Es war ein sonnig warmer Tag im vergangenen September. Im Bryant Park, jener kleinen grünen Lunge im Herzen von Midtown Manhattan drehte Sony Pictures Television an diesem Tag die fünfte Folge der dritten Staffel von „The Blacklist“. Was woanders aufregend wäre, juckt eine Stadt wie New York nicht. Hier lässt sich auch nichts absperren. Gedreht wurde mitten im gewollten Gewusel von Manhattan. Unter den Schaulustigen waren an diesem Tag zusätzlich noch zwanzig Journalisten aus aller Welt: Setvisit bei „The Blacklist“.

Wenig später dann - versteckt im Hinterraum der nahegelegenen Bäckerei Maison Kayser kurz vor deren Küche - stand James Spader Rede und Antwort. Das wurde immer wieder unterbrochen vom Lärm der Bäckerei, doch Spader störte das nicht. Er unterbrach einfach und setzte seine Antworten unkommentiert fort, wenn es wieder leiser wurde.

Herr Spader, kann man die dritte Staffel von „The Blacklist“ als Reboot der Serie bezeichnen?

Nun, die zweite Staffel endete mit Elizabeth Keen und Raymond Reddington auf der Flucht. Wir drehen gerade Episode 3.05 und noch ist offen, wie das ausgehen wird. Die dritte Staffel „The Blacklist“ ist also definitiv anders.

Diese Wandlung der Serie kommt überraschend. Network-Serien würde man unterstellen, dass sie ihr Erfolgsrezept doch lieber beibehalten und melken so lange es geht.

Ich hatte immer schon den Eindruck, dass sich „Blacklist“ in unendlich viele Richtungen entwickeln könnte und diese dritte Staffel vergrößert den Horizont der Serie noch einmal gewaltig. Das finde ich aufregend. Ich mag es sehr, wenn man überrascht wird - als Zuschauer wie auch als Schauspieler. Besonders wenn man eine Network-Serie mit 22 Episoden im Jahr dreht, braucht es Überraschungen, die die Neugier hochhalten und das über Strecke. Ich bin sehr glücklich mit Staffel 3 von „Blacklist“.

Die neue Staffel ist weitaus horizontaler erzählt als bislang.

In der ersten Staffel haben der Sender und das Studio sehr auf die Balance zwischen Fall der Woche und der durchgehenden Rahmenhandlung geachtet. Vielleicht mit einem etwas größeren Fokus auf dem Blacklister der Woche. Der Grund dafür ist ganz pragmatisch: So gewinnt man mehr Zuschauer für die Serie, die auf diesem Wege leichter reinkommen. Das macht Sinn, wenn man ein Publikum aufbauen möchte. Jetzt sind wir in Staffel 3 und haben uns seit dem Start von „Blacklist“ Schritt für Schritt hin zur horizontal erzählten Serie entwickelt. Ich glaube wir verklären „Boston Legal“ da auch ein wenig: Die durchgehende Story der Serie bestand letztlich aus der Beziehung zwischen Alan Shore und Danny Crane. Die hat sich entwickelt, aber „Boston Legal“ war nicht komplex. Spätestens mit der dritten Staffel wird deutlich, wie komplex „The Blacklist“ dagegen ist. Und da muss man wiederum auch schon wieder vorsichtig sein. Komplexität kann auch überwältigend sein. Da muss man aufpassen, dass das Publikum an Bord bleibt.

Das Feuilleton liebt besonders die abgeschlossenen Miniserien. Sie fühlen sich hingegen sichtlich wohl bei Network-Serien.

Ich mag - vielleicht weil ich in Bezug auf die Arbeit ein kleiner Masochist bin… (überlegt)… nein, ich bin definitiv ein Masochist in dieser Hinsicht - die Idee, dass ein Ende nicht absehbar ist. Schickt mich auf eine unendliche Reise und sagt mir nicht, wo genau es hingeht. Und selbst wenn man die grobe Richtung kennt, will ich auf dem Weg überrascht werden. Aus Zuschauersicht gilt das für jede gute Serie. Als Schauspieler macht das für mich den besonderen Reiz an einer Network-Serie aus, bei der man an Bord kommt ohne schon genau zu wissen wohin die Reise gehen wird.

Macht das auch den Reiz einer Serie gegenüber einem Film aus?

An einem Film zu arbeiten und eine Serie zu drehen sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Das Schöne an einem Film ist, dass man das Gefühl hat, am Ende einen Kreis zu schließen und etwas zu einem Abschluss zu bringen. Ein Werk ist vollendet. Und dann gibt es Fernsehserien, an denen eben genau das Gegenteil so reizvoll ist. Das Ende der Straße, auf der man reist, ist meist nicht einmal absehbar. Nicht einmal am fernen Horizont (überlegt) Gut, es gibt sogar noch etwas dazwischen, wenn ich an kurze britische Serien und einige der neueren Produktionen aus den USA denke. Da ist das Ende zwar wie beim Film oft schon am Anfang erkennbar - aber eben weiter entfernt als bei einem Film.

Wie spielt man als Schauspieler eine Rolle, deren Entwicklung man nur sehr begrenzt absehen kann; eine Rolle, die einem anders als beim Film nicht im Vorfeld komplett offengelegt wird.

(Überlegt) Zwischen wissen und fühlen liegt ja auch nochmal ein Unterschied. Die Frage ist aber sehr interessant. Man dreht die ersten Folgen einer Staffel definitiv anders als nach dem Midseason Break. Wir bekommen natürlich schon vor den Dreharbeiten der ersten Folge von den Autoren einen Eindruck davon, wohin eine Staffel gehen soll. Man lebt sich als Schauspieler dann zunächst einmal ein in der Wohnung, die einem die Autoren einrichten. Beim Dreh der zweiten Hälfte einer Staffel - bei Network-Serien also meist ab dem späten Herbst - fühlt man sich darin dann weit mehr zuhause.

Wenn man auf Ihre Karriere schaut…

(seufzt)

Ja?

Ich habe nie irgendein Gespür für Karriere gehabt. In der Beziehung war ich immer ganz schlecht im Planen und reflektiere auch ungern, was ich wann warum getan habe.

The Blacklist© Sony Pictures Television

Ich wollte wissen, was Raymond Reddington mit Alan Shore bzw. die beiden Serien verbindet…

Vielleicht kann ich die Frage am Besten mit einem Blick auf das beantworten, worauf ich bei der Auswahl meiner Rollen achte. Ich hatte bei meiner letzten Fernsehserie schon das Glück, eine Rolle zu spielen die sehr schwer zu beschreiben war und auch die Tonalität der Serie hat sich permanent verschoben. „Boston Legal“ war lustig, manchmal regelrecht albern aber dann auch sehr ernste, relevante Momente. Manchmal sogar all das gleichzeitig. Das hat mir an der Serie und Alan Shore gefallen. Ich glaube ich wäre nicht glücklich, wenn ich über die Langstrecke ein reines Drama drehen würde. Und als ich nach einer neuen Fernsehserie Ausschau gehalten habe, habe ich wieder eine Serie gesucht, die mich in Bezug auf Story, Tenor und Charakterentwicklung in alle möglichen Richtungen führen könnte. Und „The Blacklist“ erfüllte all diese Kriterien. Die Serie ist manchmal witzig, manchmal dramatisch und manchmal unglaublich rasant und voller Action. Und dann wieder sehr ruhig und strategisch.

Es gibt Menschen, die verfolgen eine Karriere wie die ihre von Anfang an. Und dann kommt irgendwann die nächste Generation hinzu, die durch eine Rolle bzw. eine Serie einen Schauspieler für sich entdeckt. Ist das bei „The Blacklist“ und Ihnen der Fall?

Ach, das hat mit „The Office“ angefangen. Ich hab da ein Jahr mitgemacht und plötzlich änderte sich die Demografie der Menschen, die mich auf der Straße angesprochen haben (lacht) Wenn man aber mal Filme gedreht hat, die immer andere Zielgruppen ansprechen, ist man gewohnt, nicht sicher sein zu können, wer einen wofür kennt. „The Blacklist“ hat interessanterweise keine klare Demografie. Es gibt keine Altersgruppe und zielt auch nicht z.B. auf gewisse Berufsgruppen an. „Boston Legal“ hatte da ein klarer definiertes, älteres Publikum.

Sie haben das Fernsehen für sich entdeckt lange bevor es cool wurde, in einer Serie mitzuspielen.

Ach, das klingt jetzt wieder so geplant. Ich bin im letzten Jahr von „The Practice“ dazu gestoßen und habe das einfach mal ausprobiert. Bei „Boston Legal“ hieß es dann auch: „Mach doch jetzt einfach mal für ein Jahr mit.“ Daraus ist dann halt ein bisschen mehr geworden. Und so kam dann eins zum anderen. Ich mag einfach interessantere Charaktere. Die gibt es im Film, in Serie und auf der Bühne.

„The Blacklist“ ist eine dieser Serien bei der ich mich frage, ob sie anders aussehen oder gar existieren würden, wenn es die Anschläge vom 11. September 2001 nicht gegeben hätte. Krimiserien gab es immer schon, aber die Faszination der Eskalation und Beschäftigung mit Terror und Terroristen hat zugenommen.

Ohne in irgendeiner Weise die Anschläge vom 11. September 2001 und ihre Auswirkungen auf New York, die Vereinigten Staaten und letztlich den Rest der Welt relativieren zu wollen, so glaube ich, dass wir eine solche Eskalation von Gewalt früher oder später erlebt hätten. Unsere Welt ist kleiner und gleichzeitig größer geworden. Kleiner, weil Kommunikation schneller und umfassender geworden ist. Und größer, weil wir uns auf diesem Wege mit mehr Meinungen und Haltungen konfrontiert sehen. Wenn man sich dieses Bild nur mal durch den Kopf gehen lässt - also eine Welt die gleichzeitig kleiner und größer wird, dann wird offensichtlich, dass das zu Spannungen führen muss. Und das Fernsehen als Medium spiegelt diese Entwicklung auch in seinen fiktionalen Geschichten.

„The Blacklist“ spielt in dem Zuge auch mit dem allgemeinen Misstrauen in Behörden und Regierung. Das passt durchaus zum aktuellen Zeitgeist.

Ja, wir spielen mit dieser Stimmung, aber es gibt ganz andere Serien die sich erfolgreich an sehr aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen abarbeiten. Mit denen wollen wir nicht konkurrieren. „The Blacklist“ ist quasi ein Paralleluniversum, das gerade noch genug Realität in sich hat, um glaubhaft und schlüssig zu sein.

Vor zwanzig Jahren hätte Raymond Reddington vermutlich das Böse und die Polizei bzw. Staatsgewalt das Gute repräsentiert. Da waren die Sympathien klarer verteilt. In einer TV-Serie aus den 90ern wäre Reddington doch der Bösewicht.

Raymond ist und bleibt ein Bad Guy. Machen Sie sich da keine Illusionen (lacht)

Aber einer, mit dem man immer wieder durchaus sympathisieren kann. Herr Spader, herzlichen Dank für das Gespräch.