Frau Zeh, wenn man es gewohnt ist, Bestseller-Romane zu schreiben, die von anderen verfilmt werden – will man's dann irgendwann wissen und selbst ein Drehbuch verfassen?
Juli Zeh: Der Hauptgrund war, dass Georg einfach eine supergute Idee hatte, nämlich einen Serienstoff in der Pferde- und Reiterwelt anzusiedeln, die uns beide schon seit Jahrzehnten begleitet. Was ihm vorschwebte, war genau das, was ich dann auch sofort wollte. Ohne diese Idee hätte ich es nicht gemacht.
Herr Ramme, wie haben Sie Juli Zeh so begeistern können?
Georg Ramme: Abgesehen davon, dass die Idee auch meiner persönlichen Leidenschaft entspringt, steckt natürlich auch eine konzeptionelle Überlegung dahinter. Sender und Streamer suchen IPs, aber die sind eben nur begrenzt verfügbar. Warum also nicht ein traditionelles, gut funktionierendes Genre – in diesem Fall Pferdefilme und -serien –realitätsnah und als Drama-Serie neu aufladen und dies mit einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autorinnen, die wir haben? Ich wusste, dass Juli eine sehr gute Reiterin ist und sich ausgesprochen gut in der Pferdewelt auskennt. Also habe ich sie im März 2021 angesprochen.
Ein Cold Call von einem Produzenten, den Sie nicht kannten...
Zeh: Ziemlich cold. Ich bekomme häufig Anfragen von allen möglichen Menschen, nicht nur aus dem Filmbereich, auch von Theatern, Zeitungen, Magazinen, Buchverlagen. Alle fragen, ob ich nicht was für sie schreiben könnte. Meine Standardantwort heißt nein, weil ich glücklicherweise genug eigene Ideen habe und nicht darauf angewiesen bin, Aufträge von anderen zu erfüllen. Hier war es eine Ausnahmesituation. Das lag daran, dass Georg bei unserem ersten Telefonat ein paar Sätze gesagt hat, die bei mir im Kopf alles sofort aufgemacht haben. Als Autorin habe ich ein Rieseninteresse an gesellschaftlichen Themen, und um die gut darstellen zu können, brauchst du immer ein Brennglas. Das kann ein Dorf, eine Schule oder ein Unternehmen sein – oder eben ein Reitstall.
Mir haben viele davon abgeraten, das mit Georg zu machen. Leute, die sich mit Film auskennen, haben mich gewarnt.
Juli Zeh

Zeh: Ja, mir haben auch viele davon abgeraten, das mit Georg zu machen. Leute, die sich mit Film auskennen, haben mich gewarnt: Das ist ein Riesenprojekt – ihr braucht Kohle, ihr braucht Power, ihr braucht Erfahrung! Vollkommen ausgeschlossen, dass das mit einem Produzenten mit wenig fiktionaler Kino- oder Fernseherfahrung funktionieren kann! Nur habe ich eben in der Vergangenheit schon zu viele Filmprojekte mitbekommen, die von renommierten Produzenten angeschoben wurden und alle gescheitert sind. Daraus habe ich abgeleitet, dass es vor allem riesige Leidenschaft braucht und die Bereitschaft, mit 120 Prozent 'all in' zu gehen. Das ist am Ende viel wertvoller als der Track Record einer großen Firma.
Ramme: Wir wussten von Anfang an, dass wir ein gutes Konzept haben, aber einen Partner brauchen, der uns bei der Umsetzung einer so großen Produktion unterstützt. Juli und ich haben uns dann für Studio Zentral als Koproduzenten entschieden, weil sie – geprägt durch Lasse Scharpen, Lucas Schmidt und unseren Executive Producer Hannes Höhn – für moderne, innovative Serien stehen. Gemeinsam konnten wir dann zu meiner großen Freude den großartigen Regisseur Christian Zübert, das ZDF und ZDF Studios für das Projekt gewinnen.
Fällt Ihnen das Drehbuchschreiben leicht oder muss man da als Schriftstellerin komplett umdenken?
Zeh: Vom Verfahren her ist es für mich ein gewaltiger Unterschied, weil ich meine Romane niemals vorweg plane. Ich fange einfach an, schreibe ins Blaue und erzeuge dadurch ein riesiges dramaturgisches Chaos mit unfassbar vielen Seiten. Das ist ein massakerartiges Arbeitsverfahren. Für mich funktioniert es nur, wenn ich alle Gedanken an Konstruktion ausblende und meine Worte in einem Dauerstream rauslaufen lasse. Ordnen und in Form bringen passiert bei mir immer erst im zweiten Schritt. Beim Drehbuchschreiben läuft der Prozess genau umgekehrt. Dafür bin ich stilistisch näher dran, weil ich auch in meiner Prosa narrative, spannungsgetriebene Plots bevorzuge und immer das Gefühl habe, einen Film zu erzählen, den ich in meinem Kopf sehe. Trotzdem hätte ich mir den handwerklichen Teil bei einer Serie mit sechs Episoden, komplexer Dramaturgie und einem Ensemble aus vielen fast gleichberechtigten Figuren niemals allein zugetraut. Deshalb ist es ein Segen, dass wir mit Lukas Becker einen jungen, hochbegabten Co-Autor gefunden haben, der gerade im Hinblick auf die architektonische Serienkonstruktion sehr stark ist und mit dem es auch menschlich hervorragend gematcht hat.
Dass diese Produktion tatsächlich stattfindet, ist vor allem Julis Durchhaltevermögen zu verdanken.
Georg Ramme
Wie haben Sie sich gefunden und wie genau haben Sie zusammengearbeitet?
Zeh: Es gab verschiedene Versuche, Kombinationen zu erzeugen. Das ist aber gar nicht so leicht, weil es nicht ausreicht, wenn man gern mal ein Bier zusammen trinken gehen würde. Es braucht von Anfang an eine hohe Übereinstimmung in der erzählerischen Vision und ein fast schon blindes Verständnis für das Ziel, das man gemeinsam ansteuern will. Unsere gemeinsame Agentin Sigrid Narjes hat ein gutes Händchen für solche Paarungen, sie hat Lukas und mich zusammengebracht. Wir haben uns die Bücher nicht nach Episoden aufgeteilt – dafür ist der Stoff zu komplex horizontal, alles hat immer Einfluss auf alles. Deswegen haben wir uns in tagelangen Sessions irgendwo eingesperrt, gemeinsam die architektonische Arbeit gemacht und immer wieder neu strukturiert, gebastelt und geoutlined. Dann hat Lukas treatmentartige Rohlinge geschrieben und das Ganze in szenische Abfolgen gebracht. Die wiederum habe ich überarbeitet und Dialoge mit meinem Spirit versehen – gefolgt von unzähligen Revisionsprozessen, bei denen es die ganze Zeit zwischen uns hin- und hergeht.

Zeh: Außer Georg und mir sind alle anderen Beteiligten in diesem immer größer werdenden Team keine Pferdemenschen. Wir arbeiten größtenteils mit Leuten, denen diese Welt fremd ist, und es ist unmöglich, sich diese Expertise mal eben schnell draufzuschaffen. Was wir zu Beginn vielleicht etwas unterschätzt haben: Sämtliche Departments, die diese Serie jetzt auf die Beine stellen, brauchen konstanten Input von denjenigen, die sich das ausgedacht haben.
Ramme: Dass diese Produktion tatsächlich stattfindet, ist vor allem Julis Durchhaltevermögen und ihrem nicht zu brechenden Willen zu verdanken. Juli und ich haben uns da sehr reingehängt.
Zeh: Vor Drehbeginn habe ich Coachings mit allen Schauspielern gemacht, damit sie den Umgang mit Pferden und je nach Rolle auch das Reiten lernen. Das Schöne daran ist: Die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die ich dafür mit ihnen trainiert habe, sind mit den Inhalten der jeweiligen Rolle eng verbunden. Als Privileg empfinde ich das vertrauensvolle Verhältnis zu Christian Zübert. Er lässt mich intensiv mit den Schauspielern arbeiten, ohne Angst zu haben, dass seine Autorität als Regisseur irgendwie relativiert wird. Das ist nicht selbstverständlich. Wir haben im laufenden Prozess – auch hier in Bratislava am Set – so einiges an Arbeitsabläufen, Kommunikationswegen und Kompetenzverteilungen entwickelt, was vorher nicht absehbar war. Ich glaube, es gibt im deutschen Fernsehen nicht viele Projekte, bei denen eine Drehbuchautorin so viel mitgestalten darf.
Können Sie sich nach der Ausstrahlung von "Hohenfelden" noch in der Reitsport-Community sehen lassen oder müssen Sie befürchten, dass Ihnen Nestbeschmutzung vorgeworfen wird?
Zeh: Wir planen ja keine Abrechnung. Georg und ich haben lange recherchiert und auch immer wieder ausgewählten Leuten von unserem Projekt erzählt. Die Resonanz war durchweg euphorisch. In der Reitsportwelt gibt es ein großes Bedürfnis danach, einfach mal realistisch abgebildet zu werden und nicht immer nur durch diese wirklich schräge rosa Ponyhof-Brille der Jugendpferdefilme. Wenn du als erwachsene Frau reitest, musst du dich ja ständig rechtfertigen, weil das Reiten durch einschlägige Bildsprache so komisch geframed ist. Auf jedem rosa Federmäppchen von achtjährigen Mädchen sind entweder Einhörner oder Ponys drauf. Reitsport ist eine der aufregendsten, komplexesten und teuersten Sportarten und dazu noch eine, in der Deutschland im internationalen Wettbewerb außergewöhnlich erfolgreich ist. Und trotzdem wird er gesellschaftlich nicht richtig ernst genommen.
Gute Sportfilme sind immer auch Ausdruck einer breiteren gesellschaftlichen Realität.
Juli Zeh
Ramme: In welcher anderen Sportart treten Männer und Frauen direkt gegeneinander an? Und in welcher anderen Sportart braucht man sowas Wunderbares wie eine enge Bindung zwischen Mensch und Tier, um erfolgreich zu sein? Gleichzeitig wissen wir natürlich um die Herausforderungen und Diskussionen, vor denen der Reitsport steht, und haben uns auch damit intensiv beschäftigt.
Zeh: Außerdem sind gute Sportfilme, die ihre Welt mit einem realistischen Ansatz erzählen, immer auch Ausdruck einer breiteren gesellschaftlichen Realität. Wenn man "Million Dollar Baby" guckt, geht es nicht nur ums Boxen, sondern auch darum, wie gesellschaftliche Hierarchien funktionieren und wer welche Chancen hat. Das ist bei "Hohenfelden" nicht anders, wenn wir mit mithilfe des Soziotops Reiterhof einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden, deren verschiedene Schichten – Arm und Reich, Großstadt und Land, junge Frauen und alte Männer – hier aufeinanderprallen.
Frau Zeh, Herr Ramme, herzlichen Dank für das Gespräch.
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