen Machtanspruch genetischer Überlegenheit: "Waren das noch Zeiten als Blondinen blöd waren – es war einfacher damals."

Man durfte sich auch noch verkleiden, heute allerdings: "Heute darf man nur noch als Indianer gehen, wenn man einer ist." Und falls nicht? "Das geht nicht mehr. Es geht so vieles nicht mehr. Früher gingen Kinder als Jim Knopf schwarz geschminkt. Heute absolut tabu." Dabei wählten Kinder ihre Verkleidung doch aus Bewunderung! Aus, vorbei: "Die völkischen Grenzen sind heute wieder zu beachten." Nicht mal in Mumien dürfe man sich "als Weißer" noch einfühlen: Man könne sich "die Eingeweide rausnehmen" und sich "einbalsamieren lassen": "Es bliebe immer kulturelle Aneignung."

Vampire, Außerirdische, Zombies

"In Hollywood darf man als Hetero keinen Schwulen mehr spielen. Weil man keiner ist. (…) Ich sehe auf uns große Schwierigkeiten bei der Besetzung von Vampirfilmen zukommen", bilanzierte Nuhr in seinem Jahresrückblick.

Und, weil's so schön war, anderthalb Monate später nochmal: Heterosexuelle sollen in Hollywood keine Schwulen mehr spielen! "Das wäre ja Schauspielerei!" und sei "übrigens auch der Grund, warum es derzeit so wenige Filme mit Außerirdischen gibt – weil sie so schwer zu finden sind."

(Einmal geht der Gag noch mit Zombies.)

Neulich war Michael Mittermeier bei "Nuhr im Ersten" zu Gast und schmuggelte den hübschen Satz in seinen Stand-up: "Die einen kleben am Asphalt, die anderen an der Vergangenheit." Aber das hat Nuhr einfach überhört und als ähnlich kuriosen Auswuchs wie die kulturelle Aneignung, es liegt nahe, das Gendern identifiziert: "Niemand wird ausgegrenzt bei uns, ich begrüße nicht nur Tschetschenen, Pekinesen und Klingonen, ich begrüße auch Schweißallergiker, Laktoseintolerante und Glutensensible, die in unserer Sprache viel zu oft nicht mitgenannt sind, sondern nur mitgemeint werden."

An der Frankfurter Uni ist es wegen Gendertoiletten zur Schlägerei gekommen? Dieter Nuhr war gerade in Indien und hat in ein Erdloch gekackt, "das war genderneutral".

Dem "Telekom Transgender-Handbuch" habe er entnommen, "dass ich am Anfang der Sendung erstmal mein Pronomen hätte nennen müssen". Und, um das klarzustellen: "Ich respektiere Transpersonen – ohne jede Ironie. Ich halte ihre Lage für schwierig und glaube, dass sie alle Unterstützung verdienen. Aber." Aber "nin" und "nims" – da geht die Unterstützung wirklich zu weit, "Was ist das? Was ist das?" (Im dahinter eingeblendeten Handbuch steht gut sichtbar, dass es "stets okay und respektvoll" sei, den Namen einer Person anstelle des Pronomens zu verwenden.)

Zusammenschluss der Renitenten

Noch ein bisschen mehr Respekt als für Transpersonen hat Nuhr freilich für Leute, die wirklich gegen den Strom schwimmen, so wie im vergangenen Sommer, als das ganze Land über dieses eine Lied debattierte: "Layla"! Das war "so fröhlich, dass es verboten werden musste. Es drohte teilweise unkorrekte Heiterkeit aufzukommen. Und umso lauter wurde es gesungen. Das fand ich herrlich mitanzusehen! Dass es noch Renitente in diesem Land gibt gegen das grassierende Spießertum." Wobei der Anführer der applaudierenden Renitenten auch regelmäßig davor warnt, wie das alles enden wird: "Was unsere Zeit kennzeichnet, ist glaube ich das Gefühl des Niedergangs", findet Nuhr, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dafür, dieses Niedergangsgefühl indirekt patentiert zu haben, indem er es in seinen Sendungen immer wieder herbeischwurbelt.

Nuhr ist überzeugt: "Das Land befindet sich infrastrukturell im Zustand des Zerfalls", "Weltmarktführer sind wir nur noch bei der Herstellung von Haferflocken und Gendersternchen".

"Wir haben Inflation, Rezession, kein Gas, keinen Strom, die Infrastruktur ist im Arsch, die Brücken hängen durch, in der Verwaltung wird noch mit der Hand geschrieben und dann mit dem Faxgerät Kaffee gekocht."

"An unseren Hochschulen beschäftigt man sich nicht mehr mit Ingenieurwesen, sondern mit Pronomen für Diversgeschlechtliche" (also: ähnlich wie in unseren Satiresendungen).

Die Zahl der Nichtschwimmer:innen hat sich bundesweit verdoppelt? "Ich persönlich bin schon dankbar, wenn sie wieder laufen lernen nach der Herumtransportiererei mit dem Lastenfahrrad."

Nationalmannschaft, Bundeswehr – alles futsch

Eigentlich ist alles noch schlimmer: "Wir haben in 50 Jahren, übrigens unter demokratischer Zustimmung der Bevölkerung, unsere Kohle- und Stahlindustrie abgewickelt, unsere Autoindustrie kastriert, Atomkraft abgeschaltet, Gentechnik verboten, Industrieproduktion ausgelagert, die Währung aufgeweicht und die Fußball-Nationalmannschaft durch einen Hühnerhaufen ersetzt, immerhin freilaufend."

Ohnehin war die zurückliegende Fußball-WM "ein Spiegel dessen, was wir als Deutsche in der Welt gerade erleben": Totalabsturz. Jedes Spielerinterview müsse "ein Statement gegen den Klimawandel sein". "Wir brauchen nicht nur Regenbogenbinden, sondern auch Regenbogentrikots, Regenbogenschuhe, Regenbogenstutzen, klimaneutrale Sporthosen und einen veganen Ball", denn: "Wir sind Weltmeister – aber nur noch im Moralischüberlegenfühlen." Nuhr wünscht sich "Spieler wie früher" zurück, und dazu eine Bundeswehr, die nicht mehr die "Anschaffung genderneutraler Gefechtsunterwäsche" und "veganer Spaten zur Aushebung von Schützengräben" priorisiert, um sich damit selbstzukastrieren und der Häme von Kabarettisten auszuliefern: "Die Bundeswehr verfügt über mehrere Küchenmesser, wir haben ein Segelschiff und eine Schrotflinte, falls Hasen in die Kaserne eindringen."

"Was ich sagen will, ist", sagt Dieter Nuhr, immer. Und. Immer. Wieder: "Das Land ist im Arsch! Aber das ist doch gut. Denn wir sind ja auch nicht verteidigungsfähig. Und da ist es doch prima, wenn sich das Land in einem Zustand befindet, in dem es niemand mehr überfallen will."

Die Clowns des Planeten

Wer wollte das potenziellen Überfallsmächten auch übel nehmen, nachdem so vieles den Bach runtergeht? "Wenn in Deutschland das Ideal nicht mit der Realität übereinstimmt, dann ist die Realität falsch", sagt Nuhr , kleiner Reminder: "Wir sind politisch am Arsch, aber moralisch so weit vorne." Das hat Folgen: "Natürlich werden wir dafür weltweit ausgelacht." Deutsche sind "die Clowns des Planeten", die überall "armselige Eindrücke hinterlassen", vom Fußballer bis zum Wirtschaftsminister. Benin-Bronzen zurückgegeben und sich in Nigeria für den Kolonialismus entschuldigen? "Wir sollten uns öfter für Dinge entschuldigen, die wir gar nicht gemacht haben. Nur durch konsequentes Entschuldigen ist es möglich, dass wir uns moralisch über den anderen erheben und das haben wir perfektioniert."

Klar gibt es in anderen Ländern Probleme. Katar zum Beispiel, wo wir "mit geradezu atemberaubender Arroganz und beispielloser Doppelmoral" aufgetreten sind und "komplett unseren Ruf verspielt [haben], während unser Wirtschaftsminister, der Robert, wie ein Bettelmönch nach Katar fuhr und einen tiefen Diener machte". In Katar "gibt es viel zu kritisieren, keine Frage. Aber manchmal frage ich mich: Ist es unsere Aufgabe, alle anderen Völker so umzuerziehen, bis sie unseren Maßstäben entsprechen? Als wenn wir das könnten. Was ist das für eine Arroganz?"

Es ist kein gutes Zeugnis, dass Nuhr seinem Land ausstellt: "Wir sollten uns als Deutsche daran gewöhnen, dass wir unsere Leistung lieber nicht an den Besten messen." Und: "Ich fürchte, das ist die Haltung, die uns Deutschen in Zukunft zusteht: eher ein bisschen gebückt."

Im ständigen Selbstwiderspruch

Oder wie es beim Ersten Deutschen Fernsehen heißt: "Dieter Nuhr seziert messerscharf politische Unzulänglichkeiten, thematische Abseitigkeiten und den verlässlichen Irrwitz des Alltags."

Worüber man, wenn das nicht alles so irre wäre, tatsächlich lachen müsste, weil Nuhr es so nullkommagarnicht interessiert, dass er sich ständig selbst widerspricht. Einerseits wirft er uns vor, dass wir "immer und überall unter einem gewissen Zwang [leben], Haltung zu zeigen". Er lehrt aber ein andermal, wie es sich am besten standhaft durch die heutige woke Zeit kommen lässt: "Immer Haltung bewahren!" Ihm "geht diese rituelle Empörung hierzulande so wahnsinnig auf den Sack. Immer wieder überall Empörung!" Gleichzeitig hat er selbige in seinen Bühnenauftritten so sehr institutionalisiert, dass man für die "Nuhr im Ersten"-Themenlotterie mit sehr wenigen Kästchen schon nach kurzer Zeit Bingo! rufen kann.

Dazu kommt die Lust an der Andeutung angeblicher Meinungsdiktaturen."Ich fand den Sommer übrigens wunderbar, aber niemand traute sich zu sagen: schönes Wetter heute, weil da galt man im Grunde genommen schon als Klimaleugner", führt Nuhr aus – und obwohl man nix mehr sagen darf, ärgert er sich ein andermal über die von ihm Geschmähten: "Jeder darf alles sagen! Das ist Vollendung der Demokratie. Wenn jeder sprechen darf. Auch der, der sich selbst nicht versteht."

Doppelmoral haben immer nur die anderen

Er bringt das Kunststück fertig, dem Land permanent schlechte Laune vorzuwerfen. Und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sein Publikum weiter ausreichende Vorräte davon hat.

Doppelmoral (und Mundgeruch in der Tram) haben immer nur die anderen. Und die Medien bzw. der Journalismus sind allesamt dämlich, wenn sie über ausgetrocknete Kanäle in Venedig berichten, wo Dieter Nuhr gerade war und nur volle gesehen hat, oder parteiisch, wenn sie das Foto zeigen, auf dem Luisa Neubauer in Lützerath mit angeleuchtetem Gesicht von im Schatten stehenden Polizisten weggetragen wird. "Das ist Photoshop. Das ist sehr gute Arbeit", behauptet Nuhr in Anlehnung an Andreas Scheuer, der damit relativ zügig von dpa korrigiert wurde (Zusammenfassung). Was Nuhr zum Aufzeichnungszeitpunkt der Sendung seit Tagen hätte recherchiert haben können, wobei dann natürlich der Spott über eine "Bildinszenierung, die sich an historischer Malerei orientiert" und das "Martyrium der Heiligen Luisa" genauso hätten ausfallen müssen wie das knackige Fazit: "In unserer Presse werden solche Fotos anstandslos abgebildet als wären sie dokumentarisch."

Für eine Ergänzung oder gar Richtigstellung bei "Nuhr im Ersten" war in der darauffolgenden Woche leider kein Platz.

"Oberste Priorität" beim RBB

Okay, kurz verschnaufen und nochmal von vorn: Nein, Dieter Nuhr ist genauso wenig Nazi wie ein "Opfer der Grünen Sekte", auch wenn er auf Twitter abwechselnd so bezeichnet wird. Er will bloß eine Welt zurück, in der ihm die klimaverklebten veganen Fahrradfahrer:innen mit den Gendersternchen nicht ständig durch ihre schiere Präsenz diktieren, wie sein wochenaktuelles Stand-up-Programm auszusehen hat, wo deswegen dann kein Raum mehr für geistreiche Witze über die wirklich wichtigen Themen unserer Zeit bleibt. Wenigsten räumt man ihm bei seinem Haussender noch "oberste Priorität" ein. Was man dem RBB aus Nuhrs Sicht vermutlich hoch anrechnen muss, denn im linksgrünen Inkompetenzmoloch der Republik, wo ab Sommer genderneutrale Zeugnisse drohen, gilt es sonst ja schon "als rechts, wenn man libanesische Bandenkriminalität nicht als folkloristische Bereicherung betrachtet."

Eins muss man Nuhr lassen: Am Ende jeder "Nuhr im Ersten"-Ausgabe hat der Gastgeber sich angewöhnt, noch "zur geistigen Volksgesundheit beitragen" zu wollen, indem er gute Nachrichten aus der Welt verliest, die er – anders als das eigene Land – "gerne nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres baldigen Untergangs betrachten" würde.

Und das ist eine durchweg imitierenswerte Tradition, der ich mich anschließen möchte, weil wir uns mit ein bisschen Mühe alle von Dieter Nuhr inspirieren lassen können, der in seinem Leben eines gelernt hat: "Ich hab (…) gelernt, meinen Pessimismus nicht zum Maßstab aller Dinge zu machen, positiver zu sein, optimistischer – auch wenn es mal nicht so läuft." Denn: "Optimistische Menschen hellen uns das Leben auf." Und: "Es macht so müde, wenn alles immer wiederkehrt."

Wir alle fühlen dich, Dieter. Wir fühlen dich.

Und damit: zurück nach Köln.

"Nuhr im Ersten" läuft am Donnerstag um 22.50 Uhr im Ersten. Alle Zitate aus dem obigen Text stammen aus "Nuhr im Ersten" (vom 13.10.2022, 12.1.2023, 19.1.2023, 26.1.2023, 2.2.2023) sowie "Nuhr 2022 – der Jahresrückblick", allesamt in der ARD Mediathek abrufbar.