Frau Volm, in einer Szene von "Nachtschatten" ist Kommissar Schnabel der Kaffee zu stark, Kommissarin Winkler dagegen trinkt ihn ungerührt weiter. Ist das ein gewollter Kommentar über männliche oder weibliche Zuschreibungen oder Zufall?
Saralisa Volm: Anfangs Zufall. Weil wir nicht wollten, dass sich zwei Figuren beim Reden einfach regungslos gegenüberstehen, haben wir die Sache mit dem Kaffee spontan entwickelt. Als Cornelia Gröschel dann aber keine Miene verzieht, war allen klar, dass es mehr ist als unterschiedliche Trinkgewohnheiten. Solche Kommentare auf Geschlechterverhältnisse streue ich vermutlich öfter ein, als mir bewusst ist.
Sonst betonen Sie diese Verhältnisse fast schon über. Verbrechensopfer sind bei Ihnen oft weibliche Objekte meist männlicher Gewalt, in diesem Fall zwei Mädchen, die seit ihrer Geburt gefangen gehalten werden.
Interessante Frage. Offenbar stoße ich Frauen bewusst in objektifizierende Situationen, lasse sie aber wie Maria Furtwängler in "Bis zur Wahrheit" in die Gegenwehr gehen. Gerade in Krimis geht es ja um verschiedene Spielarten der Gewalt, von denen naturgemäß oft Frauen betroffen sind. Umso mehr versuche ich sie dabei in ihrer ganzen Vielfalt zu erzählen. Mir ist wichtig, nicht auch noch ständig diesen Modetypus "starke Frau" zu bedienen.
Fürchterlich altbackene Formulierung!
Und mir persönlich viel zu wenig. Deshalb erzähle ich so gern auch unsympathische, egoistische Frauen, weil von ihnen oft nette Selbstlosigkeit erwartet wird. Irgendwie herrscht an Filmfiguren noch immer der Anspruch, entweder gut oder böse zu sein. Ich billige ihnen verschiedene Facetten zu und vor allem: Narben aller Art.
Ist das der autobiografische Aspekt Ihrer Figuren? Sie reden sehr offen über eigene Narben, vergewaltigt worden zu sein zum Beispiel oder an Bulimie erkrankt.
Ich muss bei jedem Projekt das Gefühl haben, ihm persönlich was zu bringen und eine emotionale Verbindung zum Stoff aufbauen zu können. Je näher mir die Geschichte ist, desto besser verbinde ich mich mit ihr. Deshalb muss ich mich zwar nicht zwingend biografisch darin wiederfinden; aber ganz egal, ob beim Schreiben, Spielen oder Drehen – ein bisschen bin ich jede meiner Figuren.
Irgendwie herrscht an Filmfiguren noch immer der Anspruch, entweder gut oder böse zu sein. Ich billige ihnen verschiedene Facetten zu und vor allem: Narben aller Art.
Und das gilt für einen SS-Obersturmbannführer genauso wie für seine Opfer?
Ja. Selbst furchtbare Figuren handeln aus Motiven, die sie in ihrem eigenen Wertekorsett als gut erachten. Entscheidend ist aber, welche Perspektive der Film einnimmt, nicht seine Figuren. Die mögen eine andere Haltung haben als ich, aber mein Film muss meine Haltung haben.
Nehmen wir mal die zum Thema Gewalt.
Gutes Beispiel, schon weil man sich hier immer wieder in Graubereichen bewegt. Wer jemanden unvermittelt von hinten umreißt, übt Gewalt aus. Es sei denn, die umgerissene Person droht ansonsten vor einen Zug zu stürzen. Diese Grenze – was Schutz ist und was übergriffig – interessiert mich sehr.
Verhandeln ihre Filme deshalb so oft Gewalt und die Folgen, im Dresdner "Tatort" sogar besonders drastische gegen Kinder?
Ich versuche menschliche Abgründe und ihre Grenzbereiche zu verstehen. Wenn ich meine Figuren frage, warum sie auf bestimmte Art handeln, frage ich das ein bisschen auch mich selbst. Auch in mir ruht schließlich eine potenzielle Mörderin. Das haben wir alle in uns.
Wollen Sie ihr Publikum dazu bringen, sich solche Fragen ebenfalls zu stellen?
Das klingt mir zu didaktisch, als hätte ich darauf dann die Antwort. Filme sind für mich – wie jede Form von Kunst – Kommunikation. Ich will keine Antworten geben. Deshalb können alle auch etwas völlig anderes in diesen Filmen sehen als ich oder eine Kritikerin. Ich möchte das Publikum vielleicht ein bisschen verunsichern.
Ich versuche menschliche Abgründe und ihre Grenzbereiche zu verstehen.
Und offenbar aus ihrer Schonhaltung rausholen. Die meisten Ihrer Filme sorgen für eine seltsame Art der Anspannung, sind also nicht reine Unterhaltung.
(lacht) Ich habe kürzlich wieder "Schweigend steht der Wald" gesehen und dachte auch: Boah, der ist ja voll anstrengend! Aber ich mache meine Sachen nicht, damit es die Zuschauer:innen anstrengt, sondern weil ich die Welt so empfinde. Ich schaue gern hinter heile Fassaden und bohre dort, wo es wehtut. Und das ist hoffentlich so interessant, dass es unterhaltsam wird.
Kann Fiktion dabei die Realität beeinflussen?
Was meinen Sie genau?
Die Zahl der Kapitalverbrechen in Serien, Filmen oder zuletzt Podcasts ist ungleich höher als in der Kriminalstatistik. Krimis wie "Nachtschatten" könnten daher den falschen Eindruck erwecken, Kerkermeister wie Josef Fritzl oder Wolfgang Přiklopil sind nicht Ausnahme, sondern Regel.
Das klingt wie der Vorwurf, wer Ballerspiele spielt, schießt irgendwann auf Menschen. Da unterschätzen Sie das Publikum! Wir erzählen uns seit Ewigkeiten Geschichten. Die meisten von uns sind daher bestens geschult darin, die Fantasie von der Realität zu unterscheiden. Und bitte, wie brutal ist denn die Bibel! Wie Judith den Holofernes köpft, das wäre jedem "Tatort"-Redakteur zu krass. Auch Grimms Märchen sind voller Brutalität. Solche Geschichten sind Teil unseres Aufwachsens.
Allerdings mit Hang zum Happyend, wenn man sich deutsche Krimis betrachtet.
Und nicht nur deutsche. Dass es die Bösen am Ende erwischt, hat kathartische Wirkung. Und dieses Versprechen löse ich auch gerne ein. Aber wo wir jetzt drüber reden: Einen "Tatort" zu drehen, der am Ende nicht aufgelöst wird – mega Idee!
Da Sie nicht nur Filme drehen und spielen, sondern auch produzieren, stünde es Ihnen jederzeit frei!
Na ja, "Tatorte" sind schon sehr hart umkämpft, die produziert man nicht so einfach. Aber stimmt, ich könnte das machen.
Haben Sie gern die volle Kontrolle?
Interessant, dass Sie den Begriff Kontrolle verwenden, ich bevorzuge Freiheit. Als Schnittstelle zwischen Kreativität und Geld sind freie Produzentinnen in unserer Branche schließlich am wirkmächtigsten. Nur an der kann ich auch mal völlig irrsinnige Sachen realisieren. "Fikkefuchs" war so ein Film.
Einen "Tatort" zu drehen, der am Ende nicht aufgelöst wird – mega Idee!
Von und mit Jan Henrik Stahlberg, der seinem übergriffigen Sohn, gespielt von Franz Rogowski, bei der Resozialisation helfen soll. Sie haben ihn 2017 durch Crowdfunding finanziert.
Ohne Sender, ohne Förderung, einfach weil wir alle davon überzeugt waren. Oder jetzt gerade Maja Classens Dokumentarfilm "Truth or Dare" über die sexpositive Szene Berlins: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie diebisch die Freude war, einen Film, der eigentlich nicht herstellbar ist, dennoch ins Kino zu bringen. Das nenne ich Freiheit.
Die man sich aber auch leisten können muss. Arbeiten Sie da wie Verlage, die sich exklusive Kollektionen mit Stangenware finanzieren?
Das funktioniert nur, wenn man sein Leben mit anderen Produktionen finanzieren kann. Wichtig ist mir, trotzdem hinter jeder Produktion stehen zu können. Da hatte ich in den letzten Jahren sehr viel Glück. Ein entscheidender Faktor ist aber leider auch ein gewisses Maß an Selbstausbeutung. Für "Fikkefuchs" bin ich frühmorgens aufgestanden, um Brötchen zu schmieren, hab zwischendurch die Wohnung gestrichen, wenn es der Regisseur wollte, und nachts noch Daten gesichert
Kann man als Produzentin, Regisseurin oder Schauspielerin einen "Tatort" aus qualitativen Gründen ablehnen?
Wenn ich etwas gut finde, sage ich sehr schnell zu. Wenn ich ein Buch nicht gut finde, bleibt zu prüfen, wieviel Bewegungsspielraum für Entwicklung da ist. Ist dieser nicht gegeben, ist es für das Seelenheil aller Beteiligten besser, wenn ich absage. Das tue ich dann auch ohne Reue. Deshalb müsste ich einen "Tatort" eher mal aus Termingründen absagen. Das gilt vor allem bei Regie und Produktion. Rollen lehne ich seltener ab, weil ich einfach wahnsinnig gern spiele, und sei es für nur einen Tag bei einem Musikvideo.
Ein kurzes Vergnügen.
Ja. Als Schauspielerin zählt der Moment. Da bist du nach der letzten Klappe und gegebenenfalls ein paar Premieren aber auch fertig mit dem Projekt und machst das nächste. Als Regisseurin oder Produzentin beschäftigst du dich noch jahrelang mit dem Film – da ist es wichtig, vollständig davon überzeugt zu sein. Und ich habe einfach einen großen Gestaltungswillen.
Vielen Dank für das Gespräch!
"Tatort: Nachtschatten" wird am 1. Januar um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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