Es gibt im Fernsehen immer noch Momente, da möchte man der eigenen Wahrnehmung nicht glauben, weil sich ein Riesenspalt auftut zwischen dem, was man sieht und dem, was man hört. Das mag mit der Kunst großer Illusionisten zusammenhängen, denen es gegeben ist, die Aufmerksamkeit der Menschen so zu lenken, dass sie genau das mitbekommen, was sie mitbekommen sollen. Das ist oft große Zauberei in Wort.

Heiko Wasser und Christian Danner sind solche Illusionisten. Sie versuchen derzeit, alle zwei Wochen aus einer öden Kreisfahrerei ein spannendes Ereignis zu machen, ein Ereignis, das keines ist, wenn man nur seinen Augen traut. Die sehen nämlich nur verschieden gefärbte Autos hintereinander herfahren, selten überholen, und am Ende siegt irgendwer von Mercedes, und die roten Autos haben das Nachsehen. Man muss das einmal sehr deutlich sagen: Die aktuelle Formel-1-Saison ist die ödeste, die jemals war.

Nur nicht wenn man Heiko Wasser und Christian Danner lauscht, denn die können zaubern. Die beiden RTL-Kommentatoren sind quasi die Ehrlich Brothers aus der Rennzirkus-Manege. Sie sagen immer wieder, dass es gleich spannend wird, und wenn es dann doch nicht spannend geworden ist, sagen sie, dass es nun aber gerade ganz schön spannend war. Als Zuschauer wird man da rasch kirre, weil selten im deutschen Fernsehen die Bild-Text-Schere so weit aufgeht wie bei diesen Übertragungen.

Wer die als Sport missversteht, hat nicht verstanden, wie die Formel 1 funktioniert. Da geht es nicht um das schnelle Fahren, da geht es nur um das Drumherum, um die Masse an vermeintlich wichtigen Fakten, die am Ende angeblich über das Wohl und Wehe eines Fahrers entscheiden. Und es geht um die beschwörenden Stimmen der beiden Kommentatoren, die auch in jeder Hypnose-Show prima aufgehoben wären.

Großer Respekt für diese Leistung, denn das muss den beiden erst einmal jemand nachmachen, dieses fast zwei Stunden währende Reden über – nichts. Vergleichbar ist das vielleicht mit der epochalen Leistung von Günther Jauch und Marcel Reif, die 1998 eine kleine Ewigkeit über ein umgefallenes Tor plaudern mussten und das nicht funktionierende Wiederherstellen des Kastens zur unterhaltsamen Show wandelten.

In genau dieser Liga spielen Heiko Wasser und Christian Danner. Sie sind entweder begnadete Schönredner oder sehr naive Gemüter. Oder beides. In der einen Version lullen sie ihre Zuschauer gnadenlos routiniert ein, in der anderen haben sie sich eine Begeisterung bewahrt, die wohl niemand versteht außer ihnen selbst.

Sie entdecken winzigste Abweichungen an Reifen oder dem Chassis, und sie orakeln gerne über das, was jetzt eigentlich dringend passieren müsste. Wenn es dann nicht passiert, erklären sie einfach ein anderes Thema zum Mittelpunkt ihres Seins. Sie verstoßen gegen viele Regeln, die man als Fernsehjournalist so mit auf den Weg bekommt. Sie lesen beispielsweise vor, was auf dem Bildschirm steht, sie beschreiben, was man ohnehin sieht, und wenn auf dem Bildschirm das Signal erscheint, das die bevorstehende Einfahrt des Safety Cars signalisiert, dann sagen sie, dass das Safety Car jetzt reinkommt.

Natürlich profitieren die beiden davon, dass der Zuschauer bei diesen Formel 1-Übertragungen zugeballert wird mit Daten und Fakten, auf das er ob der schieren Fülle schwindelig werde und nicht mehr selbst weiß, was wichtig ist. Dann kommen Heiko Wasser und Christian Danner und preisen bedeutungsschwanger, was sie gerade in die Auslage legen. Das funktioniert nach der bewährten Manier eines guten Zauberers. Der macht Spökes mit der ausgestreckten rechten Hand und tut so, als passiere in oder um diese rechte Hand herum gleich etwas eminent Wichtiges. Whooops, auf einmal hat er dann ein Kaninchen in der linken Hand. Wo das Kaninchen herkommt? Nobody knows. Zauberei halt. It’s Magic.

In esoterisch angehauchten Kreisen werden die Aufnahmen von Formel 1-Übertragungen inzwischen auch zur Meditationsuntermalung eingesetzt. Insbesondere in männlich dominierten Gruppen soll das ganz hervorragend funktionieren. Da stellt sich schon kurz nach dem Start die beruhigende Wirkung von Gleichförmigkeit ein, die Wiederkehr des immer gleichen. Das sediert die Teilnehmer, die erst kurz vor der Zielflagge wieder aus ihrem Formel-1-Koma geholt werden.

Diese Meditationseinheiten wären aber nichts ohne Heiko Wasser und Christian Danner, denn nur wenn die in ihrer gleichförmigen Art das Nichts bereden, stellt sich die gewünschte Puls- und Blutdruckabsenkung ein. Sie sind das Sedativ eines guten Sonntags, und manchmal wirken ihre Worte so beruhigend, dass sie nur knapp an der Rezeptpflicht vorbeischrammen.

In dem Zusammenhang gab es schon Gerüchte, dass es Absprachen gebe zwischen der Formel-1-Leitung und den Betreibern der Meditationskurse. Letztere hätten gefordert, die Rennen auf keinen Fall zu spannend zu machen, hieß es. Es dürfe auf keinen Fall irgendetwas wirklich Spannendes geschehen. Das könne die Probanden aus ihrem Ruhezustand reißen, mit unabsehbaren Folgen für die beabsichtigte Genesung vom Alltagsstress. Überholvorgänge sind seitdem vor dem Rennen anzumelden, Rempler möglichst auf die Startphase zu beschränken, und am Ende muss Mercedes gewinnen.

Das sollten sich alle vergegenwärtigen, die Kritik an Heiko Wasser und Christian Danner üben und ihnen eine gewisse Transusigkeit vorwerfen. Was die beiden da machen, ist hohe Kunst, quasi die unerträgliche Langsamkeit des schnellen Seins.

In dem Sinne lässt sich fast allen Rennen, die noch anstehen, freudig entgegensehen. Sie sind nicht das, was das Auge sieht, sie sind das, was das Ohr vernimmt. Dank Heiko Wasser und Christian Danner. Am nächsten Sonntag wieder im Einsatz vor dem Mikrofon.