In der Kategorie "Wie dumm sind die Menschen?" gibt es neue Erkenntnisse. Also im Prinzip sind sie nicht ganz neu, aber irgendwie habe ich über den Jahreswechsel nicht alles komplett mitbekommen und wurde daher relativ ahnungslos mit Dingen konfrontiert, die mich erschauern ließen.

Nennt mich naiv, nennt mich blöd oder unbeleckt. Ist mir doch egal. Ich habe mir mit all den Medienheini-Jahren, die wegen so vieler geschmacklicher Unfälle, die ich ansehen musste, grundsätzlich drei Mal mehr zählen als normale Menschenjahre, ein Anrecht erworben, die Dinge auch wieder mit kindlichem Gemüt betrachten zu dürfen und nicht ständig die abgeklärte "Alles schon mal dagewesen"-Einstellung des übermüdeten Veteranen geben zu müssen.

Mein Herz mag alt sein, meine Ansichten sollten es nicht sein, auch wenn manche meiner Meinungen auf den ersten Blick ein wenig verschroben klingen mögen. Ich glaube aber nach wie vor, dass es ein Leben lang wichtig ist, Dinge aus einer gewissen Distanz zu betrachten und sich nicht vereinnahmen zu lassen von irgendwelchen Hypes, die mir suggerieren, ich müsse dem nächsten großen Scheiß unbedingt folgen.

Ich werde mir also nicht die Augen verbinden und Blinde Kuh spielen. Ich werde nicht irgendwo vor rennen und mich dabei filmen lassen, auf dass meine Follower-Gemeinde ganz oft ihre Zuneigung zu meinen audiovisuellen Ergüssen erklären kann. Angeblich tun das ja so viele, dass selbst Netflix vor weiteren Versuchen warnt. Man wisse nicht, wer das alles ausgelöst habe, aber nun rate man doch ab, das Verhalten aus dem Film "Bird Box" nachzuahmen. Dort treibt der Anblick eines bösen Aggressors die Menschen in den Suizid, weshalb sie sich mit Augenbinden schützen.

Nice Try, Netflix. Nicht schlecht inszeniert. So geht Marketing. Man haut irgendeine Meldung raus und warnt vor einem bis dahin überschaubarem Phänomen, heizt es aber mit der Warnung erst richtig an, weil sich in der nachrichtenarmen Neujahrszeit fast alle Medien drauf stürzen und alles veröffentlichen, was exotisch klingt. Sollte sich dann jemand trotzdem verletzen, ist man fein raus. Man hat ja gewarnt und gleichzeitig die Aufmerksamkeit gefördert für einen Film, der nach Angaben etlicher Berichterstatter eher mittelprächtig sein soll.

Was mich aber viel mehr umtreibt, ist die neue Bachelor-Staffel, die gerade gestartet ist. Ich habe da aus lauter Pflichtbewusstsein mal wieder reingeschaut und bin mittelprächtig entsetzt. Nicht in erster Linie über das Produkt, sondern über mein eigenes Verhalten der Vergangenheit. Jahrelang habe ich da immer wieder mal reingelinst und es entsetzlich gefunden. Aber letztlich nie entsetzlich genug, um mich richtig nachhaltig darüber aufzuregen. Ich habe sogar mit Kollegen darüber gelästert. Der Bachelor war halt immer guter Konversationsstoff, auch wenn der Talk, der sich darob entspann regelmäßig in der Kategorie small landete.

Ich fand mich halbwegs cool und habe mich halt rausgeredet mit irgendwelchen Popdefinitionen und Konträrfaszination, mit einem Hauch von Voyeurismus, mit diesem "die wissen schon, was sie tun"-Argument, mit dem ich wahrscheinlich vor 2000 Jahren auch im römischen Kolosseum durchgekommen wäre beim Beobachten der Löwen, die wehrlose Sklaven zerfleischen.

Ich glaube aber inzwischen, dass das, was jahrelang auch bei mir durchging, nicht mehr durchgehen darf. Vielleicht liegt es an einem gewissen von Heiligabend herübergeretteten Moralismus, aber ich bin der Meinung, dass sich so etwas wie der Bachelor in diesen Zeiten nicht mehr entschuldigen lässt.

Ich klage nicht RTL an. Die sind so doof wie immer. Sie legen halt Shit in die Auslage und freuen sich, wenn die Zuschauer Shit konsumieren. Ich appelliere eher an all jene, die sich den Bachelor als Guilty Pleasure zuführen, obwohl sie es doch besser wissen müssten, weil sie im restlichen Leben sofort den Aufstand proben würden, wenn ihnen jemand das Frauenbild vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts aufdrängen würde. Willige Weibchen buhlen um einen öligen Götzen, der doch bitte sie flachlegen möge und nicht die Mitbewerberinnen. Dass es dabei nicht um Charakter geht, sondern allein um die Fuckability, geschenkt. Muss man nicht erklären. Ist nicht lustig.

Der Bachelor ist inzwischen genauso wenig lustig wie es die rassistischen Hetzer von der "Bild" oder Witze über Alexander Gaulands Hundekrawatte sind. Mit so etwas verharmlost man Einstellungen, die nicht ins neue Jahrtausend gehören.

Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen sich ein Menschenbild aus der Steinzeit zurück wünschen und dazu den von RTL inszenierten TV-Puff als Abziehbild nutzen. So viel Freiheit sei jedem zugestanden. So etwas verträgt eine aufgeklärte Gesellschaft. Dafür gibt es Parteien, die just dieses Weltbild bedienen.

Ich ertrage nur keine Menschen mehr, die so etwas amüsiert schauen, obwohl sie es vom Bewusstsein her eigentlich besser wissen müssten. Solche Menschen dürfen natürlich tun, was sie wollen. Nur werden wir halt in diesem Leben keine Freunde mehr, weil ich nichts mit Menschen zu tun haben möchte, die ein derart überkommenes Frauenbild durch ihren zur Schau getragenen Konsum befördern. Wer so etwas tut, kann gleich AfD wählen. Das wäre aufrichtiger.

Aber stattdessen schaut man genussvoll hin und tut so, als sei man schwer aufgeklärt und verachte in Wahrheit die dem Produkt zugrunde liegenden Strukturen. Nein, tut man nicht. Man legt dem Rücksturz ins vergangene Jahrtausend, das wahrlich kein gutes war, den roten Teppich aus. Mal länger drüber nachdenken. Ende der Durchsage.