Herr Ladwig, Herr Martinovic, Sie arbeiten beide schon seit mehr als 20 Jahren zusammen. Haben Sie schon mal eine so lange anhaltende Krisenphase erlebt?
Kai Ladwig: Es ist eine in dieser Form noch nie dagewesene Situation. Märkte verschieben sich, Wettbewerbsumfelder und politische Parameter wandeln sich rasant – und selbst starke Marken oder bewährte Erfolgsmodelle stehen auf dem Prüfstand.
Martinovic: 2008, das Jahr der großen Finanzkrise, hat für ein ähnlich angespanntes Werbeumfeld gesorgt. Damals kam die Erholung allerdings nach kürzerer Zeit. Verglichen mit früheren Krisen erleben wir gerade eine ungleich stärkere Verdrängungssituation. Andererseits ist es aber auch eine Periode, in der wir mit Mut und Innovationskraft Marktmythen entzaubern und veraltete Strukturen aufbrechen können – eine super Chance, die Basis für eine neues positives Zeitalter zu schaffen.
Sie feiern im kommenden Jahr mit Visoon zehnjähriges Jubiläum. Kommt angesichts der aktuellen Marktlage überhaupt Feierstimmung auf?
Ladwig: Auch wir blicken natürlich mit allem Realismus auf den Markt. Es ist eine wirtschaftlich anhaltend schwierige Lage, die sich auf den Werbemarkt auswirkt. Aber es bringt überhaupt nichts zu lamentieren, wie schlimm das alles ist. Viel sinnvoller ist, wenn wir uns fragen, was sich Positives daraus ziehen lässt, wie man kreativ damit umgehen kann - vielleicht entstehen unter diesem Druck ja auch noch ganz neue Konzepte.
Martinovic: Beim OWM Summit in Berlin war in den Gesprächen eine gewisse depressive Stimmung zu spüren. Finde ich absolut falsch, wir ticken hier komplett anders. Und dabei belügen wir uns nicht selbst: Auch wir sehen, dass der TV-Markt nicht steil nach oben geht und müssen strategisch clever agieren, um uns weiter auf einem ähnlichen Niveau wie in den vergangenen Jahren zu bewegen. Wir müssen einfach alle wieder härter an Lösungen arbeiten, Herausforderungen disruptiv begegnen und die Themen unternehmerischer angehen. Kai und ich haben uns in den letzten 10 bis 15 Jahren mehr als "Unternehmer im Unternehmen" gesehen als als angestellte Manager. Das war und ist unser Kompass für klare strategische Entscheidungen. Die Chancen, die wir jetzt haben, sind größer als wir sie vor zehn Jahren für uns erträumt hätten.
"Wir haben nach wie vor denselben Zuschauer auf derselben Couch vor demselben Gerät – aber die Werbung erreicht ihn im Zweifel nicht mehr so wie vor zehn Jahren."
Kai Ladwig
Welche Chancen sehen Sie?
Martinovic: Uns war schon bei der Gründung von Visoon bewusst, dass sich der Markt verändern wird und wir uns darauf strategisch ausrichten müssen – daher auch das "Video Impact" im Namen. Wir haben einen starken Fokus auf Digital, Tech und Video, ergänzt um ein breit gefächertes TV-Portfolio. Mit "Welt" haben wir eine Marke, die eine große gesellschaftliche Relevanz besitzt – wie man an den steigenden Marktanteile ablesen kann. Auch Comedy Central liefert in diesen Zeiten als einer der wenigen TV-Sender Rekord-Wachstumswerte ab. Das sind echte Erfolgsgeschichten, die nichts mit Krisenmodus zu tun haben, sondern vielmehr mit Chancen ergreifen.
Ladwig: Schon bei unserer ersten Roadshow vor zehn Jahren haben wir herausgestellt, welche Themen dauerhaft für den TV-Bereich relevant bleiben werden: Live-Programm, Nachrichten, Shows, Events und Sport. Die Zielgruppe bei Comedy Central – die jungen Männer – sind typisch für die heutige Zeit, sie konsumiert die Inhalte ganz anders als noch vor ein paar Jahren. Was wir bei aller Veränderung nicht vergessen sollten: Wir haben nach wie vor denselben Zuschauer auf derselben Couch vor demselben Gerät – aber die Werbung erreicht ihn im Zweifel nicht mehr so wie vor zehn Jahren, weil Werbekunden ihre Budgets in andere Gattungen verlagert haben. Unser Vorteil ist, dass wir klassiches und digitales TV miteinander verbinden können. Daher ist es uns am Ende auch egal, über welchen Weg wir zum Zuschauer – und damit auch zu den Werbebudgets – kommen, um den Sender wirtschaftlich zu betreiben. Wir tun uns stellenweise noch schwer damit, diese Leistungswerte gegenüber Kunden und Agenturen vergleichbar zu machen. Ganz davon abgesehen sind wir aber alle gut beraten, die Mehrwerte von TV, die wir über viele Jahre als selbstverständlich empfunden haben, wieder ein bisschen stärker herauszustellen.
Zum Beispiel?
Ladwig: Wenn es einen Sender wie Welt nicht mehr gäbe, dann wäre das für die Medienvielfalt in Deutschland ein großer Verlust. Wir haben daher in den vergangenen Monaten sehr hart dafür gekämpft die Bedeutung herauszustellen – auch in Abgrenzung zu Nachrichtenumfeldern auf Social-Media-Plattformen. Da hatten wir alle Argumente auf unserer Seite: Super Reichweiten, eine Marktanteilsteigerung und Studien, die belegen, dass das Nachrichten-Umfeld entgegen allen Vorurteilen positiv auf Werbung abstrahlt.
Die Argumente sind doch eigentlich hinlänglich bekannt.
Ladwig: Dennoch stellen wir fest, dass sich erst ganz allmählich etwas tut, dass Markenartikler anfangen, bewusst in diesem Umfeld Werbung zu schalten, obwohl man das lange kategorisch ausgeschlossen hat. Oder nehmen Sie den Kindersender Nickelodeon. Natürlich wissen wir alle, dass die ganz jungen Zielgruppen immer mehr streamen. Trotzdem kenne ich einige Streaming-Plattformen, mit der Eltern ihre Kinder nicht allein lassen sollten, weil man eben nicht sicher sein kann, welchen Inhalten die Kinder dort begegnen. Im Unterschied dazu kann man sich auf den Kindersendern im TV sicher sein, dass es einen inhaltlichen Qualitätsanspruch und Maßnahmen zum Kinderschutz gibt. Das gilt für das Programm, wie auch das Werbeumfeld. Auch das ist Brand Safety.
Schon erstaunlich, dass Sie das seit Jahren immer wieder aufs Neue betonen müssen, oder?
Martinovic: Absolut, wie alle Menschen sind auch Werbungtreibende nicht immer nur rational. Deshalb ist es unser Job mit Fakten und Transparenz auf Bedenken zu reagieren und Lösungen aufzuzeigen. Auch bei der Messung: Im TV haben wir mit der AGF die härteste Währung der Welt, während im Digitalen jeder mit unterschiedlichen Zahlen und Argumenten arbeitet. Da kann ich schon verstehen, dass manche Kunden hier stärker abgeholt werden müssen.
© Visoon
So fing alles an: Franjo Martinovic und Kai Ladwig bei der Launch-Veranstaltung von Visoon Media Impact im Jahr 2016.
Fast auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass der gemeinsame Vermarkter von Springer und Viacom angekündigt wurde. Die DWDL-Dachzeile lautete damals: "Comedy meets Journalismus". Auch heute noch passend, oder?
Ladwig: Ja, das passt immer noch sehr gut – auch wenn damals viele der Meinung waren, dass diese Dinge gar nicht miteinander vereinbar sind. Aber der Werbemarkt hat nun mal unterschiedliche Zielgruppen. Aus Sicht der Kunden und Agenturen machte es also durchaus Sinn, beide Welten zusammenzubringen.
Martinovic: Im Markt haben uns damals alle für verrückt gehalten. Zum einen die hippen, coolen Viacom-Entertainment Highlights, zum anderen die journalistische Top-Umfelder wie Welt bei Axel Springer– wie soll das funktionieren? Aber wir haben Visoon von Anfang an als Brücke verstanden. Der Rest war harte Arbeit, insbesondere in der Zeit bis bis zum eigentlichen Start. Viel Schlaf gab es da nicht. Aber glücklicherweise haben wir alle Freiheiten der beiden Gesellschafter bekommen, um unsere unternehmerische Vision eines effizienten und modernen Sales House umzusetzen. Insbesondere das absolute Vertrauen von Jan Bayer als Springer-Vorstand und Torsten Rossmann als Welt TV-Chef hat uns inspiriert und motiviert. Durch dieses Vertrauen konnten wir noch im Jahr unserer Gründung N24 Doku starten, den ersten Time-Shift-Sender im Free-TV. Dazu kamen natürlich auch glückliche Zufälle wie die Rückkehr von MTV nach Deutschland im Jahr 2017. (lacht)
Das war ein Zufall?
Ladwig: Ich war damals in New York und habe mich mit Leuten im Viacom-Office unterhalten – auch mit einer Frau, die ich nicht kannte und von der ich nicht wusste, wofür sie zuständig ist. Als sie mich fragte, was in Deutschland gerade los sei, habe ich ihr erzählt, wie schade ich es finde, dass es MTV bei uns nicht mehr gibt, obwohl der Sender in meinen Augen Potenzial besäße. Kurz darauf erfuhr ich, dass meine Gesprächspartnerin die weltweite Musikchefin von Viacom war – so kam es, dass MTV noch im gleichen Jahr wieder auf Sendung ging.
Sowohl Springer als auch Viacom, heute Paramount, haben in den vergangenen Jahren einige Veränderungen durchgemacht. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Arbeit?
Martinovic: Natürlich sind das immer wieder neue Herausforderungen, aber jede Veränderung hat für uns auch etwas Positives gebracht. Paramount hat sich klar positioniert im Bereich Digital Entertainment und im TV den Sender Comedy Central zu einer festen Größe im Markt ausgebaut. Und mit Paramount+ haben wir inzwischen die internationale Premium Brand im Streamingbereich. Bei Pluto TV waren wir unserer Zeit sogar voraus: Die FAST-Plattform haben wir bereits 2017 in unser Portfolio genommen, da kannte die Marke in Deutschland noch niemand. 2019 erfolgte dann der Kauf durch Viacom, so ist die Plattform vom Mandanten zum Gesellschafter geworden.
"Wer nie etwas probiert, ist auf Dauer nicht erfolgreich."
Franjo Martinovic
Und Springer?
Martinovic: Bei Springer tut sich gerade sehr viel, etwa durch den Start der neuen Premium Gruppe, die auch Marken wie "Business Insider" und "Politico" umfasst – das ist einordnender, internationaler Journalismus auf höchstem Niveau. Dazu Video und Digital First mit Investment in Tech und KI. Von dieser Entwicklung profitieren wir zunehmend in der Vermarktung. Und mit Frank Hoffmann und Jan Philipp Burgard bei ‚Welt TV‘ haben wir Top-Experten und super Kollegen, die sich nicht auf den Erfolgen ausruhen sondern von Jahr zu Jahr innovativ Welt TV weiter entwickeln.
Das Kapitel Bild TV war allerdings von kurzer Dauer.
Ladwig: "Bild" ist eine wahnsinnig starke Marke, bei der die Zielgruppe aber auch eine massive Erwartungshaltung hat. Im TV-Geschäft war es vielleicht einfach die falsche Zeit –während der Corona-Pandemie war das Programm eher politisch ausgerichtet, dabei steckt in der Marke Bild auch viel Sport und Entertainment.
Martinovic: In Deutschland ist es ja, gerade im Vergleich zu anderen Ländern, ein bisschen verpönt, wenn man mit neuen Ideen nicht direkt alle Erwartungen erfüllt. Dabei muss man Dinge ausprobieren. Wer nie etwas probiert, ist auf Dauer nicht erfolgreich – und dass ‚Bild‘ eine mega erfolgreiche Brand ist, müssen wir nicht diskutieren.
Blicken wir abschließend nach vorne: Ausgerechnet zum Visoon-Jubiläum kommt mit El Cartel Brothers nun ein neuer Konkurrent auf den Markt. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?
Ladwig: Für den Markt ändert sich erstmal gar nicht so wahnsinnig viel, außer dass es weniger Ansprechpartner gibt. Entscheidend wird sein, welche Angebote besser, kreativer und günstiger sind. Das alles wird sich aber erst im operativen Geschäft entwickeln. Klar ist: Wir haben großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, das sind alles Leute mit viel Sachverstand.
Martinovic: Die strategische Ausrichtung, soweit man sie von außen beurteilen kann, ist bei El Cartel Brothers und uns in weiten Teilen unterschiedlich: Wir haben eine komplett eigene Tech-Struktur, vermarkten starke internationale Streaming-Marken und befinden uns dauerhaft im Investitionsmodus. Daher sehe ich uns auch in Abgrenzung zu Mitbewerbern weiterhin in einer guten Position. Was uns verbindet, sind lineare TV-Sender, und hier begrüßen wir explizit den Wettbewerb, weil es unser aller Geschäftsfeld stabilisiert und weiterentwickelt.
Und nächstes Jahr sind alle wieder vereint der Bühne der Screenforce Days?
Martinovic: Das würde ich mir sehr wünschen! Die Screenforce Days sind etwas Verbindendes, sie definieren unsere Branche und werden von allen Marktpartnern mit Begeisterung besucht. Natürlich sind die Kosten in Zeiten wie diesen eine Herausforderung, es gibt aber am Ende für uns nur einen Weg, die gesamte Branche zu rocken – und das ist live!
Herr Ladwig, Herr Martinovic, vielen Dank für das Gespräch.
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