Am Ende der „Tatort“-Folge vom Ostermontag rollt ein Lieferwagen auf eine Menschenansammlung zu, und dann gibt es eine gewaltige Explosion. Mitten in Dortmund. Man darf diesen Schluss spoilern, weil er längst durch die Medien ging, weil das Wissen um den Ausgang dem vorangehenden Geschehen die Spannung nicht nimmt. Der Lieferwagen und die Detonation zum Finale waren der Grund, warum die ARD diesen „Tatort“ am Neujahrstag aus dem Programm nahm. Man wolle die Betroffenen und deren Angehörige nicht kurz nach dem Lkw-Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit solchen Bildern konfrontieren, hieß es als Begründung.

Man verschob also den Ausstrahlungstermin um einen knappen Monat, aber da klappte es dann auch nicht so richtig, weshalb am Ende der Ostermontag festgezurrt wurde für die Folge „Sturm“. Würde die ARD nun ihrer Begründung vom Jahresanfang folgen, müsste sie erneut verschieben, denn gerade sind Bomben hochgegangen. In Dortmund. Dort, wo dieser „Tatort“ spielt.

Die ARD hat sich dagegen entschieden und damit eine sehr verhängnisvolle Trauerrhetorik unterbrochen. Man hat in der zuständigen Anstalt offenbar eingesehen, dass auf der Welt immer etwas passiert, das die Verlegung eines Krimis, der sich nicht an Pilcher-Maßstäben orientiert, nötig machen könnte. Irgendwo ist immer Bombenalarm. Gerade erst haben die USA ihre dickste Bombe auf Afghanistan herunterregnen lassen, das sichere Herkunftsland, in das Deutschland fleißig abgelehnte Asylbewerber abschiebt. Müsste man da nicht auch etwas verschieben? Irgendwas?

Der Abschied vom Automatismus der Verschiebung bei furchtbaren Großereignissen ist eingeleitet, und das ist gut so. Andernfalls hätte sich kein Drehbuchschreiber, kein Regisseur mehr den Luxus geleistet, die Realität ins Fiktive zu holen, das Weltgeschehen auch dort einfließen zu lassen, wo die Krimis spielen. Irgendetwas Reales ist doch ohnehin immer im Fiktionsangebot. Menschen töten einander, im Leben und im Fernsehen.

Zugegeben, im Fernsehen sterben mehr Menschen als in der offiziellen Tötungsstatistik der Republik Platz haben. Darüber kann man streiten. Ob das nötig ist? Ob man diese vielen Krimis braucht?

Aber sie haben nun mal Erfolg, und der Erfolg gebiert immer neue Wucherungen, bis das Programm irgendwann in der Krimiflut ertrinkt. Die Verantwortlichen wirken dabei ein bisschen wie Goethes Zauberlehrling, der sich erst freut, dass der Besen für ihn das Wasser holt, und sich dann wundert, dass der Besen nicht aufhören will, Wasser zu holen. Immer mehr und mehr.

Die Abkoppelung der Fiktion vom tatsächlichen Geschehen da draußen rechtfertigt sich aber nicht nur durch grundsätzliche Erwägungen, sie fällt auch leicht, weil „Sturm“ ein ziemlich guter, sehr sorgfältig gebauter „Tatort“ ist.

Zu Anfang werden zwei Polizisten erschossen. Als der chronisch durchgeknallte Kommissar Faber (Jörg Hartmann) am Tatort auftaucht, entdeckt er in der Nähe einen Bankangestellten, der hektisch Überweisungen tätigt. In der Folge geht es um ungute Einflüsse falscher Prediger, um fatale Entscheidungen, um Angst und um die Ausnutzung der Lage und der Stimmung im Lande.

Gleichzeitig ist klar, dass dieser Fall der letzte von Kommissar Kossik sein wird, dem jungen Ermittler im Dortmunder Viererbund. Schon im Vorfeld hatte der Schauspieler Stefan Konarske verkündet, dass er das Dortmunder „Tatort“-Team verlassen werde. Es geht also im Film auch um die Frage, wie dieser Abschied inszeniert wird, was zu mehreren Momenten führt, in denen Kommissar Kossik höchst fahrlässig handelt, was keiner inneren Logik zu folgen scheint.

Ansonsten aber ist dieser von Martin Eigler und Sönke Lars Neuwöhner geschriebene und vom wunderbaren Richard Huber präzise inszenierte Film eine Meisterleistung, was das Spiel mit den Ebenen angeht. Geschickt werden Gewissheiten gestreut, die sich indes kurz danach als falsche Schlüsse erweisen. Man weiß nicht, was und wem man glauben soll, und gerade das gibt diesem Film jene Kraft, die ihn deutlich aus dem „Tatort“-Einerlei heraushebt.

So etwas kann man nicht nur zeigen, so etwas muss man zeigen, weil man diesen Film auch sehen kann als Warnung vor zu schneller Erkenntnis. Für so etwas sollte immer Platz sein. Auch an schweren Tagen.

"Tatort: Sturm" läuft am Ostermontag um 20:15 Uhr im Ersten