Wenn ich diese Woche mal so Revue passieren lasse, dann bleiben mir zwei Bilder im Kopf. Zum einen ist da Birgit Schrowange, die auf einmal öffentlich ergraute, und dann sind da noch die beiden Papageien, die sich in Florida schutzsuchend an ein Hochhausfenster pressten, um dem Wüten von Hurrikan Irma zu entgehen, wobei der Name Irma ja ein bisschen klingt, als trage die zugehörige Frau auch graue Haare. So wie Birgit Schrowange.

Ich weiß nicht, wie diese beiden Dinge zusammenhängen und ob sie wirklich zusammenhängen, ob es auf dieser Welt möglicherweise eine Irma Schrowange gibt oder einen Hurrikan Birgit, aber ich finde es ziemlich bezeichnend, dass ich mir aus dem medialen Fluss, in dem ich täglich bade, ausgerechnet diese beiden Bilder herausgefiltert habe und sie nun vor meinem geistigen Auge so lange verschwimmen lasse, bis die Papageien graue Haare tragen und Birgit Schrowange an einem Hochhausfenster in Florida um Schutz fleht.

Alle anderen Themen sind auf einmal weg. Fortgeschwemmt und weggesogen von den mächtigen Bildern, die Irma hinterlassen hat. Da sind Menschen, die auf dem austrocknenden Meeresgrund herumlaufen, weil der Hurrikan alles Wasser zu sich gesogen hat. Da sind Korrespondenten, die im Hurrikan stehen und sich fragen lassen müssen, wie sich das anfühlt, was man da sieht. Ja, der Mann im trockenen Studio fragt das, obwohl jeder sehr deutlich sehen kann, wie man sich fühlt, wenn man im Hurrikan herumsteht und auf eine Frage aus dem trockenen Studio wartet.

Aber der Mann im Studio muss ja irgendetwas fragen, er muss ja irgendetwas tun, um seine Sendung zu füllen. Mir wäre ja lieber, er würde seinen Korrespondenten nicht mit einer strunzdummen Pseudofrage belästigen, sondern ihn einfach auffordern, sich in Sicherheit zu bringen. "So ne Scheiße, sehen Sie zu, dass Sie da wegkommen." Das wäre der richtige Spruch gewesen, aber letztlich auch wieder nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, weil jene, die sich da im Hurrikan präsentieren, nie solche sind, die unter dem Hurrikan zu leiden haben.

Im Gegenteil. Sie ernten unverdient Ruhm, ihre Bilder werden tausendfach multipliziert, und wenn sie heimkommen, wird man ihnen auf die Schulter klopfen und fragen, wie sich das wirklich angefühlt hat da im Hurrikan. Wenn der Reporter dann ehrlich wäre, würde er sagen, dass er die ganze Zeit im Korrespondentenwagen oder in einem sicheren Haus gewesen sei und sich nur für die Schalte mal kurz in vermeintliche Gefahr begeben hat, dass er sich gleichzeitig darum bemüht habe, ein bisschen so auszusehen wie die beiden Papageien. Oder wenigstens wie Birgit Schrowange.

Gleichzeitig sind in Myanmar über 300 000 Rohingya auf der Flucht, weil sie drohen Opfer "ethnischer Säuberungen" des örtlichen Militärs zu werden. Das ohnehin nicht von Wohlstand geprägte Nachbarland Bangladesch weiß nicht, wohin mit ihnen, und die Regierung von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi tut so gut wie nichts, um das Grauen, das ihre Militärs an den Muslimen anrichten, zu stoppen.

Gleichzeitig sterben in der Sahara massenweise Menschen. Sie sterben dort, weil die EU dafür bezahlt, dass sie nicht bis an die Küsten kommen, weil an den Küsten Bilder entstehen könnten von Schutzsuchenden. Oder von Leichen, die das Versagen Europas dokumentieren und das Grauen belegen. In der Sahara gibt es keine Kameras.

Aber all dieses Grauen findet nur schwer Raum in meinem Bewusstsein, weil es geflutet wird von diesen Hurrikan-Bildern. Das sind Bilder, die was hergeben, die vom Sturm fein komponiert werden, die mir nahelegen wollen, dass die Bedrohung ganz nah ist, weil ja Florida irgendwie ein bisschen wie Deutschland ist. Nur halt wärmer und mit netteren Papageien.

Dafür haben wir Birgit Schrowange und die unglaubliche Fähigkeit, unsere Betroffenheit und unsere Angst kanalisieren zu können. Wir fürchten uns sehr gezielt vor etwas, was wir nicht begreifen können. Wir blenden gleichzeitig aus, was wir nicht sehen wollen.

Ich wohne in der Nähe einer Autobahn, auf der im vergangenen Monat mehr als zehn Menschen bei Unfällen gestorben sind. Jeder dieser Unfälle war kurz eine Meldung wert in der lokalen oder in der regionalen Presse. Die Verbreitung richtete sich nach den Bildern und der Frage, ob man aus den Vorgängen einen Schicksalsschlag formen konnte. Wäre im gleichen Zeitraum ein Terroranschlag passiert mit zehn Toten, hätte es einen riesigen Nachhall gegeben und die Forderung nach Gesetzesverschärfungen. Aber Tote auf der Autobahn gehören nun mal zum Daily Business. Autobahnen lassen sich gut reinigen, Leiplanken sind nach zwei Tagen erneuert, nach zehn Tagen deutet nichts mehr auf das Unglück hin.

Genau so verhält es sich mit Myanmar und mit der Sahara. Man sieht die Fliehenden nicht oder selten. Weil kaum Korrespondenten unterwegs sind, die wirkmächtige Bilder liefern. Die haben genug zu tun in Florida. Ein paar unentwegte Reporter sind natürlich an den vergessenen Orten, aber die haben Schwierigkeiten, ihre Bilder an die heimischen Stationen zu bringen. Und wenn sie die Bilder übermitteln, landen die im Newsfluss abseits, am Rand, weil in der Mitte des Stromes die Bilder von den zitternden Papageien Beachtung und Verbreitung finden. Und Irma Schrowange.

Und der Wahlkampf, der sich wie Irma immer heftiger um sich selbst dreht. Längst sind alle Argumente zigfach ausgetauscht, müsste eigentlich längst auch der letzte Depp mitbekommen haben, dass am 24. September Bundestagswahl ist und die Nazis vor dem Einzug ins Parlament stehen. Trotzdem geht das Programm weiter. Mit der Wucht von Irma prallt das Ewiggleiche an das Glas meines Flatscreens, aber ich lasse es nicht mehr rein. Ich habe schon gewählt. Ich kümmere mich jetzt um die Papageien.