Hartz IV ist Mist. Es ist das, was Gerhard Schröder und seine Steinmeier-Bande zu Anfang des Jahrtausends angeschoben haben und was noch immer niemand gestoppt hat. Was mit großem Bohei und dem Märchen vom „Fördern und Fordern“ begann, ist längst zu einem bürokratischen Monster verwachsen, das Menschen eher am sozialen Aufstieg hindert als dass es sie just dazu befähigt. Staatlich alimentierte Armut mit einhergehender Stigmatisierung der so genannten Leistungsempfänger ist die Folge. Wer Hartz IV bezieht, ist raus aus dem Kreislauf jener, die sich noch Hoffnung auf ein besseres Leben machen können. Hartz IV ist Mist. Und die Berichte darüber sind es größtenteils auch.
An dem Eindruck kommt man zumindest nicht vorbei, wenn man sich bei RTLzwei all die Armutsreportagen antut, die dem Sender momentan respektable Quoten bescheren, ob sie nun „Hartz und herzlich“ oder „Armes Deutschland“ oder „Hartes Deutschland - Leben im Brennpunkt“ heißen. Es sind Reportagen, welche von jenen Menschen handeln, die eine Aufstiegsspirale immer nur von unten betrachten dürfen. Es sind Berichte aus dem echten Leben oder dem, was die Macher für das echte Leben halten.
Gutes dokumentarisches Fernsehen zeigt Menschen, wie sie sind, wie sie leben, wie sie sich mühen, wie sie scheitern. Gutes dokumentarisches Fernsehen will nicht werten, es will nur zeigen, was ist. Vox hat das vor Jahren mit „Asternweg – eine Straße ohne Ausweg“ vorgemacht und ist dafür zu recht preisgekrönt worden. Vor dem Hintergrund sind auch all die genannten Formate im RTLzwei-Programm erst einmal als gutes dokumentarisches Fernsehen zu werten.
Man nimmt erst einmal zugunsten der Macher der Reportagen an, dass sie Gutes wollen, dass sie es sich nicht leicht machen. Sie begegnen ihren Protagonisten, die sie vorzugsweise in sozialen Brennpunkten finden, vordergründig mit Respekt, auch wenn sie oft nur pure Verwahrlosung aufnehmen und mehrfach in eine Art Elendstourismus abrutschen. Doch, man will den Machern erst einmal guten Willen unterstellen. Man will da unvoreingenommen herangehen und annehmen, dass es da Motivationen gibt, die über das Abfilmen von möglich spektakulären Abgründen zur Quotensteigerung hinausgehen.
Wäre es anders, müsste man die Macher sofort anklagen wegen der Einrichtung eines Menschenzoos, wegen Zynismus, wegen Verstößen gegen die Menschenwürde. Das kann niemand annehmen wollen. Allerdings sprechen all die Sendungen in ihrer Gesamtheit eine Sprache, die deutlich macht, dass die meisten der als ehrenwert präsentierten Absichten rasch zur puren Makulatur werden. Nicht die einzelne Reportage ist dabei unbedingt das Problem, es ist die Addition der vielen Formate, die alle einem ähnlichen Duktus folgen, die vorzugsweise in Depressions-Moll erzählt werden, die nahe legen, dass da draußen ganz viele Lebensversager vegetieren.
Zu viele einzelne Berichte von individueller Verwahrlosung addieren sich zu einem Gesamtbild, das von Trostlosigkeit erzählt. Wirklich ausgeglichene Verhältnisse sind Mangelware. Verbringt man ein paar Tage mit diesen Dokus als Begleitmusik, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, ob diese permanente Beballerung mit Elendsberichten in ihrer Massierung nicht genau das Gegenteil dessen bewirkt, was die Macher der einzelnen Reportage erreichen wollen.
Normalerweise ist es doch so, dass man sich als Dokumentarfilmer einen Ausschnitt aus dem Leben vornimmt, diesen ausleuchtet und anhand dieses kleinen Teils etwas über das Große und Ganze erzählt. Bei RTLzwei ist es beinahe umgekehrt. Da wirkt es, als erzähle das große Ganze mehr über jedes einzelne Detail als dieses selbst, als bezichtige die Gesamtheit der Eindrücke die möglicherweise aufrichtig eingeholte Einzelaussage der Lüge.
Zeigt die einzelne Doku noch jede Menge Verständnis für individuelle Schicksale, so legt das Gesamtangebot unausgesprochen einen Schleier von „selber schuld“-Vorwürfen über die Protagonisten, weil sie am Ende dann doch alle gleich werden, zu einer grauen Verwertungsmasse verschwimmen, die keinem anderen Zweck zu dienen scheint, als Quote zu machen. Es ist ein Dilemma, von dem sich schwer sagen lässt, wie man ihm entkommen soll, zumal der Erfolg nach Quoten ja durchaus als schweres Argument wiegt. Die Menschen da draußen interessieren sich ganz offenbar für diesen armen Teil Deutschlands, zu dem RTLzwei da die Tür öffnet.
Aus welcher Motivation heraus die Menschen so etwas anschauen, bleibt indes fraglich. Möchten sie sich erheben über die im Fernsehen gezeigten Gebeutelten? Erkennen sie sich möglicherweise wieder? Oder ist es eine Art Konträrfaszination, die da anziehend wirkt? Man sieht viele Eltern an der Belastungsgrenze, man sieht aggressive Kinder, gelangweilte Kinder und orientierungslose Heranwachsende. Man sieht Menschen, die ganz offensichtlich die Tragweite ihres Tuns nicht ausreichend überblicken. Fast alle rauchen, fast alle sind mit dem Leben überfordert.
Die Frage, warum die Protagonisten bei solch einer Unternehmung mitmachen, die sie nicht zwangsläufig in ein sehr günstiges Licht stellt, bleibt weitgehend unbeantwortet. Bei manchen Formaten wird den Teilnehmern eine kleine Aufwandsentschädigung gezahlt, die sich nach RTLzwei-Angaben im unteren dreistelligen Bereich bewegt. Das ist für einen Hartz-IV-Empfänger im Zweifel sehr viel Geld. Aber vielleicht ist es auch der Wunsch nach ein klein bisschen Prominenz im Viertel oder das Begehren, endlich einmal Gehör zu finden. Vielleicht werden die Kamerateams aber auch nur als willkommene Unterbrechung der täglichen Langeweile empfunden.
Nicht alle dürften hinterher glücklich sein mit den Bildern, die ihr Leben zeigen. Nicht alle mögen es, ihr Gesicht im Spiegel zu sehen. Und sie müssen sich dann noch die Sätze aus dem Off-Text anhören, die nicht unbedingt falsch sind, die aber eine Stimmung verbreiten, die viel zu oft jener problemorientierten Dramaturgie folgt, die man aus den „Goodbye Deutschland“-Dokus bei Vox kennt, wo Menschen beim Versagen im Ausland mit der Kamera begleitet und medial ausgebeutet werden. Parallelen lassen sich auch finden zu Geissens und Wollnys, wo strenggenommen auch von Mangel berichtet wird, halt nur nicht von monetär bestimmtem.
Auch bei den Armuts-Dokus liebt man es, Fallhöhe zu generieren. „Ich hätte gerne ein eigenes Zimmer“, darf da eines von 14 Kindern sagen, bekommt es aber aus dem Off direkt auf die Mütze. „Doch dazu wird es nicht kommen“, raunt die Stimme. Es findet sehr viel „Ich“-Recherche statt. Die Protagonisten erzählen von sich, die Off-Stimme ordnet ein. Darstellungen von möglichen Gegenseiten finden nur selten Gehör. Ganz offensichtlich soll das einen gewissen Purismus dokumentieren, nur das nackte Dasein zeigen.
Wie repräsentativ diese massive Ansammlung von Armutsbeschreibungen ist, darüber darf gerätselt werden. Sie positioniert sich auf jeden Fall klar als Konterpart zu öffentlich-rechtlichen Programmen, in denen Armutserzählungen auch vorkommen, in denen sie aber im Kontrast zum RTLzwei-Programm nachgerade weichgezeichnet wirken.
Fordert man vom Fernsehprogramm eine Diversität auf möglichst vielen Ebenen, dann muss man klar sagen, dass arme Menschen im Normalprogramm deutlich unterrepräsentiert sind. Nicht nur im Dokumentarischen. Man muss sich nur mal die Soko-Tatort-Rentnercops-Hafenkante-Krimis durchschauen und registrieren, wie oft, oder besser gesagt, wie selten dort arme Menschen zum Zuge kommen und wie oft das handelnde Personal aus der Mittelschicht stammt. In der Hinsicht sorgt RTLzwei tatsächlich für einen gewissen Ausgleich.
Allerdings haben all die Armutsreportagen auch ein schweres Manko zu tragen, denn die Armut, die RTLzwei zeigt, ist vor allem weiß. Menschen, deren Hautfarbe nicht weiß ist, sind nur selten zu sehen, dabei dürfte jedem klar sein, dass nicht nur weiße deutsche Menschen Hartz IV beziehen. Bei RTLzwei sagt man, dass das fürs hauseigene Programm nicht stimme, dass es da durchaus auch eine gewisse Diversität gebe. Man habe da einen Kroaten und jemanden aus Mali und, und, und.
Am Ende bleibt so etwas wie eine große Depression, die sich zur großen Depression dieser Tage gesellt. Auf besondere Art macht die eine die andere schlimmer, treten die Mängel dieser Art von Fernsehen momentan besonders scharf hervor, wirkt der zu diagnostizierende Zynismus letztlich noch eine Spur brutaler als er ohnehin schon ist, und man kommt an dem Schluss nicht vorbei, dass dieses Programmangebot bei RTLzwei schon armes Fernsehen ist.
PS: Bernd Gäbler hat für die Otto-Brenner-Stiftung einen intensiven Blick in Armuts-Formate mehrere Sender geworfen und ist zu Ergebnissen gekommen, die nahelegen, dass das Genre einen "Extremismus des Elends" pflegt "im Tarnkleid des Mitgefühls“.