Ich bin ein treuer Anhänger des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Ich zahle gerne meinen Rundfunkbeitrag und finde ihn in der Höhe durchaus gerechtfertigt. Ich mag ARD, ZDF, Arte, 3sat, funk, ZDFNeo, One, die Wort- und Kulturradios, und Phoenix mag ich auch. Manchmal mag ich sogar das Oma-Fernsehen der Dritten. Ich bin also ein überzeugter Freund dieses Systems, das mir im Schnitt mehr Gutes als Schlechtes angedeihen lässt. Oder sollte ich sagen: Ich war ein Freund?

Es fällt mir nämlich zunehmend schwerer, meine Meinung mit Überzeugungskraft zu vertreten und mich offensiv als Werber der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu bewähren. Anlass für nachhaltige Zweifel sind die Pressekonferenzen, die von den ARD-Intendanten nach ihren regelmäßigen Treffen ausgerichtet werden. Diese Zusammenkünfte dienen vor allem dem unbedingten Anliegen der Hierarchen, Öffentlichkeit und Transparenz vorzutäuschen, letztlich aber mit möglichst viel Verbalausstoß möglichst wenig zu sagen. Ich habe nie eine Sitzung irgendeines Zentralkomitees östlicher Prägung miterlebt, aber ich kann mich einfach nicht gegen das Gefühl wehren, dass sich da Ähnlichkeiten auftun zu diesen ARD-Verlautbarungsveranstaltungen.

Bei denen werden viele Papiere verteilt, in denen steht, dass die ARD ein tolles Angebot hat, dass Korrespondent A fortan den Korrespondentenplatz in B besetzt und dass die Gremien mit warnendem Finger vor allem ihre eigene Arbeit loben. Kaum sind mir die Papiere ausgehändigt, rauscht es auch schon in meinem E-Mail-Fach. Eine Flut an Meldungen überschwemmt meinen Account, und wenn ich die alle gelesen habe, weiß ich in der Regel genauso viel wie vorher.

Die interessanten Fragen werden bei solchen Anlässen in der Regel nur dann Thema, wenn Journalisten Fragen stellen. Dann ist oft Volker Herres am Zug. Nicht nur weil er als ARD-Programmdirektor firmiert, sondern weil er ein Mann wie ein Tresor ist. In ihm sind Geheimnisse bestens aufgehoben. Herres beherrscht wie kaum ein zweiter die Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen.

In der vergangenen Woche gab es mal wieder solch eine Gelegenheit, den Künsten der ARD-Sphinx Herres lauschen zu dürfen. Die Journalisten Daniel Bouhs und Jörg Wagner wollten bei der Intendanten-PK von Herres wissen, wie er sich zu einer vor allem über Twitter bekanntgewordenen Mail verhalte, in der Jörg Kachelmann den Wunsch geäußert hatte, nach all seinen Freisprüchen zum Jahresende hin noch einmal am Ende der Tagesthemen eine Einzelmoderation machen zu dürfen. Er verband sein Anliegen mit der Entwarnung, danach nie wieder mit einem ähnlichen Wunsch lästig zu fallen. Dem Wettermann geht es sehr offensichtlich darum, der Seele etwas Ruhe zu verschaffen, nachdem man das Verhalten der ARD in seiner Sache nicht unbedingt als Vorbild für den sorgsamen Umgang mit zu Unrecht angeklagten Protagonisten werten kann.

Jörg Wagner hat die Anfrage dankenswerter Weise in Schrift und Ton dokumentiert, und wenn man mal hören will, wie dieser Herres so tickt, dann lausche man aufmerksam den vier Minuten und 18 Sekunden. In denen sagt Herres fast nichts zur Sache, außer dass er nichts sagt, weil er ja, und das betont er immer wieder gerne, ein altmodischer Mensch sei und das „Postgeheimnis“ achte.

Kein Wort darüber, dass sich die ARD in der Sache Kachelmann nicht mit Ruhm bekleckert hat. Stattdessen verweist Herres auf einen „Panorama“-Beitrag vom 26. Oktober. Der ist in der Tat sehr ordentlich geworden, lässt Kachelmann ausführlich zu Wort kommen und ihn auch verteidigen durch den ehemaligen Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen und einen ehemaligen Richter. Was auffällt ist, dass im ganzen Beitrag kein ARD-Hierarch auftaucht. Ein bisschen wird der Mangel kaschiert durch den Umstand, dass Wickert trotz Tagesthemen-Pensionierung im Jahre 2006, also vier Jahre vor den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Kachelmann, immer noch als ARD-Gesicht wirkt. Kein Intendant sagt was, kein Herres, keiner der Entscheider, die Kachelmann vom Sender nahmen und niemals zurückholten. So als hätten die hohen Herren mit der Sache Kachelmann nie zu tun gehabt. Pontius Pilatus steh mir bei. Kaum vorstellbar, dass die wackeren Autoren des Beitrags nicht eine entsprechende Anfrage losgeschickt haben.

Das Protokoll von der Intendanten-PK kulminiert schließlich in einem Herres-Satz. „Aber ‘such is life’ wie es im Moment ist“, sagt er. Ja, such is life bei der ARD, die kürzlich erst den Herres-Vertrag um drei Jahre verlängert hat. Die Antwort auf die Frage, warum es drei und nicht wie üblich fünf Jahre sind, blieb ebenso nebulös wie die Herres-Antwort auf die Höhe seines Gehalts. Während alle Intendanten ihr Salär inzwischen sauber ausweisen und sogar die Programmdirektoren und Redakteure so langsam honorartechnisch durchsichtig werden, hält sich der ARD-Programmdirektor bedeckt. Er ist halt altmodisch, der Herres. Oder um eine Analogie zum Glyphosat-Minister Schmidt zu ziehen: So isser, der Herres

Ich frage mich, wie verrottet ein System sein muss, das so etwas zulässt. Das ist nicht die ARD, für die ich gerne zahle. Das ist ein aus der Spur geratener Anstaltenverbund, der ganz offensichtlich Geheimniskrämerei vor Wahrheitsfindung stellt, der sich nur darum zu bemühen scheint, die Aufregung im Lande irgendwie standhaft zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass sich die Stürme schon legen, wenn man nur lange genug das Maul hält.

Ich glaube deshalb nicht, dass das so noch lange gut geht mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und mir. Meine Sympathie hat Schwindsucht. Meine Fragen werden täglich drängender. Irgendwann müssen Antworten her. Dass die allerdings niemals von Herres kommen werden, ist so gewiss wie das Wetter nach den Tagesthemen.