Könnte ich dann den Fiction-Chef von RTL zu der Aussage verleiten, dass er froh wäre, wenn ProSiebenSat.1 auch wieder mehr Serien produzieren würde, weil das den gesamten Markt auch für die Kreativen beleben könnte?
 
Warum nicht? (lacht) Ich kenne das Haus ja aus der Vergangenheit recht gut und schätze die Kollegen dort sehr. Auch dort haben einige schöne Produktionen zu Unrecht eine schlechtere Quote bekommen als sie es verdient gehabt hätten. Das ist manchmal die Grausamkeit des Marktes. Es wurden ja jetzt auch dort einige Projekte angekündigt, ich bleibe neugierig gespannt.


 
Sprechen wir kurz über die Grausamkeit der Quote. Ab welchen Reichweiten würden Sie denn in Betracht ziehen, eine Serie zu verlängern? Was wäre da so das Level Ihrer Erwartungen?
 
Wir haben sogar bei Sitcoms, die unter Senderdurchschnitt gelaufen sind, über eine Fortsetzung nachgedacht. Es hängt ja auch immer davon ab, was für eine Kurve die Serie über eine Staffel erzielt. Also steigend oder sinkend. Der Durchschnitt allein ist da noch nicht aussagekräftig genug. Dazu kommt dann das Bauchgefühl: Glaubt man, dass man an der Serie arbeiten kann? Grundsätzlich aber ist klar: Jede neue Produktion sollte den Senderschnitt heben, also über ihm liegen. Das ist das Minimum.
 
Wie viele der neuen Serien dürfen eigentlich ein Erfolg werden? Ich frage mal so lustig, weil ja Budgets begrenzt sind. Mit wie vielen Serienfortsetzungen würden Sie gerne aus der neuen Saison herauskommen?
 
Es wäre völlig vermessen zu glauben, dass all unsere Serien 100% funktionieren werden. Im Frühjahr war eine von drei Sitcoms richtig erfolgreich – und die beiden anderen sind nicht wirklich gescheitert. Auch die haben sich gut geschlagen, gegen die harte Konkurrenz von ‚Topmodel‘. Wir haben uns aber letztlich entschieden, lieber auf die kommende Warner Bros.-Produktion „Beste Schwestern“ und andere neue Ideen zu setzen. Mit der Sitcom-„Ausbeute“ bin ich zufrieden. Eine solche Erfolgsquote für unsere neuen Serien wäre schön. Und die nächsten Serienentwicklungen stehen ja auch schon in den Startlöchern.
 
Und dann holt eine längst abgesetzte Serie erstaunlich gute Quoten wie „Sekretärinnen“ vor einigen Wochen. Die Quote kann manchmal verblüffen.
 
Das waren in zweiter Wiederholung wirklich sensationelle Einschaltquoten. Im vergangenen Jahr hat uns bei der „Doctor’s Diary“-Wiederholung auch Feedback erreicht, wo über diese „neue“ RTL-Serie geschwärmt wurde. Das ist ja auch ganz logisch: Selbst wenn eine Serie durch die Decke geht und 20 Prozent Marktanteil holen sollte, dann gibt es immer noch eine Mehrheit des Fernsehpublikums, die sie nicht gesehen haben. Und nicht alle davon finden das Genre uninteressant. Manche hatten nur einfach keine Zeit. Die entdecken Serien dann beim zweiten oder dritten Mal. „Der Lehrer“ hat sehr von späten Entdeckern profitiert. Das freut mich sehr.

Weil es eine Ihrer ersten Entscheidungen war, die Serie fort zu führen?
 
Ja, als ich 2014 hier angefangen habe, war eine der ersten Entscheidungen, die zu treffen war, die bezüglich des „Lehrer“. Machen wir weiter? Ja, wir machen weiter. Aber nicht hinter „Alarm für Cobra 11“ sondern um 20.15 Uhr. Das ist eine Familienserie und 21.15 Uhr ist dafür zu spät, da müssen die Kids schon ins Bett. Und eine weitere Frage war, ob man an dem Format nochmal arbeitet und es weiterentwickelt. Auch das haben wir gemeinsam mit der Sony gemacht.
 
Sie sind seit 2014 verantwortlich für die deutsche Fiction bei RTL. Erst im Jahr 2017 fährt man die Ernte ein. Das kostet Durchhaltevermögen.
 
Ja, es strapaziert die Geduld total. Die Fiction braucht ihre Zeit, und ich bin eigentlich ein sehr ungeduldiger Mensch. Wir sehen jetzt die Ergebnisse von Bemühungen, die eigentlich schon 2014 begonnen haben. Damals haben wir uns gefragt: Was wollen wir neu machen, wie wollen wir etwas neu machen in der Fiktion bei RTL.

"Den Reiz von fantastischem Eskapismus mit eigenen Welten sehe ich auch, aber ich glaube wir verlassen da dann schnell den Massengeschmack."

Was wollten Sie denn neu machen?
 
Eine der ersten Ideen war, das Genre der deutschen Sitcom aufleben zu lassen. Dabei haben wir - das war neu - auch direkt die Kreativen, die Autoren angesprochen. Einige Produzenten haben verwundert geguckt. Wir waren da durchaus disruptiv, aber ich glaube es ist eine Zeit- und Risikoersparnis auf allen Seiten gewesen, da die deutsche Sitcom zu diesem Zeitpunkt quasi tot war.
 
Müssen Serien eigentlich immer nah an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer bleiben? Es wirkt manchmal so. Wirklich ungewöhnliche deutsche Serien außerhalb des Hier & Jetzt erlebt man selten.
 
Ich finde nicht, dass wir immer nah an der Lebenswirklichkeit unserer Zuschauer bleiben müssen. Eskapismus ist auch toll, aber es muss nachvollziehbar sein. An dem Punkt will ich auch sagen: Wir müssen uns immer wieder unserer Kernaufgabe vergewissern - und das ist Unterhaltung für ein möglichst großes Publikum. Wenn ich das sehr theoretisch übersetze auf Serienstoffe, dann sehe ich uns eher zuständig für die Utopie als die Dystopie. Und dabei wiederum jene, die einen leichten Zugang bieten und nah am Leben sind. Den Reiz von fantastischem Eskapismus mit eigenen Welten sehe ich auch, aber ich glaube wir verlassen da dann schnell den Massengeschmack.
 
Aber wenn eine Zombie-Serie zur - nach absoluten Zahlen - erfolgreichsten Serie der USA werden kann, dann frage ich mich, ob man wirklich sagen kann: Extravagante oder fantastische Storys sind kein Massengeschmack…
 
Im Zweifel kann jede Geschichte ein Massenpublikum finden, wenn man den richtigen emotionalen Zugang findet. Aber es ist schwierig, den TV-Geschmack in den USA mit Deutschland zu vergleichen, allein demografisch. In den USA gibt es weit mehr jüngeres Publikum. Mit einer ungewöhnlichen Serie also erst einmal durchzudringen ist einfacher, weil die Bereitschaft für Andersartiges größer ist.
 
Herr Steffens, herzlichen Dank für das Gespräch.