Frau Kramm, was macht die Polyphon so robust, dass sie in dieser schnelllebigen Branche 60 Jahre durchgehalten hat?
Im Wesentlichen hat es deswegen so gut geklappt, weil wir immer versucht haben, Opportunitäten zu erkennen und zu ergreifen. Dazu gehört, dass wir uns immer sehr breit aufgestellt und uns nie auf einzelne Genres beschränkt haben. Dass wir alle immer noch neugierig sind auf neue Entwicklungen und versuchen, diese in unseren Projekten aufzugreifen.
Sonst hat die Polyphon von heute vermutlich nicht mehr so viel gemein mit der Polyphon Ihres Vaters Frithjof Zeidler aus den 60er und 70er Jahren.
Vom Programm her sind wir natürlich völlig anders aufgestellt. In den ersten Jahren stand die Polyphon vor allem für klassische Musikprogramme – passend zu ihrer Vorgeschichte als Musikgerätehersteller und zum damaligen Gesellschafter Deutsche Grammophon. Mein Vater hat in den 60ern einige der ersten Satellitenübertragungen im deutschen Fernsehen aus Cleveland oder aus Moskau initiiert. Was Filme angeht, war damals noch nicht so viel Geld für deutsche Eigenproduktionen vorhanden. Deshalb war mein Vater weltweit sehr viel unterwegs, um internationale Koproduktionen zu realisieren. Als der deutsche TV-Markt in den 80ern immer größer wurde, wurden die Koproduktionen weniger.
Die größten Straßenfeger der Anfangsjahre waren die "Peter Alexander Show" und die Shows mit Opernstar Anneliese Rothenberger im ZDF...
... für die mein Vater den Journalisten und Musikpromoter Wolfgang Rademann engagierte. Bei ihm hatte ich meinen allerersten Fernsehjob – als Kabelträgerin in einer "Peter Alexander Show". Ab Ende der 70er wandte Rademann sich auch dem Fiktionalen zu, zunächst mit einigen Episodenfilmen, ab 1981 mit dem "Traumschiff". Parallel entwickelte sich die Ausrichtung der Polyphon weiter. Mit dem Start von RTL und Sat.1 hat mein Vater das Seriengeschäft dann richtig breit aufgestellt.
Als Produktionsfirma für Film und Fernsehen entstand die heutige Polyphon 1965. Ihre Gesellschafter waren die Deutsche Grammophon, Studio Hamburg und Gyula Trebitsch. Die Tradition des Unternehmens reicht zurück bis 1885, als zwei Leipziger Ingenieure die Polyphon als Hersteller von Musikabspielgeräten und Schallplatten gründeten. Nach Übernahme der Deutschen Grammophon wurde man in den 1920ern zum Marktführer im europäischen Musikgeschäft. 1932 verschmolzen die Unternehmen zur Deutschen Grammophon. Große Teile des Repertoires wurden vom NS-Regime als "entartet" eingestuft. Für den großen Aufschwung der Polyphon sorgte ab 1965 der Jurist und frühere Pantomime Frithjof Zeidler, der 1975 Vorsitzender der Geschäftsführung wurde und 1985 die Hälfte der Firmenanteile übernahm. Zu seinen größten Erfolgen zählten die "Peter Alexander Show", die "Otto Show", "Das Traumschiff", "Die Schwarzwaldklinik" oder "Stubbe – Von Fall zu Fall". Zeidlers Tochter Beatrice Kramm ist seit 1995 im Unternehmen, zunächst als Producerin, seit 2002 als geschäftsführende Gesellschafterin, seit 2014 als Vorsitzende der Geschäftsführung. Sie hält heute 10 Prozent der Anteile, die restlichen 90 Prozent liegen bei Studio Hamburg.Ein Produktionshaus mit Tradition
Sie selbst haben 1995 bei der Polyphon angefangen – als Producerin von "Polizeiruf 110" und "HeliCops – Einsatz über Berlin". Mussten Sie sich als Tochter des Chefs freischwimmen?
Eigentlich hatte ich etwas ganz anderes vor. Ich bin promovierte Volljuristin und hatte damals einen Job als Wirtschaftsjuristin bei der IHK Berlin. In die Polyphon wollte ich nie, weil es mir immer wichtig war, unabhängig zu sein. Rückblickend hat mein Vater genau in der richtigen Sekunde gesagt, dass er es doof fände, wenn ich es nicht mal versuchen würde. Also habe ich es eben mal versucht – und das war der Anfang, der bis heute andauert. (lacht) Was dann entstand, war dieser große Spaß, den ich vorher überhaupt nicht gesehen hatte, im Umgang mit Autoren, Regisseuren und Schauspielern. Für mich als Kind waren das Leute, die uns beim Abendessen gestört haben, weil mein Vater natürlich permanent am Telefon war, so wie ich heutzutage am Handy. Ich würde fast sagen, es macht mir von Jahr zu Jahr mehr Spaß. Je mehr Erfahrung man hat, desto mehr kann man seinen Kopf frei machen.

Von Jahr zu Jahr mehr Spaß – schließt das die gegenwärtige, für Produzenten wirtschaftlich herausfordernde Zeit mit ein?
Ja, weil mein Leitspruch ist: Zu Optimismus gibt es keine Alternative. Ich glaube, so müssen Unternehmer an ihre Projekte rangehen. Wenn man auf 30 Jahre Arbeit zurückschaut, weiß man: Es gibt Lösungen und es wird immer Möglichkeiten der Weiterentwicklung geben. Ich finde das eher spannend als angsteinflößend.
Wie definieren Sie denn die Möglichkeiten der Weiterentwicklung konkret für die Polyphon?
Also, ich glaube ja, dass das lineare Fernsehen noch lange nicht tot ist. Natürlich haben wir dort Zuschauer verloren, das ist ja völlig unstreitig. Aber sie sind eben nicht nur zu den Streamern gewechselt, sondern auch einfach in die Mediatheken, um die gleichen Programme zu schauen wie früher im Linearen. Wenn wir das "Traumschiff" als Beispiel nehmen, dann haben wir heute mehr Zuschauer online als jemals zuvor. Ich würde sehr dafür plädieren, dass wir auch dem linearen Fernsehen weiter so viel Aufmerksamkeit widmen wie bisher. Die Rundfunkbeiträge sind nicht zuletzt auch dadurch gerechtfertigt, dass wir linear produzieren und dort Zuschauer abholen, die genau das sehen wollen.
Bei der Gelegenheit möchte ich ein für allemal mit der Mär aufräumen, dass die Promis den Schauspielern die Rollen wegnehmen.
"Traumschiff"-Produzentin Beatrice Kramm
Heißt das, ARD und ZDF machen einen Fehler, wenn sie langlaufende Serien und Reihen einstellen, um Budgets auf jüngere Mediathek-Formate umzuschichten?
Nein, das ist kein Fehler, man sollte es nur bewusst gewichten und nicht mit dem Holzhammer durchs Programm gehen. Es geht um Angebote mit unterschiedlichen Zielvorgaben. Diese Zielvorgaben für das jeweilige Format auszuarbeiten – das ist das, was wir können und was wir ja auch tun. Natürlich verstehe ich, dass die Mediatheken Geld brauchen, um alternative Angebote zu machen. Wir waren ja mit "Kreuzfahrt ins Glück" oder "Familie Dr. Kleist" selbst davon betroffen und haben umgekehrt mit "Tempel" oder "Familie Braun" frühzeitig für 'online first' produziert. Trotzdem finde ich, es gibt keinen Grund, den großen Abgesang aufs lineare Fernsehen anzustimmen.
Stichwort Transformation: Kaum ein anderes Traditionsformat ist im laufenden Betrieb so stark umgebaut worden, wie das "Traumschiff", nachdem Sie dort die operative Produzententätigkeit vom verstorbenen Wolfgang Rademann übernommen hatten. Wie riskant war das?
Wir sind stolz darauf, dass uns gemeinsam mit dem ZDF eine deutliche Verjüngung dieser starken Marke gelungen ist, ohne dabei die älteren Stammzuschauer zu verlieren. Wir produzieren ja viele Reihen und Serien und folgen dabei immer dem Prinzip, dass Veränderungen auf keinen Fall auf Kosten des Markenkerns gehen dürfen. Aus meiner Sicht haben wir beim "Traumschiff" in etlichen kleinen Schritten eine spürbare Veränderung herbeigeführt. Aus Sicht der Zuschauer wirkten sicher die Neubesetzungen in der Crew am massivsten, weil sie so kurz hintereinander kamen. Während Barbara Wussow schon ein vertrautes Gesicht war, war die Entscheidung, ohne Sascha Hehn, dafür mit Florian Silbereisen und Daniel Morgenroth über die Weltmeere zu segeln, schon disruptiver. Mit Collien Ulmen-Fernandes war dann die neue Ausrichtung der Crew komplett. Wir haben aber immer versucht, den Rahmen vertraut zu halten. Im nächsten Schritt haben wir die Erzählstruktur weiterentwickelt. Wir haben aufgehört, immer drei gleichberechtigte Geschichten nebeneinander zu erzählen und uns stattdessen einer filmischen Dramaturgie angenähert. Und wir erzählen auch nicht mehr nur von Liebe und Wellenschlag, wie ich es gern nenne.

Außerdem haben Sie prominente Gastauftritte eingeführt, die weit übers Spektrum professioneller Schauspieler hinausgehen und bei Puristen gern mal für Kontroversen sorgen.
Das hat bereits Wolfgang Rademann getan, der ein Meister im Generieren von öffentlicher Aufmerksamkeit war. Wir wollen damit Menschen neugierig machen können, die nicht eh schon regelmäßig "Traumschiff" gucken. Das funktioniert wunderbar, indem wir Prominente mit an Bord nehmen und kleine Rollen für sie bauen. Bei der Gelegenheit möchte ich ein für allemal mit der Mär aufräumen, dass die Promis den Schauspielern die Rollen wegnehmen. Bezogen aufs gesamte Drehbuch sind das kleine Extramomente, die einfach hinzukommen. Auch Schauspielerinnen und Schauspieler aus der Generation 60+ bleiben auf dem "Traumschiff" regelmäßig sichtbar, weil wir ganz bewusst versuchen, in jedem Film verschiedene Generationen abzubilden.
Ich fände es total spannend, neue hochfrequente Produktionsmodelle auszuprobieren, wie sie am Sat.1-Vorabend zum Einsatz kommen.
Polyphon-Chefin Beatrice Kramm
Das Gegenstück zu "Traumschiff", "Usedom-Krimi" oder "WaPo Elbe" sind alle paar Jahre jüngere, innovativere Perlen im Polyphon-Portfolio, die Kritiker begeistern und Preise abräumen: "Familie Braun", "Die Toten von Marnow", "Doctor's Diary", "Magda macht das schon". Welchen Stellenwert hat dieses Segment?
Einen sehr hohen. Tradition kann ein Problem werden, wenn es keine Weiterentwicklung gibt. Deswegen müssen wir immer auch erzählerisch neue Wege zu gehen, aber jede Innovation muss eben zum richtigen Moment am richtigen Ort angeboten werden und dort müssen dann das Geld und der Wille vorhanden sein. Ich würde mich freuen, wenn wir recht bald wieder sowas hinkriegen.
Die Privaten legen gerade etliche alte Serien von "Der Lehrer" bis "Der letzte Bulle" neu auf. Wieso nicht auch "Doctor's Diary" oder "Magda"?
Natürlich sitzen wir mit RTL zusammen und denken darüber nach. Aber die entscheidende Frage lautet doch: Was ist der Markenkern der jeweiligen Serie? Zum Markenkern von "Doctor's Diary" gehört sicher Bora Dagtekin, der ja damals der Spiritus Rector der Serie war. Wenn schon sollte man einen neuen Aufschlag auch mit ihm machen. Jedenfalls reicht es nicht, einfach nur das Label "Doctor's Diary Reloaded" irgendwo draufzukleben, zu sagen, Gretchen Haase ist jetzt 15 Jahre älter, und ansonsten die Daumen zu drücken, dass das schon irgendwie hinhaut mit dem Kultfaktor. Dafür wäre mir die Marke viel zu wertvoll.
Welche weiteren strategischen Ziele peilen Sie für die nächsten Jahre an?
Wir werden unserer Vielstimmigkeit treu bleiben. Im November 2026 feiern wir 45 Jahre "Traumschiff". Das heißt: nur noch fünf Jahre, dann werden wir 50. Das zu erreichen, wäre mein absolutes Wunschziel. Gleichzeitig fände ich es total spannend, neue hochfrequente Produktionsmodelle auszuprobieren, wie sie etwa am Sat.1-Vorabend zum Einsatz kommen.
Sie werfen Ihren Hut für die nächste "Landarztpraxis" oder "Spreewaldklinik" in den Ring?
Wir überlegen zumindest mal, ob uns etwas Sinnvolles in diesem Segment einfällt. Aus Sicht der Produktionswirtschaft sind das ja wichtige, Mut machende Signale, wenn es dank neuer Modelle auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten gelingt, große Programmstrecken verlässlich mit Fiction zu bespielen. Wenn man ein solches Format erfolgreich etabliert, kann das für eine Produktionsfirma durchaus über Jahre attraktiv sein. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man die entsprechende Produktionslogistik und Kostenstruktur beherrscht. Für uns ist die "WaPo Elbe“, die wir mit unserer Tochter Klingsor Media in Pirna produzieren, schon ein guter Schritt, um in Richtung Routine und Effizienz neu zu denken. Wenn wir bei der "WaPo" ein etwas anderes Packaging ausprobieren, denke ich sofort darüber nach, ob das vielleicht auch beim "Traumschiff" funktionieren könnte. Wenn eine Produktion von den Erfahrungen der anderen lernen kann, finde ich das extrem spannend.
Frau Kramm, herzlichen Dank für das Gespräch.