Herr Böhmermann, nachdem ich „Hallo Spencer - der Film“ geschaut habe, stellte sich mir eine Frage: Was habe ich da gesehen? 

Einen Märchenfilm mit der Mission dabei mitzuhelfen, „Hallo Spencer“ zu retten. Der Film ist keine Wiederbelebung, aber auch keine Nostalgie, sondern ein Märchen, das erzählt, was mit "Hallo Spencer" und dessen Schöpfer geschah und endet mit der Hoffnung, dass ein Ende vielleicht auch ein Anfang sein kann.

Ich schwankte zwischen Denkmal für einen deutschen TV-Kult oder dem längsten je produzierten Verkaufstrailer…

Unsere eingeschworene Produktionsgruppe hat sich sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, ob wir wirklich einen „Hallo Spencer“-Retro-Film machen wollen – also gemeinsam in das Früher eintauchen sollten. Das wollten wir nicht. Dazu hat uns Lebensgeschichte von Winfried Debertin zu sehr berührt. Er hat uns mal im "ZDF Magazin Royale" besucht und nach der Aufzeichnung sprachen Tim Wolff und ich mit ihm darüber, was eigentlich aus „Hallo Spencer“ geworden ist. Wir konnten nicht glauben, was Winfried uns erzählt hat und haben seine Puppen und ihn dann mal besucht in Moisburg bei Hamburg. Es war der Wahnsinn, was wir da vorgefunden haben. Winfried Debertin hatte alles, was noch existierte von „Hallo Spencer“ eingelagert in den heruntergekommenen Räumen der ehemaligen Diskothek "MicMac". Und die sollte abgerissen werden. Da wurde schon eingebrochen, es wurden Feuer gelegt. Das war irre in der Diskothek: Wir konnten Winfried Debertins Künstlergehirn betreten und sind zugleich durch unsere eigenen eingeschweißten Kindheitserinnerungen gelaufen, alles angestaubt und von Motten zerfressen. 

Wie fühlt sich das an, wenn man selbst damit groß geworden ist?

Zuerst war ich traurig und habe mich gefragt: „Ist das hier auch mein Leben? Alles aussortiert und weggeworfen?“ Verklärte Erinnerungen so alt wie ich selbst, die jetzt einfach da rum liegen und niemand interessiert sich mehr dafür. Im "MicMac", der verlassenen Diskothek, standen Kulissenteile, Stoff-Rollen, tausende Sendebänder und Kartons voller Drehbücher herum, noch auf Schreibmaschine geschrieben. Winfried Debertin erzählte, dass eine Zeit lang regelmäßig Wagen vom NDR kamen, um ihm die Sendebänder zu bringen, weil die vertraglichen Lagerfristen beim NDR abgelaufen waren. Wir waren total fasziniert von dieser deutschen TV-Geschichte und haben angefangen uns zu überlegen, was wir machen können. Passiert mir das auch eines Tages? Schickt der Sender dann auch einmal im Monat mit einem Lieferwagen vorbei und kippt mir mein Lebenswerk vor die Tür, weil die Lagerfristen ausgelaufen sind? Weiß ich dann auch nicht, wohin damit?

Und wie kam es dann zu genau dieser Art von Film anstelle eines Revivals?

Der erste Gedanke wäre natürlich: Wir nehmen die Figuren und legen das neu auf! 3D-animiert oder als Manga! Aber schnell haben wir gemerkt: Viele kennen „Hallo Spencer“ nicht mehr und die, die es kennen, haben eine verklärte Erinnerung an das, was es war. Wer "Hallo Spencer" auf YouTube schaut, merkt schnell: Irgendwie hatte man das als Kind anders in Erinnerung. Deswegen erschien uns ein kultig inszeniertes Revival falsch. Außerdem ist das Winfried Debertins Welt, die wollten wir nicht kaputt machen und ihm nicht wegnehmen. Ich will kein Merchandise verkaufen, ich habe kein kommerzielles Auswertungsinteresse - vielleicht ist das auch eine Schwäche von mir - aber es interessiert mich wirklich nicht, Dinge zu reproduzieren. Das ist geschäftlich vielleicht nicht maximal effizient, aber mir ging es einfach um seine Geschichte. Dann war der nächste Reflex: Wir machen eine Doku!  

Wurde es dann aber auch nicht, warum?

Ich bin ja kein Dokumentarfilmer – zu ungeduldig. Und auch eine Doku wäre ja nichts als stumpfe Nostalgie, weil man sich nur mit dem befassen kann, was mal war. Und zwischendrin noch ein paar aktuelle Talking Heads mit frischen Einordnungen von Campino, Günther Jauch und Tahnee? Och, nee! Darum haben wir das Leben von Winfried Debertin betrachtet, das Schicksal des Schöpfers von "Hallo Spencer". Da stehen die Erinnerungen an früher und verrückte Ideen für die Zukunft im Mittelpunkt, das ist zugleich faszinierend, tragisch und komisch – und diese drei Adjektive zusammen ergeben Hoffnung und eine tolle, wahre Geschichte. Unser Film konnte nur ein Märchen werden – das Märchen von Jakob Sesam, dem Schöpfer von "Hallo Spencer" und seinem Traum, seine versunkene Welt in der Gegenwart wieder zum Leben zu erwecken. Können erdachte Welten untergehen? Und wenn ja, sollten sie es? Darum geht es in "Hallo Spencer – der Film". Hoffentlich fragen sich nach dem Abspann ein paar mehr Menschen: „Und jetzt?“

Also schon ein bisschen der teuerste Promo-Trailer aller Zeiten?

Wie zynisch! Typisch Medienbranche! (lacht) Ich habe Winfried Debertin von Anfang an gesagt: Wir machen nur diesen Film – nicht mehr! Wir wollen keine Serie produzieren, kein Cash abgreifen oder eine Puppenshow komplett neu auflegen. Wir wollen deine Geschichte erzählen und ein paar große, wichtige Fragen an die Kunst und das Leben stellen. Darum geht es. Und was aus „Hallo Spencer“ wird und ob unser Film vielleicht wirklich die Herzen für Untergegangenes erwärmen kann: Das ist nur die B-Seite dieses Projekts an dem wir drei Jahre gearbeitet haben.

Wie intensiv war Winfried Debertin dann involviert in den Film?

Es ist seine Puppenwelt, sein Leben, er war an fast jedem Drehtag am Set. Stand hinter jeder Kamera und wuselte zwischen seinen Puppen herum. Übrigens eine echte Herausforderung für den wahnsinnig tollen Rainer Bock, der als Jakob Sesam, praktisch Winfried Debertin gespielt hat und sich selbst regelmäßig am Catering gegenüber stand. Aber der echte Winfried Debertin hat mir an einem Abend gleich zwei Textentwürfe für einen – natürlich wie immer viel zu langen, viel zu verrückten – Song der Quietschbeuys geschickt. Wie vor vierzig Jahren! Winfried Debertin konnte schon texten wie eine KI, bevor es ChatGPT gab.

Sie haben aber mit einer Welt gearbeitet, die er erschaffen hat und dann ständig dabei war…war das immer traute Einigkeit?

Natürlich nicht! Kein bisschen! Es war ein ständiges Ringen, ein Kampf! Allein als er das Drehbuch zum ersten Mal gelesen hat – uiuiui! Aber das ist ja auch klar: es ist sein Leben, sein Werk, seine Kunst. Wir haben dann eine Vereinbarung geschlossen und ich habe Winfried zwei Dinge versprochen. Erstens, der Film erzählt dich – aufrichtig und schonungslos, aber zugewandt – und, zweites, deine Puppen überleben am Ende. „Hallo Spencer“ sollte nach dem Film lebendiger sein als vorher.

Bei wem im Team gibt es eigentlich eine so ausgeprägte Hassliebe zu Berlin, dass die Stadt im Film sehr deutlich als Heimat des Bösen dargestellt wird?

Wir hassen Berlin, alle. Berlin als Konzept ist einfach ein fantastischer Antagonist und die passende Heimatstadt für unsere beiden gruseligen Bündnis-Sarah-Wagenknecht-Kapitalisten, zwei der Gegenspieler von Jakob Sesam.

Der Film ist voll von böser Medienkritik, die nicht direkt mit „Hallo Spencer“ zu tun hat, wenn ich an die Darstellung einiger Personen denke…

Doch, da basiert viel auf den Erfahrungen die Winfried gesammelt hat. Dass er seit zwanzig Jahren versucht einen „Hallo Spencer“-Film ins Kino oder das Fernsehen zu bringen, ist wahr. Dass er in den 90er Jahren die internationalen Rechte an „Hallo Spencer“ an Haim Saban verkauft hat - auch dieser Aspekt ist wahr. Die Rechtelage ist bis heute sehr unübersichtlich. "Hallo Spencer - der Film" ist eben auch die Geschichte eines gescheiterten TV-Produzenten. Medienexperten werden einige der Archetypen, die in dem Film auftauchen, kennen. Das speist sich aus Winfrieds Erfahrungen und natürlich auch ein bisschen von Tim Wolff, Elias Hauck und mir. Wie nah oder fern die Figuren im Film an realen Personen orientiert sind, kann ich natürlich jetzt nicht sagen (lacht) Skurril ist es auf jeden Fall, dass das jetzt ein ZDF-Film geworden ist obwohl das eigentlich eine NDR-Serie war.

Und der NDR wollte nicht?

Wir haben dem NDR alles vorgeschlagen, was man hätte machen können, um ein Stück eigene Geschichte zu erzählen. Aber ich vermute hinter der Zurückhaltung steckte die Sorge vor dem Vorwurf, dass der NDR diese Marke einfach so hat fallen lassen. Schließlich rottete keine 30 Auto-Minuten vom Rothenbaum entfernt ein Stück NDR-Fernsehgeschichte jahrzehntelang einfach so vor sich hin. Außerdem ist der NDR traditionell sehr mit sich selbst beschäftigt, da wollten wir den Sender nicht länger mit spannenden Ideen belästigen und sind lieber zum ZDF gegangen.

Wo Sie dann doch noch nicht aussortiert werden…

Aber ein bisschen mahnt dieser Film! Wir haben bei dem Projekt mit den tollen Kolleginnen und Kollegen von Studio Zentral bzw. Network Movie zusammen gearbeitet. Da sind die Produktionsteams eher einem Altersdurchschnitt von 50 Jahren näher, wir hier in Ehrenfeld bei UE liegen eher so um die 30 Jahre – und ich stehe irgendwo dazwischen. Aber egal, ob alt oder jung: irgendwann kommt der Sender und sagt dir: „Hier, das ist dein Lebenswerk. Wir wollen dich nicht mehr. Sieh zu, was du damit machst.“ Darum sollte man sich früh die Frage stellen: Merke ich rechtzeitig, wenn ich als Einziger an etwas festhalte, an dem sonst niemand mehr festhalten will? Und deswegen war die Premiere des Films auf dem Filmfest München im Sommer für Winfried und uns alle so ein extrem emotionaler Tag. Weil alle wussten, dass am Ende immer  noch Liebe da ist.

Eine so kostspielige Welt zu erfinden, also eine IP zu kreieren, das macht heute im deutschen Kinderfernsehen niemand mehr. Was war damals anders als heute?

Damals hatte Winfried Debertin einen enormen Freiraum, in dem er machen durfte, was er wollte. Nur so kann etwas wie „Hallo Spencer“ entstehen, was über Jahrzehnte existiert. Freiraum ist heute nicht mehr vorgesehen, alles ist durchgetestet und risikogemanagt. Alles Neue ist Angst – vor allem im Öffentlich-Rechtlichen. Und früher hatte man Zeit: die Folgen waren länger, Kinderserien hatten sogar noch B- und C-Plots. Heute ist alles effizient, reduziert, computeranimiert und der Titelsong kommt von Helene Fischer. Die Einfältigkeit fällt aber weder Kindern und Eltern auf, weil's dafür laut ist und dramatisch, wo gar kein Drama nötig wäre. Da kann man Sehnsucht bekommen nach - um mal einen Satz aus dem Film zu zitieren - Ideen, Mut und neuer Liebe. 

Die spürt man bei dem Film auf jeden Fall.

Gerade weil das Projekt so besonders ist, war es wirklich wichtig eine Gruppe von tollen Menschen zusammenzutrommeln, die verstehen was wir vorhaben. Zuneigung zum Thema und Lust an der Weirdness, weil man die „Hallo Spencer“-Welt anders gar nicht erzählen kann. Im Film gibt es nur Practical Effects, nichts 3D-Animiertes, alles ist langsam und leise und verregnet. Und da war Timo Schierhorn, eines der kreativen Masterminds aus der Deichkind-Gruppe, ein echtes Glück für die Regie. Vicky von Minckwitz (Szenenbild) und Jutta Pohlmann (Bildgestaltung) haben eng mit ihm zusammengearbeitet. Das war die kreative Keimzelle. Wir haben alle überlebenden "Hallo Spencer"-Puppenspielerinnen und Puppenspieler eingeladen, noch einmal ihre alten Figuren zu sprechen und zu spielen – und fast alle sind unserer Einladung gefolgt! Und mit Rainer Bock, Victoria von Trauttmansdorf, Jens Harzer oder Marina Galic haben wir wunderbare, große Schauspielerinnen und Schauspieler, die an der Seite der Puppen unser Märchen tragen und mit Leben füllen. Wir von der eher etwas spezielleren UE haben den Film zusammen mit Studio Zentral und Network Movie produziert - die, diplomatisch formuliert, ganz, ganz viel Erfahrung mit fiktionalen Produktionen haben. Alle produktionellen Zutaten, die auch "Hallo Spencer" ergeben haben, stecken also auch in diesem mal lustigen, mal traurigen Film für die ganze Familie. Ich mein, Dirk von Lowtzow singt zusammen mit den Quietschbeuys einen Song! Allein das schon!

Im Film fällt ein toller Satz, den Sie auch schon im Podcast „Fest & Flauschig“ mal genutzt haben. Wo tauchte „Kunst ohne Exposition ist Masturbation“ zuerst auf?

Den Satz habe ich ein paar Jahre im Kopf rumgetragen. Und dann mal im Podcast an der frischen Luft getestet – da stand er aber schon im Drehbuch. Toll, oder?

 

"Ich wünsche mir eine schlaue, zeitgemäße öffentlich-rechtliche Sitcom"

 

Ganz groß. Vor einem Jahr kam „Das Grundgesetz der Tiere“, jetzt „Hallo Spencer“, woran seit drei Jahren gearbeitet wurde. Dazu kommt der Podcast parallel zur wöchentlichen Sendung: Wie viele Projekte kann man gleichzeitig jonglieren ohne eins davon zu vernachlässigen?

Das bleibt Jongleursberufsgeheimnis. Aber es gibt noch ein paar andere Dinge, bei denen ich das Gefühl habe: Die muss ich dringend machen.

Und was wäre das?

Ich wünsche mir eine schlaue, zeitgemäße öffentlich-rechtliche Sitcom. Ich glaube, das geht. Ehrlich. Das Genre schnappen, ein gutes aktuelles Thema, ein hervorragendes Team und dann mal in geil eine lustige Sitcom zu machen – das wär's! 

Zum Schluss nochmal zur Medienkritik. Wenn im „Hallo Spencer“-Film der Sender einen Produktionsauftrag erteilt, aber nur wenn der Produzent selbst das Geld mitbringt - und ihm dann dafür auch noch gönnerhaft beglückwünscht - das speist sich aber schon mehr aus Ihren Erfahrungen als denen von Winfried Debertin oder?

(lacht laut) Ich sag da nix zu.

Sie haben also auch noch nie bei einem Auftraggeber gepitcht, der dabei in der Badewanne saß…

Im übertragenen Sinne, ja. Aber mehr verrate ich nicht. Sie wissen doch: Es ist ein Märchen (grinst) und das ist gut so. Kein anderer Film wäre richtig gewesen. "Hallo Spencer – der Film" will ganz bewusst ein kleines, weirdes Ausrufezeichen im sonst eher konventionellen Fernsehbetrieb sein. 

Herr Böhmermann, herzlichen Dank für das Gespräch.

"Hallo Spencer - Der Film" wird am 13. Dezember um 10 Uhr in der ZDF-Mediathek veröffentlicht, ZDFneo strahlt ihn am 24. Dezember um 20:15 Uhr aus, das ZDF am 27. Dezember um 23:45 Uhr