Seit Jahren kämpfen einige Kolleg*innen, darunter auch Silke Burmester mit der Kampagne „Let’s change the picture“ gegen die „Fuckability“ als Kriterium für Frauen im deutschen Fernsehen. Ist „Frier & 50“ jetzt der ausgestreckte Mittelfinger in Richtung Branche?
Annette Frier: Ein sehr schönes Intro. Das können wir so stehen lassen.
Fangen wir vorne an: Wie kam es zu der Serie?
© Banijay / Steffen Z Wolff
Annette Frier: Ja, warum? Fun Fact: Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon in mehreren Interviews gesagt, wie sehr ich das israelische Format abfeier. Ich war totaler Fan, aber auch gefühlt der einzige in ganz Deutschland - bis Stephan anrief. Und so hatten wir von Anfang an den gleichen Sound bei dem ganzen Projekt. Wann war das eigentlich? Haben wir da so eine Zeitleiste? Das müssen jetzt meine Kinder bei allen wichtigen historischen Dingen anlegen in der Schule.
Stephan Denzer: Ist das denn historisch was wir machen?
Annette Frier: Aber bitte, ja.
Stephan Denzer: Das war im Mai 2023.
Aber jetzt ist weder Joyn noch Sat.1 öffentlich-rechtlich.
Annette Frier: Es kam alles ganz anders.
Stephan Denzer: Wir hatten eine unklare Rechtesituation bei der geplanten Adaption aber hatten dieses Momentum; diese Begeisterung etwas zusammen zu machen. Also Sonja, Annette und ich. Also haben wir beschlossen, etwas Eigenes zu machen.
Annette Frier: Wir haben auch gemerkt, dass es Quatsch ist, sich da jetzt irgendwie „Fifty“ anzunähern. Jetzt hatte ich vor einigen Jahren schon mal einen kleinen Piloten gedreht, der hieß „Hartz Frier“. Eine ganz andere Idee, aber die spielte auch ein bisschen da rein, dass wir uns etwas Eigenes ausdenken wollten. Und mit dem Spaß sind wir dann zum ZDF.
Und da hatte dann niemand Bock drauf?
Annette Frier: Ich habe gerade wieder „Merz gegen Merz“ fürs ZDF gedreht und keinen Grund das ZDF zu dissen, aber in der Tat hat das ZDF bei diesem Projekt… sagen wir mal so: Offensichtlich hat das ZDF einfach so viele schöne Formate auf dem Tisch liegen.
© Banijay / Valerie Mitelman
Annette Frier: Im ersten Moment totales Unverständnis. „Seht ihr nicht, wie geil das ist?“ Ich hab gesagt, ich will dieses Projekt anlässlich meines 50. Geburtstags machen, so ist ja auch die Dramaturgie der Serie gebaut. Aber die Reaktionen waren etwas träge. Ich wollte dann nicht 60 werden bis man sich entscheidet. ARD und ZDF sind echt tolle Partner, aber manchmal auch etwas satt. Und Joyn war hungrig. So hat es sich am Ende gefügt, dass ich jetzt wieder bei meinem alten Sender Sat.1 bin, die erste Zusammenarbeit seit „Danni Lowinski“ vor über zehn Jahren. Und jetzt muss ich sagen: Ich find das auch irgendwie schön, mit diesem Format da wieder anzuknüpfen. Also irgendwie sollte es vielleicht einfach so sein.
Ausgerechnet im Privatfernsehen, dort wo jahrelang erklärtermaßen auf die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer geblickt wurde, hat „Frier & Fünfzig“ eine Heimat gefunden…
Annette Frier: Das ist so lustig. Die Zeiten ändern sich.
"Sich selbst zu spielen ist auch ein Stück weit Zumutung"
Annette Frier
Normalerweise ist diese Frage eine Plattitüde, hier aber wohl berechtigt: Wie viel Annette Frier steckt in Annette Frier?
Annette Frier: Das ist ganz und gar keine Plattitüde. Wenn ich gewusst hätte wie nah mir das geht, wäre ich wohl zögerlicher rangegangen. Aber dafür war ich zu dem Zeitpunkt viel zu euphorisch - und jetzt bin ich auch wieder froh. Zwischenzeitlich habe ich mir schon gedacht, ich hab sie nicht mehr alle, das wird nix. Ich bin schon ins Schwitzen gekommen.
Warum?
Annette Frier: Die Tatsache, dass man sich garnicht nicht mehr rauswinden kann. Also ich hoffe, dass ich es sonst auch nicht tue. Aber bei diesem Projekt war es halt echt so: Du kannst auf niemanden mehr zeigen, der seinen Job nicht gemacht hat, hinter dir stehst immer du selbst. „Schillerstraße“ und „Pastewka“ waren ja schon kleine Trainingslager, wie es sich anfühlt als „Annette“ vor der Kamera zu stehen. Sich selbst zu spielen ist auch ein Stück weit Zumutung und bei dem Sujet der Serie jetzt kommen dann auch mal krasse Zweifel auf.
Und wie geht man dann damit um?
Annette Frier: Es ist mein Beruf, mich auf Dinge einzulassen, also habe ich auch hier irgendwann das Spiel angenommen. Je mehr wir in unserer realen Welt nach Ordnung im zunehmenden Chaos suchen, desto mehr freue ich mich in der ordentlichen Kunst über das Chaos. Meine Maskenbildnerin fragte mich irgendwann, ob ich mir denn keine Sorgen machen würde, dass die Menschen denken, mein Mann würde mir fremd gehen. Paar Sachen stimmen, andere halt nicht. Umso toller, neben all den anderen fantastischen Menschen auch mit meiner echten Schwester Caro vor der Kamera zu stehen.
Die Szene bei „TV Total“ in der ersten Folge, sie ist natürlich geschrieben und doch hätte der Talk genauso stattfinden können. Da verschmelzen Realität und vermeintlich übertriebene Fiktion…
Stephan Denzer: Das war auch real. Wir haben die Szene gedreht, ohne dem Publikum im Studio zu sagen, dass das für eine Serie sein wird.
Annette Frier: Witzig, dass sie das sagen. Das war auch so ein Moment, wo ich da saß und dachte: Das ist doch jetzt alles verkehrt. Wir drehen eine Parabel auf die Branche - und dann geht es vor Publikum als real durch. Am liebsten hätte ich mir den Pulli über den Kopf gezogen und wäre unsichtbar geworden. Das war ja quasi das erste Publikum von „Frier & Fünfzig“, das Annette Frier gesehen hat, ohne Annette Frier zu bekommen… also irgendwie natürlich doch. Da fühlte sich für einen Moment echt alles verkehrt an. Aber dann mussten wir die Szene doch nochmal drehen…
Ach, warum?
Annette Frier: Ja, jetzt kommt’s. Meine Lieblings-Regieanweisung von Felix Stienz an Sebastian Pufpaff: „Du warst zu nett zu Annette. In der echten Show wärst du doch bestimmt lustiger? “ Also haben wir es doch nochmal gedreht, weil Pufpaff nicht auf Pointensuche, sondern einfach zu reizend zu mir war.
„Frier & Fünfzig“ ist Dramedy im besten Sinne. Was oft genutzt wird, um zu umschreiben was schwer zu verorten ist und Unentschlossenheit subsummiert, ist schon die erste Folge zum Finale hin beides im extrem, also Comedy und Tragödie.
Annette Frier: Ja! Und dass wir für diese Szenen auch Barbara (Schöneberger, Anm. d. Red.) gewinnen konnten, also den Inbegriff von acht Delfinen, feiere ich so sehr. Was für ein emotionales Finale der ersten Folge. Darauf bin ich sehr stolz. Habe jetzt aber auch mehr als 25 Jahre an meiner Vorhand in dieser Disziplin trainiert.
Welche Disziplin?
Annette Frier: Das Tragische komisch werden zu lassen - und umgekehrt. Und dass dann so fantastische Asse unserer Branche dabei sein wollten, ist ein riesiges Geschenk.
Es gab vor zehn, zwanzig Jahren eine so große Vielzahl an Dramedy, an „Slice of Life“-Serien im deutschen Fernsehen. Dann war nur noch High Concept und Nische gefragt. Warum haben wir uns denn so schwer getan mit Alltag?
Stephan Denzer: Freut mich sehr, dass Sie das auch so sehen. Ich hatte vor ein paar Jahren bei der Gründung von Good Humor auch schon das Gefühl, dass wir unbedingt mehr Lachen brauchen. Alles war so ernst, tödlich, fantastisch oder mysteriös.
Annette Frier: Für mich ist auch dieser Mikrokosmos Familie so spannend. Die Wechseljahre bzw. Frauengesundheit sind unser Vehikel - ein Thema mit großem Momentum gerade - um eine Familienserie zu erzählen. Wir erzählen Menschen und deren Beziehungen zueinander - und das über mehrere Generationen. Funfact: Ich muss gar keine Krimis drehen, in jeder guten Figur kann schon ein eigener Krimi stecken.
Stephan Denzer: Slice of Life, also Geschichten aus dem Leben, hat die wunderbare Möglichkeit Identifikation zu schaffen und über die eigenen Probleme zu lachen. Deswegen sollten wir das wieder besser pflegen, aber nur wenn's originell ist.
Und das Urteil würden Sie „Frier & Fünfzig“ ausstellen?
Stephan Denzer: Es ist die beste Serie, die ich je produzieren durfte! Und auch meine erste (lacht)
Ein Vergleich mit „Pastewka“ liegt auf der Hand, aber greift auch wieder etwas zu kurz…
Stephan Denzer: Dieser Vergleich hinkt. Bei aller Wertschätzung für „Pastewka“: Wir wollten etwas anderes. Wir sind eine Dramedy und keine Comedyserie. Und sich selbst zu spielen, gab es auch schon bei „Curb your Enthusiasm“, „Louie“ oder „Jerks“. Aber es gab viel weniger Frauen, die sich bisher darauf eingelassen haben. Deswegen bin ich so glücklich, dass wir Annette gewonnen haben dafür.
Ich würde es zwischen „Pastewka“ und „Call my Agent“ verorten.
Stephan Denzer: Ich würde dann noch die Leidensfähigkeit von „Fleabag“ einwerfen, auch wenn das ein großer Name ist.
Annette Frier: Das gefällt mir! Aber wegen „Pastewka“: Wir leben auch in einer ganz anderen Zeit, ich bin als Mensch doch zivilgesellschaftlich ganz anders gefragt als vor zehn Jahren. Ich war nie ein Freund davon, sich politisch zu äußern. Früher dachte ich, trotz aller Probleme in der Welt: Läuft schon, ich muss mich jetzt als Schauspielerin nicht auch noch zu allem äußern.
"Ich kenne viele Frauen in meinem Alter, die immer besser werden, weil sie immer seltener sein wollen, was sie sein sollen"
Annette Frier
Und das hat sich geändert?
Annette Frier: Ja, seit so fünf Jahren - und verstärkt nochmal in den letzten zwölf Monaten - empfinde ich eine andere Verantwortung als Künstlerin, als Person in der Öffentlichkeit. Wir müssen für unsere Gesellschaft und ihre Werte einstehen. Den Mund aufmachen und auch auf die Straße gehen. Unter was setze ich meine Unterschrift? Für wen oder was halte ich mein Gesicht in die Kamera. Wofür setze ich mich ein? Mit wem verbandele ich mich da? Zumindest sich selbst sollte man diese Fragen klar beantworten können. Und deswegen finde ich es so grandios, dass ich mit dieser Serie meinen kleinen humorvollen Beitrag leisten darf. Ich würde mich an dieser Stelle gern als Nachwuchsfeministin bewerben.
Was, wie manche Begegnung in der Serie zeigt, selbst unter Frauen nicht immer selbstverständlich ist.
Annette Frier: Richtig, das ist eine systemische Sache. Es ist eine Verhaltensfrage und das ganz unabhängig vom Geschlecht. Es ist mitnichten so, dass Frauen die besseren Menschen sind. Das wär ja auch evolutionär Quatsch. Es war für mich zum Beispiel der schönste Moment der ersten Staffel von „Morning Show“ bei AppleTV als Jennifer Aniston begreift: „Fuck, ich bin ja das System“. Manchmal mangelt es auch unter Frauen an Unterstützung. Das verklären wir nicht. Aber ich kenne viele Frauen in meinem Alter, die immer besser werden, weil sie immer seltener sein wollen, was sie sein sollen - dafür immer mehr werden, wie sie sind. Und ich finde das macht viele Frauen in meinem Alter so facettenreich. Da nehme ich mich übrigens nicht aus. Ich merke, dass sich eine Energie entfaltet, die bisher dafür verschwendet wurde, Sachen richtig zu machen. Bis man hinterfragt, wer eigentlich definiert, was richtig ist.
Letzte Frage: Bei Sat.1 kommt es zum Comeback des Line-Ups aus Henning Baum und Annette Frier. Auch Bully, Stromberg, Kommissar Rex sind wieder da. Welches Comeback würden Sie sich noch wünschen?
Annette Frier: Angela Merkel, aber nur aus humanistischen Gründen und ansonsten wieder etwas mehr Robert Habeck. Das wäre jetzt mein ganz persönlicher Wunsch. Integrität mag ich schon sehr.
Stephan Denzer: Wir haben es ja jetzt auch wirklich zweimal mit einem Mann im Kanzleramt probiert, vielleicht sollte wieder eine Frau ran.
Frau Frier, Herr Denzer, herzlichen Dank für das Gespräch.
Die erste Staffel von "Frier & Fünfzig" ist bei Joyn abrufbar und läuft ab dem 24. November montags um 22.15 Uhr in Sat.1
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