Wer zehn Jahre lang immer in denselben Ferienort reist, gilt als Spießer. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass man jedes Jahr was anderes erlebt, neue Leute kennenlernt, die anders funktionieren, die stets andere Verhaltensweisen an den Tag legen. Trotzdem bleibt das Urteil: Spießer. Helmut Kohl galt als Prototyp. Immer wieder Wolfgangsee. Was haben die Menschen sich die Münder zerrissen, um diese Gleichförmigkeit zu geißeln. Immer wieder dasselbe, ha, ha, ha. 

Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn es ums Fernsehen geht. Zehnmal Dschungelcamp? Kein Problem. Ist zwar immer dasselbe, aber irgendwie auch anders. Jedes Jahr lernt man neue Leute kennen, die anders funktionieren, die stets andere Verhaltensweisen an den Tag legen. Spießer? Geh weg.

Jeden Sonntag „Tatort“. Das ist Kult, eine schöne Gewohnheit, immer anders. Sagt man so. Aber dann fällt der Blick auf die Quoten, und es stellt sich heraus, dass besonders jene „Tatort“-Episoden erfolgreich sind, die sich konventionell geben, von denen man schon vorher weiß, wie sie hinterher funktionieren. Immer wieder Münster. Immer wieder Bodensee. Immer wieder Ludwigshafen. Tanzt mal eine Episode aus der Reihe, ist Nichtbeachtung die Folge. Also nicht direkt Nichtbeachtung, aber doch ein Entzug der ganz großen Affinität.

Til Schweiger kann ein Lied davon singen. Anfang Januar erlebte er für seine Verhältnisse ein Quotendesaster. Er stürzte aus dem 13-Millionen-Himmel auf irgendwas mit sieben Millionen. Ob das zu Recht geschah, mag dahingestellt bleiben. Es soll hier nicht von Qualität die Rede sein, es geht um die Abweichung vom Erwartbaren.

Aber es trifft beim „Tatort“ nicht nur die Schweigerschen Rummsbummsfolgen. Auch Ulrich Tukur kriegte zum Jahreswechsel die Quotenkeule zu spüren. Da wurden in seinem Fall Ebenen verschoben, wusste man als Zuschauer nicht immer gleich, wo man war, blieb manches im Ungefähren. Schwere Kost für Konventionsfreunde. Nicht für jeden Intellekt brauchbar. Das wurde prompt abgestraft durch Nichtbeachtung. Also wieder nicht wirklich Nichtbeachtung, aber es gab doch ein für „Tatort“-Verhältnisse mageres Quotenergebnis.

Nur wer immer dasselbe macht, macht nichts falsch, scheint die Devise zu lauten. Wenn alles so läuft wie es immer läuft, läuft es am besten. Never change a winning team. Wenn sich bei „In aller Freundschaft“ die Dialoge zu wiederholen scheinen, wenn bei der 73. Wiederholung von „Mord mit Aussicht“ die ewig gleichen Manierismen zur Schau gestellt werden, ist das gut fürs Ergebnis. Neues bleibt dabei auf der Strecke, Experimente sind allenfalls in der Digitalwüste erlaubt.

Das deutsche Fernsehen ist auf Publikumsseite ein Hort des Konservativen, ein Bewahrmedium, das vor allem den mentalen Besitzstand sichern hilft. Nur keine Unwägbarkeiten, nichts wirklich Überraschendes, nichts, von dem man sagte könnte, dass Teile des Programms das Publikum verunsichern könnten.

Lange schon hat das deutsche Fernsehen alles Progressive abgeschüttelt. Die Revolution auf dem Schirm ist abgesagt. Vorbei die Zeiten, da von der Glotze wesentliche Impulse zur gesellschaftlichen Fortentwicklung ausgingen, da mit Überforderung des Publikums das Gemeinwesen entwickelt wurde. Aus und vorbei. 

Das Fernsehen von heute ist für die Masse nichts weiter als ein visuelles Bällebad, eine Verwahranstalt für die wenig Wagemutigen, die man keinesfalls durch Unvorhergesehenes aus ihrer Konvention reißen darf. Konvention ist gut, Konvention ist Sicherheit, Konvention ist der Urlaubsort, an dem man schon neunmal war.

Längst sind die Innovationsabteilungen ausgelagert. Im Netz wird probiert, im Fernsehen wird bewahrt. Wenn doch mal irgendwo Innovation draufsteht, ist höchste Vorsicht angesagt. Dann schraubt jemand hier und dort an ein paar Verbindungen, achtet aber peinlich genau darauf, nur niemand zu verwirren.

Der deutsche Zuschauer wird gerne gelenkt, er möchte erklärt bekommen, was er sieht. Wenn beim Fußball Schweinsteiger den Ball annimmt und groß im Bild ist, kommt bestimmt jemand her und sagt genau in der Sekunde „Schweinsteiger“. Da wäre ja sonst niemand drauf gekommen.

Bei Formel-1-Übertragungen muss dauernd gesagt werden, dass es gleich spannend wird. Dann weiß das Publikum, wie es sich zu fühlen hat. Solche Zuschauer behalten im Restaurant auch gerne mal die Karte bei sich, weil sie ihrem eigenen Geschmack nicht trauen, weil sie nicht erkennen, was sie da zu sich nehmen, weil sie lieber mal nachschauen, was das denn ist, das ihnen da schmeckt.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt Jan Böhmermann, der offizielle ZDF-Unsicherheitsdienstleister, der öfter mal den Bildschirm zum Wackeln bringt. Und es gibt noch ein paar mehr, die sich was trauen wollen. Nicht alles wird ihnen erlaubt. Nur echte Kämpfer kriegen das mit der Revolution hin.

Nun behaupten aber viele, auf Anbieter- wie auch auf Nutzerseite, dass sie schon des öfteren Neues ausprobieren. Das, was sie neu nennen, ist dann aber doch zu oft als das lediglich leicht modifizierte Alte zu erkennen. Das, was sie Innovation nennen, ist in der Regel nichts weiter als schüchterner Evolutionsschritt.

Fernsehen mit Masseneffekt ist in weiten Teilen das Medium für jene, die auch mental immer in den gleichen Ort fahren möchten. Viel geschautes Fernsehen ist das Medium für Spießer. Keine Experimente. Gib mir mehr von dem, was ich kenne.

Harald Schmidt hat mal gesagt, dass ein Land, in dem nicht regelmäßig acht Millionen den Musikantenstadl schauen, quasi unregierbar sei. Mit dem Erwartbaren lässt sich nicht nur Quote machen, sondern auch regieren. Jetzt ist der Stadl wegen erwiesener Unfähigkeit der Betreiber geschlossen, und was für Verhältnisse haben wir gerade?