Herr Gerling. Eine Realityshow, ein Dating-Format, eine Dokuserie mit Kai Pflaume und Knossi sowie das Live-Krimi-Dinner. Täusche ich mich, oder experimentiert die ARD in der Unterhaltung aktuell sehr viel?
Andreas Gerling: Das ist auf jeden Fall richtig. An der Stelle muss ich aber direkt einordnen: Das Live-Krimi-Dinner war eine Produktion der ARD Degeto und auch die Dating-Show stammte nicht aus der Unterhaltungs-Koordination. Generell ist es aber eine richtige Beobachtung: Mit den "Werwölfen" haben wir in diesem Jahr Neuland betreten.
"Werwölfe – Das Spiel von List und Täuschung" war die erste Realityshow überhaupt in der ARD.
Das ist für den einen oder anderen Beobachter sicherlich überraschend gewesen, aber wir haben dieses neue Genre aus dem Stand heraus erfolgreich erobert. Wir zählen bislang mehr als 5 Millionen Abrufe in der Mediathek, das ist für uns ein sehr schöner Erfolg, vor allem, weil man so etwas bei uns nicht erwartet. Doch mit dem Format haben wir auch viele Menschen erreicht, die unsere Angebote sonst nicht unmittelbar suchen. Die Kommentare bei Social Media waren zu 90 Prozent positiv. Und was besonders schön ist: Die ARD kann in der Unterhaltung überraschen. Wir haben bewiesen, dass wir auch Reality können. Diesen Weg wollen wir weitergehen.
Können Sie das konkretisieren? Geht’s mit den "Werwölfen" weiter?
Es wird im nächsten Jahr eine zweite Staffel geben – und Michael Kessler ist auch wieder dabei.
"Wir haben bewiesen, dass wir auch Reality können."
Was ist abseits dieses konkreten Formats im Bereich Reality für die ARD möglich und denkbar?
Unser Angebot in diesem Bereich soll langsam wachsen, wir suchen aktuell nach neuen Formaten. Wir wollen ganz andere Farben ausprobieren und arbeiten schon an vielen unterschiedlichen Ideen, auch abseits von Strategiespielen. Gerade mit Blick aufs Streaming ist Reality für uns aber ein Wachstumsfeld und diesen Bereich wollen wir perspektivisch ausbauen. Wir müssen hier unseren ganz eigenen Weg finden, den ARD-Weg. Reality ist ein weites Feld, da ist vieles möglich.
Ich lehne mich vermutlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Eine klassische Bikini-Reality im Stile von RTL wird es nicht in der ARD Mediathek geben?
Nein, das tun Sie nicht.
Und jetzt schicken Sie Kai Pflaume und Knossi auch noch auf Hochzeitsreise. Was erwartet das Publikum da?
Auf jeden Fall tolle, bunte Bilder. Es ist schwer, das Format einem bestimmten Genre zuzuordnen. Es ist wohl am ehesten Dokutainment. Das Spannende daran ist, dass zwei große, aber sehr unterschiedliche Entertainer – der eine primär aus der TV-Welt, der andere aus der Welt des Internets - gemeinsam auf eine emotionale und abenteuerliche Reise gehen. Das Zusammenspiel zwischen den beiden und vor allem auch mit den Hochzeitspaaren, die sie besuchen, ist aus meiner Sicht sehr gelungen und vor allem für die ARD eine neue Form der Unterhaltung.
In dieser Woche haben Sie einige Produzentinnen und Produzenten zu einem Austausch getroffen. Ich nehme an, mit der Öffnung der ARD zu mehr Reality sind Sie aktuell ein gefragter Gesprächspartner. Welche Botschaften haben Sie gesendet?
Es ging vor allem darum, uns als ARD-Unterhaltung der Produzentenlandschaft als verlässlichen Partner auf Augenhöhe vorzustellen. Denn nur gemeinsam mit den Kreativen können wir die Unterhaltung für die ARD weiterentwickeln und ein Stück weit neu definieren. Wir haben uns Anfang des Jahres strukturell neu aufgestellt: Es gibt jetzt sogenannte Kompetenzcenter in den Bereichen Reality, Comedy & Satire sowie Show & Quiz. Das sind die Bereiche, in denen wir nach neuen, mutigen und vielleicht auch lauten Ideen suchen. Ziel ist auch, starke Programme für die Mediathek zu finden. Dabei steht immer die Frage im Raum, wie der ARD-Weg für die Unterhaltung der Zukunft sein kann.
"In den Bereichen Reality, Comedy & Satire sowie Show & Quiz suchen wir nach neuen, mutigen und vielleicht auch lauten Ideen."
Über diesen ARD-Weg würde ich gleich gerne noch reden. Ich nehme an, durch die "Werwölfe" haben Sie schon zuletzt vermehrt Pitches von Unterhaltungsproduzenten erhalten. Gibt es etwas, das Sie dabei ärgert?
Nein. Es geht doch darum, gemeinsam im Gespräch zu sein. Mein Ziel ist, dass die ARD erster Ansprechpartner ist, wenn es irgendwo neue spannende Ideen und Formate gibt. Wir suchen jetzt definitiv kein zweites Format wie die "Werwölfe", aber die Unterhaltung hält so viele Subgenres bereit, dass es in diesem Bereich viele Möglichkeiten gibt.
Wenn Sie jetzt mehr Unterhaltung für die Mediathek produzieren, müssen Sie wohl irgendwo im Linearen sparen, oder? Was sind da Ihre Pläne?
Wir sind im Linearen nach wie vor sehr stark: Die ARD-Unterhaltungsshows erreichen im Schnitt mehr als 4 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer im TV – "Klein gegen Groß" sogar über 5 Millionen im Schnitt. Auch bei jüngeren Menschen sind wir mit durchschnittlich 18,3 Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährige insbesondere am Samstagabend sehr erfolgreich – und das wollen wir auch bleiben. Aber natürlich kann man Geld nur einmal ausgeben und deshalb werden wir uns fokussieren und schauen, wie wir neue Formate, die vor allem für die Mediathek produziert werden, finanziert bekommen.
Was genau heißt das? Gibt’s schon Pläne, was Sie künftig weniger machen wollen im Linearen?
Das ist eine Diskussion, die wir gerade gemeinsam in der ARD führen. Es wird in Summe jedenfalls nicht mehr Unterhaltung geben als bislang. Wir müssen schauen, wo wir das Publikum erreichen - und möglicherweise auch ein solches Publikum, das wir im klassischen TV nicht mehr erreichen.
Generell ist die finanzielle Situation bei allen Sendern angespannt, innerhalb der ARD nicht nur wegen der Teuerung, sondern auch wegen der Nicht-Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Was macht das mit dem Unterhaltungsbudget für 2026?
Die von Ihnen angesprochene Teuerung ist für alle Sender eine große Herausforderung. Wenn ich auf bestehende Produktionskosten schaue, heißt das: Perspektivisch werden wir weniger machen können. Man kann solche Kostensteigerungen nur auffangen, indem man gewisse Dinge weglässt. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit der Frage, ob man Unterhaltung möglicherweise anders als bislang produzieren kann. Klar ist: Unterhaltung hat ihren Preis. Im nächsten Jahr wird sich das Gesamtbudget für Unterhaltungsprojekte in einer ähnlichen Größenordnung bewegen wie 2025.
Es gibt viele Formate aus dem Privatfernsehen, die wir so nicht machen würden.
Seit Anfang des Monats ist der Reformstaatsvertrag in Kraft. Darin heißt es: "Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags." Was ist Unterhaltung mit einem öffentlich-rechtlichen Profil?
Unterhaltung ist ein Grundnahrungsmittel und ich verweise gerne auf den letzten Samstagabend: Das "Adventsfest der 100.000 Lichter" mit Florian Silbereisen hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie viel Kraft in einer solchen Familienshow steckt. Das Wertschätzende und Verbindende in diesen Shows wird vom Publikum gesucht. Egal ob von Barbara Schöneberger, Kai Pflaume, Alexander Bommes oder Esther Sedlaczek moderiert – mit unseren Samstagabendshows erreichen wir konstant mehr als 4 Millionen Menschen, und das generationenübergreifend. Insofern sind unsere Angebote aus der Unterhaltung besonders wichtig, wenn es darum geht, in einer immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft verbindende Elemente zu schaffen. Wenn es darum geht, Mehrheiten zu erreichen und die Werte der Gesellschaft zu erzählen, dann kommt den Formaten eine Schlüsselrolle zu. Und das sowohl im Linearen als auch im Streaming.
Und wie unterscheidet sich öffentlich-rechtliche Unterhaltung von denen der Privaten?
Die Unterschiede sind deutlich und werden vor allem am Samstagabend klar. Unser Programm ist wertschätzend und verbindend. Auch bei den "Werwölfen" haben wir diesen eigenen Weg gefunden. In der Unterhaltung der ARD geht es immer auch um den integrativen Charakter. Bei uns stehen Menschen aus der Gesellschaft im Mittelpunkt und erhalten eine große Bühne, damit vermitteln wir Werte. Im Vergleich zu den Privaten fahren wir eine andere Linie. Es gibt viele Formate aus dem Privatfernsehen, die wir so nicht machen würden.
Eine feste Größe in der Unterhaltung sind die Vorabend-Quizshows im Ersten. Dort geht jetzt bald ein interessantes Experiment zu Ende: Seit einigen Wochen laufen "Gefragt - gejagt" und "Wer weiß denn sowas?" direkt nacheinander. Wie fällt ihr Fazit aus und ist möglicherweise schon eine Entscheidung gefallen, ob das eine Dauerlösung wird?
Wenn man an einem so wichtigen Punkt im Programm langjährige Marken umprogrammiert und sich das Line-up dementsprechend signifikant ändert, muss sich das Publikum erst einmal auf die neue Situation einstellen. Wir sehen, dass wir mit dem aktuellen Line-up über der bisherigen Performance auf diesem Slot liegen. Aber wir sind noch mitten im Test, deshalb kann ich Ihnen dazu nicht mehr sagen. Ab dem 15. Dezember setzen wir wieder auf das frühere Schema und dann werden wir schauen, wie wir das Programm am Vorabend mittelfristig gestalten. Am Ende muss die Gesamtbilanz stimmen.
Noch ein anderes Thema, das immer wieder gern besprochen wird: der ESC. Sie waren lange Teil des operativen ESC Teams im NDR. Jetzt sind Sie das zwar nicht mehr, in Ihrer Rolle als Unterhaltungskoordinator sind Sie aber natürlich trotzdem involviert. Wie blicken Sie auf das Event im kommenden Jahr inklusive Vorentscheid? Was ist geplant?
Wir haben den ESC 30 Jahren im NDR verantwortet, das Event gehörte zur DNA des Senders. Da ist es jetzt natürlich eine Zäsur, dass der NDR die Verantwortung an den SWR weitergegeben hat. Dennoch ist es die richtige Entscheidung gewesen, den ESC nach so langer Zeit in neue Hände zu geben. Früher hatten ja auch schon andere ARD-Häuser die Verantwortung. Die Vorbereitungen für den Vorentscheid im kommenden Jahr laufen jedenfalls auf Hochtouren, dazu können wir bald mehr verraten.
Mein Wunsch für 2026 ist: Wir finden den nächsten großen Hit.
Sie hatten damals die Kooperation mit RTL und Stefan Raab vorangetrieben. Bis auf das Ergebnis in Basel war es ja auch eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit, hätten Sie das gerne fortgesetzt?
Mit RTL und Stefan Raab hatten wir zwei Ziele. Wir wollten eine maximale Reichweite für den Vorentscheid und das Finale, das ist uns sehr gut gelungen. Wir hatten den erfolgreichsten Vorentscheid seit 21 Jahren und das reichweitenstärkste ESC-Finale seit 2011. Das verdanken wir der Kooperation mit RTL, Stefan Raab, Inga Leschek, Daniel Rosemann und ihren jeweiligen Teams. Natürlich wollten wir auch eine gute Platzierung in Basel erreichen, "Baller" hat seine große Kraft dann leider nicht an dem Abend entfaltet, sondern erst später in den Charts.
Und? Hätten Sie es gerne nochmal versucht mit RTL und Raab?
Es war eine Kooperation, die so als einmaliges Event angelegt war. Das hat gut funktioniert und nun ist es legitim, jetzt neue Wege zu gehen und ein neues Auswahlverfahren aufzusetzen.
Wenn Sie einen Wunsch für die ARD-Unterhaltung hätten, was wäre das?
Unterhalter leben immer davon, das nächste große Ding zu suchen. Egal, ob es eine Reality- oder Family-Entertainmentshow ist. Mein Wunsch für 2026 ist: Wir finden den nächsten großen Hit.
Vielleicht ja im Comedy-Bereich? Da hat die ARD viele Marken mit prominenten Köpfen, aber trotzdem reden alle von der "heute-show" und Jan Böhmermann, oder?
Die "heute-show" und das "ZDF Magazin Royale" sind starke Marken. Aber auch über Dieter Nuhr, "extra 3", Carolin Kebekus und Ina Müller wird viel gesprochen. Ich finde, wir haben ein sehr vielfältiges und starkes Angebot im Comedy-Bereich, an dem wir stetig arbeiten. Speziell "extra 3" werden wir im nächsten Jahr weiterentwickeln - mit frischen Ideen und Gesichtern für die Sendung und einer großen Jubiläumsshow zum 50. Geburtstag im Ersten.
Herr Gerling, vielen Dank für das Gespräch!
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