Herr Link, Sie haben im vergangenen Herbst bei der Berufung in die ProSiebenSat.1 TV Deutschland-Geschäftsführung gesagt, Sie freuen sich darauf, näher ans Programm zu rücken. War das ein frommer Wunsch oder wurde das Realität?

Das war ein Wunsch, der zum Glück Realität geworden ist. Ich bin immer noch sehr oft im Studio. Es sind natürlich andere Aufgaben dazu gekommen, aber ich habe mich nicht vom Programm entfernt, weil ich glaube, dass wir in einem Geschäft sind, in dem es vor allem um die Inhalte geht. Was machen wir, wie machen wir es und wo geben wir es auf Sendung?

Sie betonen, dass es Ihnen um Inhalte geht, also reden wir über Qualität. Ist Fernsehen, das gute Quote holt, automatisch gut?

So einfach kann man es nicht sagen. Natürlich schaut man gerne zuerst auf eine Zahl, schließlich sind wir ein werbefinanziertes Unternehmen. Aber dann schaut man eben auch hinter die Zahlen. Nehmen wir mal „Fashion Hero“ als Beispiel: Die Quote war enttäuschend, aber es war für meine Begriffe eine gut gemachte Sendung, die etwas Innovatives hatte, stark besetzt war und gut aussah. Zu analysieren, warum das trotzdem nicht ideal zusammenpasste, zeigt, warum die Sendung für uns so wertvoll war: Auch aus Flops kann man viel lernen.

Dann war die vergangene Saison ja sehr lehrreich mit „Fashion Hero“, „Millionärswahl“ und „Keep your light shining“...

(lacht) Wir haben sicherlich Erfahrungen gemacht und unser Lehrgeld bezahlt an manchen Stellen. Aber am Ende des Tages wird doch immer Mut gefordert und den haben wir bewiesen. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben: Wir wollen die Ersten sein und wir wollen wirklich neue Showideen ausprobieren. Eine Marke wie ProSieben ist dazu verpflichtet. „Fashion Hero“ war ein sehr spitzes Thema und nur in einer kleinen Nische erfolgreich. Bei „Millionärswahl“ gilt sicherlich: Nicht alles, was im Netz funktioniert, funktioniert auch auf der großen Showbühne. Man lernt daraus – genauso wie aus unseren zahlreichen Erfolgen.

Welche stechen da für Sie besonders hervor?

Da fallen mir in unserer Gruppe viele schöne Sendungen ein. „The Voice of Germany“ oder „Got to Dance“ beispielsweise. Tanzen war ein absolut totgesagtes Genre – bis wir es neu belebt haben. Für Kochen galt das Gleiche und dann kam „The Taste“, eine Eigenentwicklung unserer Red Arrow-Kollegen. Ich denke auch an tolle Erfolge wie „Joko gegen Klaas: Das Duell um die Welt“ und die Erneuerung von „Germany’s next Topmodel – by Heidi Klum“...

"Starke Köpfe sind uns sehr wichtig."

Da hak‘ ich mal ein. Diese Erneuerungen von lang laufenden Formaten. Können Sie nachvollziehen, dass das von Publikumsseite nicht halb so innovativ gesehen wird?

Dabei ist es so viel schwerer, einen so großen Tanker zu erneuern, ohne dass der Zuschauer bzw. die Zuschauerin einschaltet und sich fragt „Was hat das denn noch mit meinem ,Topmodel‘ zu tun?“ Das ist jetzt sicher auch die Herausforderung in der nächsten Staffel von „The Voice of Germany“. Wir wollen die Show auffrischen, so dass der Zuschauer das wahrnimmt und doch das Gefühl hat, dass es sein „The Voice“ ist. Und eine regelrechte Innovativ-Werkstätte ist ja „Circus HalliGalli“.

In der Tat. Hut ab beispielsweise für „Schulz in the Box“ – insbesondere die letzte Gefängnisfolge. Eine interessante Reportage.

Danke. Das war wirklich ergreifendes Fernsehen. Und gerade, weil es heute als so selbstverständlicher Erfolg gefeiert wird, muss man sich immer daran erinnern: Als wir Joko & Klaas geholt haben, gab es viele kritische Stimmen, die sich gefragt haben, was ProSieben mit einem Duo möchte, das in der Nische von ZDFneo kaum messbare Einschaltquoten erzielt hat. Und dann wurde „Circus HalliGalli“ ohne Probleme auf Anhieb fester Bestandteil unseres Programms. Daraus hat sich inzwischen „Duell um die Welt“ entwickelt und daraus werden noch in diesem Jahr zwei weitere Shows mit Joko & Klaas starten. Und wie Sie sagen auch „Schulz in the Box“ oder die Formate mit Palina. Deswegen investieren wir viel in neue Gesichter. Starke Köpfe sind uns sehr wichtig.

Also bleiben auch Heidi Klum und Stefan Raab für ProSieben wichtige Köpfe?

Nicht nur die. Bei Sat.1 setzen wir mit Wayne Carpendale und Jochen Schropp im Bereich Show auf neue Gesichter, die perfekt ein modernes Sat.1 verkörpern. Aber natürlich bin ich sehr stolz auf unsere lange Zusammenarbeit mit Heidi Klum und Stefan Raab. Heidi hat uns eine wundervolle und erfolgreiche „Topmodel“-Staffel beschert. Stefan ist der kreativste TV-Mann, den ich kenne. Ein Macher und ein Entertainer. In 2013 hat Stefan im „TV-Duell“ gezeigt, was er außerhalb der Show-Welt für Qualitäten hat. Zudem hat er in der vergangenen Saison wieder mit „TV total“ begeistert. Man merkte ihm eine neue Spielfreude an, so dass zahlreiche neue und vor allen Dingen auch junge Zuschauer das Format neu entdeckt haben.

Insbesondere in der Superbowl-Woche live aus New York.

Richtig. Das hat uns und Stefan extrem viel Spaß gemacht. Sicherlich werden wir mit Stefan in der nächsten Saison wieder einmal verreisen. Zudem arbeitet er an einer neuen Idee für ProSieben. Freuen Sie sich drauf.

"Es ist – anders als in den USA – leider nicht so, dass die guten Stoffe bei uns auf der Straße liegen"


Die ProSiebenSat.1 TV Deutschland hat inzwischen sechs Sender – aber gerade keine einzige Serie für die kommende Saison vorgestellt. Spielt das Genre keine Rolle für Sie?

Doch natürlich. Aber das ist einfach eine Frage des Timings. Die deutsche Fiction hat ihre Heimat nach wie vor bei Sat.1. Erfreulicherweise hatten wir eine tolle Staffel „Der letzte Bulle“ und werden jetzt gemeinsam mit Henning Baum klären, ob und wie es weitergehen könnte. Und mit „Josephine Klick“ haben wir eine neue Serie erfolgreich zum Leben erweckt. Und natürlich wagen wir uns im Film-Bereich weiter an mutige Themen. Nach den TV-Events „Der Minister“ und „Der Rücktritt“ drehen wir aktuell „Die Schlikkerfrauen“ mit Annette Frier und Katharina Thalbach. Wir schauen uns sehr genau um und prüfen: Was hat Leuchtturm-Charakter? Das sind natürlich Event-Filme auf der einen Seite, aber auch Serien-Entwicklungen auf der anderen. Und da gibt es vielversprechende Stoffe bei Sat.1, nur kommt man eben nicht immer pünktlich zu einer Saison-Vorschau zum Abschluss, um mehr zu erzählen.

Wie erklärt man, dass ProSieben als immerhin zweitgrößter Privatsender beim jungen Publikum überhaupt keine fiktionale Eigenproduktion plant?

Natürlich schaue ich mir das Grid an und frage mich: „Wie soll der Sender in ein und in zwei Jahren aussehen? Hier prüfen wir, um das jetzt mal zu verraten, ganz konkret zwei fiktionale Projekte. Ein, zwei eigene Serien oder Events stünden ProSieben gut zu Gesicht, aber es ist – anders als in den USA – leider nicht so, dass die guten Stoffe bei uns auf der Straße liegen. Da kann ich Autoren nur ermutigen, uns Ideen vorzustellen. Wenn wir die eigenproduzierte Fiction bei ProSieben wiederbeleben, ist die entscheidende Frage: Mit welchem Genre? Das will gut überlegt sein.

Es könnte bei ProSieben mit einer etwas spitzeren Zielgruppe ja fantastischer, mysteriöser oder expliziter sein als bei der Schwester Sat.1....

Als würden Sie bei unseren Gesprächen unterm Tisch sitzen (lacht). Genau diese Überlegung teilen wir. In Ihrer Aufzählung war daher das Genre, an das wir derzeit denken, vielleicht schon dabei. Mehr sag ich aber nicht (lacht). Wir sprechen hier schließlich von der Entwicklungsphase, also von einem sehr frühen Stadium.

Bei Sat.1 scheinen Shows, aber auch Reality-Formate im Genre-Mix des Senders betont zu werden. Insbesondere durch „Utopia“.

Entertainment und Reality spielen bei Sat.1 eine große Rolle. Auf „Utopia“ sind wir sehr stolz. Wir gehen davon aus, dass es bei uns der gleiche Game-Changer sein kann wie für SBS6 in den Niederlanden. Ich finde das Format faszinierend, weil es das Genre Reality noch einmal komplett neu erfindet. Nach der geglückten Wiederbelebung des Nachmittages bei Sat.1 ist „Utopia“ ein wichtiger Baustein für den Vorabend – der letzten großen Baustelle von Nicolas Paalzow. Ich glaube, da gibt es derzeit nichts Besseres auf dem Markt als „Utopia“.

"Vielleicht war Sat.1 in den vergangenen Jahren zu leise und hat sich eher weggeduckt"

Also wird Sat.1, der frühere Kuschelsender, künftig lauter?

Wir kuscheln lauter (lacht). Kuscheln ist ja etwas Angenehmes, aber Sat.1 darf eben auch laut sein. Ein Volkssender wie Sat.1 muss beides bedienen. Vielleicht war Sat.1 in den vergangenen Jahren zu leise und hat sich eher weggeduckt, während RTL und ProSieben laut getönt haben. Da kann Sat.1 mittlerweile selbstbewusster auftreten – und das dann mit erfolgreichen, guten Programmen untermauern. Welches große Potential in dem Sender steckt, sah man bei einem Event-Film wie „Die Hebamme“ mit insgesamt mehr als fünf Millionen Zuschauern. „Promi Big Brother“ hatte zum Auftakt letztes Jahr weit über 20 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Wenn wir bei Sat.1 die richtigen Impulse auslösen, ist das Publikum da. Das soll uns auch mit der angekündigten Show-Offensive gelingen. Sat.1 muss beim Marktanteil wieder in die Zweistelligkeit zurück.