Das Leben schreibt ja oft die schönsten Geschichten, aber wenn es mal verhindert sein sollte, kann man ruhig auch Torsten Sträter fragen. Der hat damit inzwischen ähnlich viel Erfahrung. Zumal sich seine Karriere selbst ein bisschen nach Märchen anhört.

Vierzehn Jahre ist es her, dass der gelernte Herrenschneider ("Du kannst tragen was du willst, solange die Schulterpartie ordentlich ist") nach längerem Lebensunterhaltverdienst im Mobilfunkvertrieb und Wechsel in die familieneigene Spedition, wo während der Spätschicht im Büro reichlich Zeit zum Gruselgeschichtenschreiben blieb, weil die ISDN-Leitung nicht mit Internetaktivität belegt werden durfte, zum ersten Mal als Sieger der Nordrhein-Westfälischen Poetry-Slam-Meisterschaften hervorging. (Und dann 2010 nochmal. Und dann 2012 nochmal.)

Die Lokalzeitung seiner Wahlheimat Waltrop ahnte beim Interview in der "Bücherinsel" seiner Schwägerin damals schon, dass sich Großes ankündigen würde ("Torsten Sträter wird gerade berühmt"). Und was soll man sagen? Prophezeiung erfüllt.

Im letzten Drittel noch was geschafft

Torsten Sträter ist jetzt berühmt wie „vier verkantete Wombats“ (Waltroper Redensart). Das ist ihm in mehrfacher Hinsicht zu gönnen. Nicht nur wegen der schönen, vor zwei Jahren im Fernsehen formulierten Selbstanalyse: "Wenn man auf dem letzten Drittel noch schafft, das zu machen, was man ganz gut kann und was dann auch Spaß macht, ist das schon hilfreich." Sondern auch, weil der inzwischen 56-Jährige eine Sonderstellung in der deutschen Comedy-Szene einnimmt, die ihm so schnell keiner streitig machen wird.

Was weniger daran liegt, dass der stets mit ordentlicher Schulterpartie in schwarz gekleidete Spätzubettgeher mit den Nerd-Hobbys (Latexmaskengießen, Batmanautobesitzen, Filmdevotionaliensammeln) ein Mann des von ihm unterhaltenen Volkes geblieben ist und seinen Wunsch-Nachruf bereits vorformuliert hat ("Netter Kontakt, gerne wieder").

Dafür aber umso mehr daran, dass der stolze Wanstträger, diese "Stilikone der Übergrößen" (Ina Müller über Sträter), als Akrobat des vorgetragenen Wortes auftritt – sozusagen die in verbale Agilität gegossene Antithese zur körperlichen Sofaverwachsung. Das Besondere an Sträters Komik ist ihre Liebe zur Verschachtelung. Er schleicht "wie ein Beschmierter" um Worte herum und beobachtet sie ganz genau, um sie "samt und sonders" neu zu erfinden, im Zweifel mit dem Risiko, dass sie nachher bis "zur Unkenntlichkeit verschmockt" sind. Jede noch so harmlos beginnende aus der Totenkopfkladde vorgelesene Geschichte hat das Potenzial, überraschend an der ersten Ausfahrt ins Fantastische abzubiegen. "Bringen Sie dem nützlichen Unbelebten Würdigung entgegen!", fordert er sein Publikum auf und geht mit gutem Beispiel voran: "Wie geil ist denn bitte ein Eimer? Oben offen, unten zu, da musst du erstmal drauf kommen." Er zollt der Losbude als "Enkeltrick des Entertainments" Anerkennung, erinnert sich an den Taschenrechner als Game-Changer der Vergangenheit und beschreibt liebevoll die Irritationen der wiederkehrenden Schlüsselsuche.

Reichlich Platz für abwegige Einfälle

Niemand versteht es so wie er, den Wahnsinn des Alltags zu komischer Kurzprosa zu veredeln, um diese mit steilen Thesen und albernen Wortspielen anzureichern ("Für mich sind Anglizismen ein No-Go" bzw. "Charisma ist was für Leute, die mit Gewalt nicht weiterkommen").

In seinem Kopf ist Sträter Deutscher Meister im Krocket, der beim Qualifying für den Musterhausküchenfachgeschäft-Pokal in Hotpants aus Nappaleder in der gefrorenen Tundra Spitzbergens mit einer Thermoskanne Hühnerklein in der Hand stehend die Wölfe anschreit, dass sie weggehen sollen, während er sich Gedanken darüber macht, in wievielen Parsec die Strecke Braunschweig – Andromedanebel bei Schubumkehr zu schaffen ist.

In der Realität ist er Grimme-Preisträger, "LOL"-Staffelsieger, hervorragender Talkshow-Gast und bereits seit 2020 verdientermaßen Eigentümer einer Personality-Show im Ersten, die schlicht "Sträter" heißt, in sehr homöopathischen Dosen ausgestrahlt wird und zwischen den in angenehmer Late-Night-Länge gehaltenen Kurzgesprächen mit netten Gästen reichlich Platz für abwegige Einfälle lässt.

Gesellschaftskritik und Diavortrag

In "Sträter" vertont Sträter alte "Telekolleg"-Ausschnitte neu, übersetzt "Sex Machine" und "Pump up the Jam" ins Hochdeutsche und fasst bekannte Roman-Trilogien zusammen (z.B. "Herr der Ringe": "Bring Ring weg, nimm Kollegen mit"). In der "Akte wichs" dekonstruiert er so schön häufig benutzte "Kackphrasen", dass man sich das eigentlich als sprachwissenschaftliches Proseminar anerkennen lassen müsste. Mit Kurt Krömer lackiert er sich die Nägel, mit Wladimir Kaminer liest er selbst ausgedachte "Lokalnachrichten aus aller Welt" – und macht sich mit gehisstem Deutschland-Fähnchen auf dem Tisch ernsthafte, aber lustig formulierte Gedanken über den Zustand der Gesellschaft, in der "alle das Gleiche" wollen: "Bisschen Anerkennung und zurecht kommen."

Wenn nötig, gibt er mit der erdenden Stimme der Vernunft zu: "Das Thema hab ich noch nicht komplett durchdrungen. Ich bin aber guten Willens." Oder: "Ich werd mich da im Stillen weiterbilden. Tun Sie's auch, wenn Sie's interessiert. Wenn nicht, nicht." Während im nächsten Moment schon "Buenos Dias – der Lichtbildvortrag" läuft: über die Besonderheit von Quallen, weil er das seiner Redaktion erst im Scherz angekündigt hat und dann kurz vor der Sendungsaufzeichnung nicht mehr aus der Nummer rausgekommen ist.

Sträter ist nicht wütend auf die Welt, nicht zynisch, er sucht nicht nach Schuldigen – sondern will mit seinem Humor einfach alles ein bisschen erträglicher machen, der Realität dabei nur insofern ausweichend, als dass er sich ihrer Komplexität bewusst wird, um sich dieser anschließend zu ergeben.

Die Gefahr des Echo-Schmunzelns

Die Mütze, dieser einst zum Erkennungszeichen und längst überflüssig gewordene Schweißfänger, kommt jetzt öfter mal ab (gibt ja auch jedes mal Applaus); und neulich opferte Sträter sogar seinen Bart, um für "Sträter" einen Gipsabdruck des eigenen Kopfes anfertigen zu lassen.

Sein Publikum dankt ihm all das auf zweierlei Art. Erstens: durch anfängliches Kichern im Zuschauer:innenraum, das sich nicht selten zügig zu einem ausgewachsenen Lachen mit Schütteln und Biegen steigert und so die Gefahr eines Sträter'schen Echo-Schmunzelns birgt, das in der Lage ist, ihn kurz über die Kompliziertheit des eigenen Vortags stolpern zu lassen, was neuerliche Schüttellacher provoziert – usw.

Und zweitens: durch ehrliche Anerkennung, etwa durch Gäste, die neben ihm in Talkshows sitzen und am Ende seiner Redezeit ihr Bedauern formulieren: "Schon vorbei? Man hört gerne zu."

Wahrscheinlich ist genau das Torsten Sträters Kernkompetenz: man hört ihm einfach gerne zu. Weil das Freude macht, überrascht, zum Nachdenken anregt. Und weil sich zwischen die humorigen Formulierungen immer wieder Ernst und Moral mischen, jedenfalls für Millisekunden. Er macht Witze zu Themen wie Massentierhaltung, über die es eigentlich nichts zu lachen gibt, denn: "Selbst mittelgute Witze darüber sind besser als nix zu sagen."

So authentisch wie gerade benötigt

Vor allem aber spricht er mit großer Offenheit zur Enttabuisierung vor laufender Kamera über die "vollkommen alltägliche und sehr saubere, aber leider potenziell tödliche Krankheit namens Depression", von der er sich hat heimsuchen lassen, und über Ereignisse, bei denen "ich schräg im Leben stehe erstmal ein paar Tage". Sträter sagt ehrlich: "Ich will schon für 'nen netten Kerl gehalten werden, aber ich hab heute nur so einen mittelguten Tag." Als er bei "Riverboat" im MDR zu Gast war, formulierte er einen tollen Leitsatz für alle in der Öffentlichkeit stehenden Medienschaffenden: "Ich bin so authentisch, wie es hier gerade benötigt wird."

So ganz ist er sich im Ernsten manchmal selbst nicht geheuer ("Ich werd dann immer komisch") und versucht das mit einem Beipackzettel zu überspielen: "Ich weiß, ich moralisiere, das geht allen auf den Sack, aber …" Aber dann macht er's trotzdem, ärgert sich zum Beispiel über Alltagsarmut und darüber, dass "die Hartz-IV-Familie mit den Blagen nicht mal in den Zoo kann, weil alles so teuer geworden ist".

Um sich dann augenblicklich wieder selbst einzufangen, indem er "einfach mal was Erfreuliches" sagt: "Pommes."

Strumpfhosenträger, gebt nicht auf!

Die oft nicht ganz so filigran-spaßige Comedy-Branche hat Sträter längst als einen der ihren assimiliert. Trotzdem ist es immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie wenig er mit seiner Art Humor in etablierte TV-Formate passt. Bei der Neuauflage des Ex-RTL-Hits "7 Tage, 7 Köpfe" saß Sträter im vergangenen Jahr neben Chris Tall, Bernd Stelter und Guido Cantz wie ein etwas ratlos wirkender Unbeteiligter am Spielfeldrand, um zusammenfassende Bemerkungen zu den Gag-Runden zu machen und sich die ein oder andere ironische Bemerkung zu erlauben: "Für den Fall, dass Sie gerade erst zugeschaltet haben (ich könnt's verstehen) …"

Aber den daneben sitzenden Kolleg:innen, die ihre Erheiterung mal nicht zu spielen brauchten, war die unausgesprochene Frage im Anschluss an Sträters Kurzmonologe quasi ins Gesicht geschrieben: Schon vorbei? Man hört gerne zu.

Und die Moral von der Geschicht'? Auch wenn man als Kind dazu gezwungen wurde, Strumpfhosen zu tragen, kann man im Alter noch auf eine veritable Bühnenkarriere samt eigener TV-Show hoffen; man muss im Zweifel bloß sehr, sehr lange Geduld haben. Oder um's mit Sträter dem Ernsten zu sagen: "Wir sollten alle mal gucken, dass wir was von unserem Geld abgeben, damit andere in den Zoo können."

Und damit: zurück nach Köln.

Die letzte Ausgabe der aktuellen "Sträter"-Staffel lauft am Donnerstag um 23.35 Uhr im Ersten; alle Ausgaben sind in der ARD Mediathek abrufbar.