Moment, also es gab schon so einige sehr deftige Kommentare von Ihnen gegenüber Kritikern...

Ich habe Kritiker mit Sicherheit auch beschimpft. Ich sage Ihnen auch, woran das liegt: Ich bin auch nur ein Mensch. Ich habe Familie und Freunde. Und dann gibt es Kritiker, die einem den Tod an den Hals wünschen. Auf unterster Schublade wird man dann angegriffen. Man macht eine ehrliche Sendung - nicht lachen, auch die gab es - und knallt Kohle raus. Da ging es dann zum Beispiel um die Regenbogenforelle und die Bachforelle und ich sagte dem Publikum „Auf die Lösungen kommt man. Warten Sie mal ab, da kommen auch Sie drauf“. Und dann lese ich nach der Sendung in diesen Foren: „Der Schradin hat schon wieder betrogen und hat das als einfach verkauft. Das ist der schlimmste von allen, der muss weg.“ Dann kann es passieren, dass einem mal der Kragen platzt.

Gut, halbwegs glaubhaftes Beispiel, aber mal ernsthaft: Bei Tieren mit S wären Sie auch nicht auf einen Stirnlappenbasilisk gekommen. Da steckte schon sehr viel, nennen wir es mal Kreativität dahinter...

Natürlich, natürlich. Da bin ich wieder bei der Nachhaltigkeit. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn 9Live von Anfang an zusammen mit der BLM klare Spielregeln formuliert hätte, dann hätte es vielleicht am Anfang nicht so ein exorbitantes Umsatzwachstum bei dem Sender gegeben, aber 9Live wäre jetzt noch auf Sendung, weil man sich dann sowas wie den Stirnlappenbasilisk gar nicht hätte ausdenken müssen. Natürlich hat 9Live übertrieben mit Sendungen und Spielen, die zehn Stunden gingen. Natürlich hat man mit exorbitant schweren Lösungen Zuschauer vergrault. 9Live hat sich da selbst ein Bein gestellt, weil nur von heute auf morgen der Umsatz gesteigert werden musste. Wenn da Leute mal anders gedacht hätten, dann gäb es den Sender heute noch. Aber da gab es Druck, da gab es Call-Erwartungen, da gab es Umsatz-Erwartungen. Dann denkt man nicht nachhaltig sondern will nur ProSiebenSat.1 im nächsten Meeting gute Zahlen präsentieren. Das alles soll keine Entschuldigung sein. Um Gottes Willen. Es ist nur eine Erklärung, warum manchmal mit Spielen und Spiellängen übertrieben wurde. Es herrschte Druck - nicht immer, manchmal war auch alles Friede, Freude, Eierkuchen - aber es gab auch Sendungen, wo es dann hieß: „Ah, wär vielleicht ganz schön, wenn wir die und die Zahl noch schaffen würden.“ So gab es Sendungen, in denen mit Sicherheit übertrieben wurde. Da bin ich der gleichen Meinung wie ganz viele Kritiker auch.

Späte Einsicht, könnte man sagen.

Es gab auch vor Sendungen Diskussionen mit Redakteuren bei denen ich gesagt habe: Diese Lösung verkaufe ich den Zuschauern nicht als bekannt. Das ist Schwachsinn und dann wurde das auch ausgetauscht. Es gab Kollegen, die haben sowas auch gespielt, aber die konnten dann die Sendung auch nicht so offen und offensiv angehen, wie ich es gemacht habe. Nach mir die Sintflut, so ungefähr. Ich habe mir da Sorgen um unser Geschäft gemacht, das Call-In-Fernsehen.

Nochmal anders gefragt. Niemand bezweifelte je, dass es bei 9Live Gewinner gibt, denen Geld ausgezahlt wird. Ich kenne persönlich sogar zwei Gewinner. Aber welche Rolle spielte dabei der Zufall? Und welche Rolle der Redakteur?

Der Hot Button hat per Zufall einen x-beliebigen Anrufer ins Studio gestellt. Den haben wir uns nicht ausgesucht. Das konnte ein Profi sein, der schon seit Jahren 9Live schaut oder jemand, der gerade zum ersten Mal anruft und dann bei einem 30.000 Euro-Spiel Hund, Katze oder Maus nennt, die da ganz sicher nicht dabei waren.

Moment, Moment. Sie reden davon, wen der Hot Button durchstellt. Aber die Frage ist doch, wann er zuschlägt und wieviel Zufall da drin steckte...

Fakt ist ja, dass der Zuschauer schriftlich und als mündliche Erklärung von uns seit Jahren die Spielregeln erklärt bekommen hat. Wir haben gesagt: „Im Hot Button-Modus wird zu einem beliebigen Zeitpunkt ein Anrufer oder SMS-Teilnehmer durch einen technischen Mechanismus zufällig durch den Redakteur ausgesucht.“ Das heißt: Der Zuschauer hat gewusst: Der Redakteur haut auf diesen Hot Button drauf und dann, in diesem Moment, schießt er einen Anrufer rein.

Dann muss ich und so manch anderer das all die Jahre falsch verstanden haben mit dem Hot Button...

Das wurde immer gesagt und eingeblendet. Dass der Redakteur das bestimmt, war klar. Es gab auch einen Zeitrahmen, in dem er das spätestens machen musste. Auch das war geregelt. Ist das dann kalkuliert? Wir wussten nicht, welcher Anrufer durchgestellt wurde und wie teuer es werden könnte. Es gab Wochen, da wurden 200.000 Euro rausgespielt. Echte Gewinne. Das hatte dann in der Woche darauf natürlich zur Folge, dass wir nur um 50 Euro gespielt haben. Entschuldigung, warum soll man für 50 Euro anrufen? Da gab es von uns dann die Moderation "Wie Sie sehen, sind letzte Woche zehntausende von Euro rausgegangen", um so ein bisschen Werbung zu machen. 9Live hat kein Geld verschenkt. 9Live war kein Wohltätigkeitsverein. Es wurde aber auch niemand betrogen. Das ist Schwachsinn. Ich greife mir an den Kopf, wenn Kritiker sagen „Ich habe fünfmal angerufen und habe fünfmal nicht gewonnen.“ Wenn diese Leute Lotto spielen, rennen die doch danach auch nicht in die Annahmestelle und beschweren sich, dass die falschen Zahlen kamen.

Interessante Aussagen. Um zum Ende hin nochmal den Blick von hinten nach vorne zu drehen: Soll es für Sie in den Medien weitergehen? Gibt es schon Pläne?

Ich persönlich glaube, dass ich ein Talent habe, den Zuschauer zum Schmunzeln zu bewegen. Ich bin kein Comedian, aber ich kann witzig sein. In diese Richtung könnte es gehen, egal ob das Radio, Fernsehen oder Internetfernsehen ist. Meine Stärke ist es, schnell und witzig zu sein. Aber mir ist bewusst, dass ich ein 9Live-Gesicht bin. Und ich weiß auch, dass für die Leute, die was zu sagen haben, 9Live ein rotes Tuch ist. Aber ich bin überzeugt davon, dass drei oder vier Moderatoren von 9Live gemeinsam eine Samstagabendshow wuppen könnten. Nur sie würden nie die Möglichkeit bekommen, weil sie 9Live gemacht haben. Aber dann sehe ich im deutschen Fernsehen so viele Menschen, die schon ins Schwitzen kommen, wenn mal eine Sache nicht funktioniert wie geplant und etwas überbrückt werden muss. Wir haben alle unbezahlbare Live-Erfahrung bei 9Live mitgenommen. Und die Erinnerung an den Sender wird irgendwann schwinden, aber das, was ich da gelernt habe, bleibt mir. Damit kann ich nach vorne blicken.

Herr Schradin, herzlichen Dank für das Gespräch.