Stonehenge, Atlantis, die Sphinx und das Turiner Grabtuch: Die Liste der Menschheitsmysterien ist lang und die Talkshow-Programmplanung des Ersten gehört definitiv dazu. Aber genau deshalb gibt's eigentlich keinen Grund, alles noch komplizierter zu machen. Außer, sagen wir: für das zum Werbevermarkter Ströer gehörende Jekyll-&-Hyde-Portal T-Online, wo gleichzeitig seriöse Recherchen und als Service-Journalismus getarnter Clickbait erscheinen.

Ende März berichtete die Redaktion, dass das Publikum "dieses Wochenende (…) auf Caren Miosga verzichten" muss; die Sendung des ARD-Talk-Neuzugangs falle aus und sei "bereits vergangenes Wochenende" nicht zu sehen gewesen, hieß es in dem bereits damals erschienen und eine Woche später notdürftig "aktualisierten" Bericht.

Den unterspektakulären Grund hatte Miosga Mitte des Monats eigenmächtig enthüllt: Osterpause.

"Eine neue Ausgabe ist somit erst wieder für den nächsten Monat geplant. Am 7. April geht es mit 'Caren Miosga' weiter", erklärte T-Online. "Die Themen und die Gäste der Folge sind noch nicht bekannt."

Fehlender Recherche-Ehrgeiz

Bereits zu Beginn des Jahres hieß es an derselben Stelle: "ARD muss Talk von Caren Miosga heute streichen". "[N]ach nur drei Ausgaben" pausiere die Sendung schon wieder, stattdessen laufe ein Krimi. (Das "muss" im Titel blieb eine unbelegte Unterstellung.) "Am 25. Februar kehrt Caren Miosga mit ihrer Talkshow zurück ins Programm. Welche Gäste sie dann empfangen wird, ist noch nicht bekannt."

Vergangene Woche dann der Hammer: Louis Klamroth verabschiedete sich bei "Hart aber fair" im Ersten! Also: ebenfalls in die Osterpause. "Auf vier Folgen werden die Zuschauer verzichten müssen", klärte T-Online auf. An zwei von vier Montagen gebe es nach Ostern stattdessen eine zusätzliche Ausgabe "Maischberger" – fertig war der Text "Klamroth fällt mehrere Wochen aus, Maischberger springt ein".

Und natürlich ist die bisweilen erratisch wirkende Talk-Programmierung der ARD ein hervorragender Berichterstattungsgegenstand. Aber dann müsste man vielleicht den Ehrgeiz entwickeln, herauszuarbeiten, was dahinter steckt.

Verstärker für Abschreibportale

Ein Blick ins Vorjahr hätte ergeben, dass auch "Anne Will" im ersten Quartal pausierte – zwei Wochen nach der Berlin-Wahl im Februar und zwei Wochen über Ostern. Und vielleicht ist das halt einfach der Turnus, der sich im Ersten für 30 zunächst mit Will und nun mit Miosga pro Jahr vereinbarte Sendungen etabliert hat. Aber davon will sich natürlich kein auf Reichweiten fixiertes Medium seine Klickstatistik kaputt machen lassen. (Warum "Hart aber fair" – anders als im Vorjahr – nun so lange fehlt, wäre hingegen eine Zusatzrecherche wert.)

T-Online positioniert sich in diesem Spiel zunehmend als Verstärker, der von anderen Online-Medien genutzt wird, um Nichtigkeiten abzuschreiben und zusätzlich zu übergeigen.

Als die ARD im November des vergangenen Jahres routinemäßig eine Abweichung von der bisherigen Moderationsplanung für die "Tagesthemen" meldete, waren damit bei T-Online gleich zwei Redaktionsmitglieder befasst: "Bei den 'Tagesthemen' gibt es eine Veränderung: Ingo Zamperoni wird nicht wie geplant die kommenden Tage durch das Format führen." Man habe "bei der ARD nachgehakt, was hinter dem mehrtägigen Ausfall des Moderators steckt" und vom zuständigen NDR erfahren, dass es bei lange im Voraus erstellten Dienstplänen "wie überall (…) zu üblichen Verschiebungen und Neudispositionen" kommen könne.

Nee, danach kommt nix Relevantes mehr.

Ingo Zamperoni hat moderationsfrei

Unter Berufung auf diese T-Online-Rechercheleistung berichtete anschließend auch die Trash-Schleuder Merkur.de unter der Suchmaschinen-optimierten Überschrift: "Ingo Zamperoni aus den 'Tagesthemen' gestrichen – ARD nimmt Stellung." Der Text referierte die Auskunft der NDR-Sprecherin, dass Zamperoni ab Dezember wieder für die Sendung eingeplant sei, allerdings mit dem empört klingenden Nachsatz: "Was Zamperoni in seiner 'Tagesthemen'-freien Zeit anstellt, teilt sie nicht mit." (Weil das Merkur.de natürlich einer möglichen Bonusschlagzeile beraubt, wenn die Möglichkeit besteht, dass Zamperoni – sagen wir – beim freizeitlichen Bouldern von der Kletterwand rutschen könnte: "Ingo Zamperoni: Bitterer Absturz!")

Kurz zuvor hatte bereits Jessy Wellmer bei den "Tagesthemen" gefehlt, woraufhin T-Online beim NDR erfolgreich erfragte, dass Wellmer "erkältet" sei, aber "in den nächsten Tagen wieder im Einsatz". (Bei ihrer späteren Rückkehr, identifizierte die Redaktion, "ließen sich noch leichte Erkältungssymptome erkennen").

In diesem März nun fehlte Zamperoni schon wieder, und T-Online stand bereit: "Langer 'Tagesthemen'-Ausfall – Ingo Zamperoni muss auch am Montag ersetzt werden." Eine Anfrage bei der ARD dazu sein "bis zur Veröffentlichung des Artikels unbeantwortet" geblieben, hieß es diesmal.

Klara Fall von Dienstplanverschiebung

Und beim nachrichtenportalgewordenen Allesschlucker Focus Online titelte man zur Übernahme eines zuerst beim Partner Express.de erschienenen Texts: "Er wird ersetzt: 'Tagesthemen'-Moderator Ingo Zamperoni fällt überraschend aus", dessen aus Nichtigkeiten bestehender Inhalt beim Runterscrollen zusätzlich durch ein aus Symbolaufnahmen zusammengeflicktes Video referiert wurde. Als Urheberin des Express-Texts, der dem T-Online-Prinzip in nichts nachsteht, ist eine gewisse "Klara Indernach" – der Quatsch-Name der Redaktion für Inhalte, die "mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz (KI)" erstellt werden.

Womit wir dann endgültig im Alptraum-Zeitalter angekommen wären, in dem bereits allerkleinste Änderungen in TV-Programmabläufen in Verbindung mit den Namen bekannter Moderator:innen zur weitgehend automatisierten Produktion von Schlagzeilen taugen, die oft schon umkippen, wenn man sie nur zu lange ansieht.

Und in dem jede Dienstplanverschiebung, jeder Schnupfen, jede mögliche Abwesenheit wegen eines Alternativdrehs immer wieder neuen Content generiert, der zur Relevanzauffrischung bestenfalls mehrfach aktualisiert, abgeschrieben und aufgetackert werden kann.

Mit immer gleichem Trick zum Klick

Aber das reicht der Online-Verwurstungsindustrie natürlich völlig aus, um möglichst kostenneutral zusätzliche Klicks für die eigenen Seiten zu generieren – auch auf die Gefahr hin, dass die TV-Berichterstattung dadurch immer dreister und dümmer wird, weil vielerorts längst ressortübergreifend jegliche Scheu fehlt, durch Überschriften Dramatisches zu suggerieren, das sich nach dem Klick stets bloß als Lappalie entpuppt.

Wie sehr diese Simulation scheinrelevanter Inhalte Gift für die Wahrnehmung des Journalismus als solchen ist, lässt sich in der Gesellschaft längst beobachten. Leser:innen bekommen von Online-Medien die ohnehin schon oft nicht besonders ausgeprägte Restfähigkeit abtrainiert, zu unterscheiden, was wirklich relevant ist und was bloß ein schmutziger Trick zur Klickgenerierung. Am Ende sieht ja alles gleich aus.

Das ist nicht nur, aber insbesondere für eine kritische Auseinandersetzung mit Medien Gift; nicht nur, weil in den Pressestellen der Sender zunehmend Ressourcen dadurch gebunden werden, sich zum Stand weit verbreiteter Infektionskrankheiten bei ihren Moderator:innen oder deren möglicher Freizeitaktivitäten nach Dienstplanumstellungen äußern zu sollen.

Der Nasenkatarrh bleibt Privatsache

Sondern vor allem, weil ernsthafte Berichte und Recherchen in der schieren Masse der TV-Quatschberichterstattung untergehen und seriöse Redaktionen der Versuchung widerstehen müssen, zu ähnlichen Tricks zu greifen, um noch ein Publikum erreichen zu können, das sich daran gewöhnt hat, dass es in Überschriften und Teasern ordentlich knallt, um sich überhaupt auf einen Text einzulassen.

Ein branchenweit durchgesetzter Vorschlag zur Güte könnte sein, Moderator:innen künftig bei der Ausheilung ihres Nasenkatarrhs und ferienbedingter Erholungspausen in Frieden zu lassen, ohne daraus pausenlos Scheinrecherchen abzuleiten. Und die Klara Indernachs in deutschen Redaktionen verstärkt so zu trainieren, dass sie in der Flut täglicher Meldungen Themen identifizieren, die sich tatsächlich nachzurecherchieren lohnen und deshalb geklickt und gelesen würden.

Aber das ist natürlich nur ein naiver Traum in einer Industrie, die sich im Unsinnsstrudel zunehmend selbst nach unten saugt.

Und damit: zurück nach Köln.

P.S.: Fanden Sie nicht auch, dass sich Louis Klamroth bei seiner Verabschiedung in die "Hart aber fair"-Osterpause neulich ein kleines bisschen heiser angehört hat?