An diesem Freitag geht die erste Drama-Serie von Amazon online: "Bosch" erzählt in zehn Folgen eine Kriminalstory basierend auf der erfolgreichen Buchreihe rund um den Polizisten Harry Bosch, die Michael Connelly in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem der erfolgreichsten Autoren der USA gemacht hat. Diese Fangemeinde soll der Serie helfen, in der Titus Welliver die Hauptrolle des Harry Bosch spielt. Produziert wird die Serie von Amazon Studios und Fabrik Entertainment. Letztere ist eine Tochter von Red Arrow Entertainment, dem Produktionsarm der Unterföhringer ProSiebenSat.1 Media AG. Trotzdem gibt es zum weltweiten Launch, anders als bei Wettbewerber Netflix, noch keine lokalisierten Versionen. Vorerst also liegt die Serie nur in englisch vor. Eine synchronisierte Fassung soll im Sommer folgen.

Zum Launch der Serie hat Amazon in Los Angeles und London zwei Premieren gefeiert. In der britischen Haupstadt nutzten wir die Gelegenheit zu einem Austausch mit Harry Bosch-Autor und Produzent Michael Connelly. Im Konferenzbereich des Courthouse Hotel in Soho wurden Connelly, vormittags erst aus den USA gelandet, die Journalisten im Viertelstunden-Takt vorgesetzt. Er wirkt erschöpft. Aber stolz auf seine Serie. Die wiederum ist, so weit es sich nach Vorab-Sichtung von vier Folgen sagen lässt, gute Krimikost, die sich leider zu oft in Stereotypen verliert. Wer darüber hinweg sehen kann, dass Harry Bosch ein mit persönlichen Problemen und dunkler Vergangenheit aufgeladener Charakter ist, wird in den horizontal erzählten Kriminalfall eintauchen und sich einer stimmigen Atmosphäre erfreuen können.

Michael, als Schriftsteller legt man in der Regel erst sein komplettes Werk dem Publikum vor. Bei Amazon wurde der „Bosch“-Pilot dem Publikum im vergangenen Jahr zur Abstimmung gegeben. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe das als sehr hilfreich empfunden. Die Serie kam zustande, weil meine Bücher über all die Jahre schon eine so große Fangemeinde erreicht haben. Daher wusste ich zwei Dinge: Es ist Feedback von Menschen, denen ich sehr dankbar bin. Und Feedback von Menschen, denen Harry Bosch so viel bedeutet wie mir. Ich war ja in alles involviert und wusste, dass wir - auch mit Titus Welliver in der Hauptrolle - den bestmöglichen Piloten vorgelegt haben. Deswegen hatte ich keinerlei Sorgen die Folge zur Bewertung online zu stellen.

Sorgen waren ja offenbar auch unbegründet - „Bosch“ ist die erste einstündige Drama-Serie, die Amazon in eine ganze Staffel geschickt hat.

Richtig. Mir gefällt dieser Weg auch deutlich besser als die traditionelle Methode, in der nur einige wenige Menschen mit ihren Launen und persönlichen Sympathien sowie Antipathien hinter verschlossenen Türen über die Zukunft der Show entscheiden. Die meisten Menschen in der Branche kennen das nur so und auch bei uns im Team gab es Menschen, denen das Vorgehen von Amazon ein bisschen unheimlich war. Mir nicht.

Und wie geht man als Autor mit einer Vision für seine Charaktere und Geschichten nun mit Ratschlägen von außen um? Lässt man die einfließen oder gehört es zur kreativen Freiheit sich davon nicht beeindrucken zu lassen?

Wir haben in einem Monat weit mehr als 12.000 Reviews für den „Bosch“-Piloten bekommen. Wir haben uns intensiv damit befasst. Ich habe für mich zum Beispiel entschieden, dass ich all die 5-Sterne-Reviews und die 1-Sterne-Verrisse nicht lesen will - aber alle dazwischen. All diejenigen also denen irgendwas an der Serie gefallen hat, aber offenbar noch etwas fehlt. Da waren sehr schlüssige Hinweise und Bemerkungen dabei von Menschen, die die Serie mit den Harry Bosch-Büchern verglichen haben. Als Buch-Autor lässt man ja seinen Lesern die Fantasie, sich eigene Bilder von Charakteren zu machen. In vielen Reviews konnte ich also mal abgleichen, welche Eindrücke von Harry Bosch die Leser nach all den Romanen haben. Das war höchstspannend.

Können Sie konkrete Beispiele nennen? Gib es Details, die man basierend auf dem Feedback in der Produktion der Staffel geändert hat?

(überlegt) Zwei Dinge fallen mir ein. Im Piloten von „Bosch“ rauchte Harry noch die ganze Zeit, was den ursprünglichen Schilderungen aus meinen früheren Büchern gerecht wird. Aber die sind teilweise 20 Jahren alt und in einer anderen Zeit verankert. In den späteren Büchern hat Harry das Rauchen aufgegeben, so dass das einige Fans bei der ersten Folge irritierte. Und dann gab es Kritik an seiner etwas gestelzten Ausdrucksweise. Auch das haben wir dann für die Serie ein bisschen reduziert.

Sie sagten gerade, dass sich viele Fans basierend auf den Büchern ja über all die Jahre ein eigenes Bild von Harry Bosch gemacht haben. Hatten Sie je die Sorge, dass eine TV-Serie diesbezüglich auch viel kaputt machen könnte - wenn Sie plötzlich genau definieren, wie Harry Bosch aussieht?

Ich beschreibe Harry Bosch in den Büchern gar nicht so detailliert. Es gibt bislang 19 Bücher, in denen sich zusammengenommen vielleicht drei Seiten der Beschreibung von Harry widmen. Aber er sieht auf jeden Fall anders aus als Titus. Er hat einen Schnurrbart und ich erinnere mich geschrieben zu haben, dass er sehr dunkle Augen hat und Titus’ Augen sind blau. Aber das sind physische Eigenschaften. Wichtiger war mir, dass Titus den Charakter und das Wesen von Harry Bosch perfekt verkörpert. Und das war mir in dem Moment klar als Titus bei uns vorsprach.

Und es gab keine Sorge, dass man die Fantasie der Leserschaft verspielt?

Natürlich haben wir bei der Serie mit etwas gespielt, was den Fans der Bücher heilig ist. Aber ich habe früh für mich akzeptiert, dass die Serie in gewisser Hinsicht eine eigenständige Interpretation von Harry Bosch sind - weil es mir genauso geht wie den Fans: Die Buchreihe ist mir heilig. Ich bin heute aus Los Angeles nach London geflogen und habe im Flugzeug am nächsten Harry Bosch-Buch geschrieben. Dabei hatte ich nicht Titus Welliver im Kopf. Ich habe den Kerl im Sinn, den ich vor 25 Jahren erschaffen habe. Was ich sagen will: Ich verstehe in gewisser Weise, wenn es Fans der Bücher gibt, die sich ihr Bild bewahren wollen und die Serie nicht gucken. Aber ich denke Ihnen entgeht eine verdammt gute Fernsehserie, die auf leicht andere Weise die gleiche Geschichte erzählt.

Sie sprachen gerade über Ihre Beschreibung des Harry Bosch. Erinnern Sie sich an alle Details oder haben Sie eine Formatbibel angelegt?

Ich denke ich habe ein Ego, dass groß genug ist, sich einzureden, dass ich keine Format-Bibel brauche. Ich schreibe seit über 20 Jahren über Harry Bosch - aber das hab ich mir am Anfang ja nicht denken können. Deswegen kam ich gar nicht auf die Idee, mir da eine Bibel zuzulegen. Aber ich habe heute alle meine Bücher auf einem Kindle und kann ja über die Wörtersuche gut recherchieren, was ich mal über ihn geschrieben habe.

Was mich an der Serie überrascht hat, ist das Portrait der Stadt Los Angeles. Weit weniger Coolness als üblich. Und „Bosch“ ist wohl die erste TV-Show in der man die U-Bahn der Stadt sieht.

(lacht) Gut beobachtet. Es war eines unserer Anliegen. Wir wollten ein echtes Los Angeles zeigen und nicht das, was so oft glorifiziert wird. Schön, dass das tatsächlich auffällt. Und ja, die Stadt der Autos hat tatsächlich eine U-Bahn.

Wie fühlt es sich an, wenn jetzt all die Arbeit an der Serie - die schon vor der Beteiligung von Amazon lange geplant wurde - mit dem Online-Stellen aller Folgen vorerst endet?

Ja, man könnte sagen, die Serie ist seit 20 Jahren in der Mache und jetzt sind wir mit der Staffel fertig. Es ist schon surreal: Ich habe einen Großteil des vergangenen Jahres an Sets verbracht - und jetzt geht es wieder zurück in mein Zimmer, wo ich erstmal wieder alleine an meinen Büchern arbeite. Das ist natürlich weniger aufregend. Aber ich tue es mit dem guten Gefühl, dass wir eine Serie erschaffen haben, die den Büchern und dem Charakter des Harry Bosch gerecht wird. Titus Welliver hat da wirklich den Vogel abgeschossen.

Und niemand wird Sie am nächsten Morgen anrufen, um die Quoten zu kommentieren. Darüber freuen sich alle, die für SVoD-Dienste Serien produzieren. Auf der anderen Seite stellen Sie jetzt alle Folgen online - und das wars. Im linearen Fernsehen gibt es Woche für Woche Aufmerksamkeit für ein Programm.

So ist die neue Welt. Für mich persönlich entspricht diese Veröffentlichung meinem TV-Konsum. Ich bin ein Binge-Watcher. Ich will Serien schauen, wann ich will und nicht wann ein Sender es mir vorgibt. Keine Quoten zu bekommen, ist kein Verlust. So oder so bekommen Sie immer Anrufe vom Sender. Egal wie die Quote ist, wird einem am nächsten Morgen erzählt alles sei fantastisch - selbst wenn es nicht so ist. Bei Amazon bekommen wir das Urteil des Mannes von der Straße. Sie können ihre Kritiken direkt bei Amazon veröffentlichen und mich via Social Media erreichen. Ich mache mir da keine Sorgen: An Feedback wird es nicht mangeln. Und ultimativ ist das Ziel, dass Amazon basierend darauf eine zweite Staffel bestellt. Eins steht jetzt schon fest: Wir sind das Nr.1 Drama bei Amazon, wie ich oft sage. Weil wir das einzige sind. (lacht) Aber den Nachsatz lasse ich gerne weg.

Michael, herzlichen Dank für das Gespräch.