Wenn Sie sagen, dass Solitäre oftmals nicht funktioniert haben, dann gibt es dafür gute Beispiele. Aber „Club der roten Bänder“ bei Vox hat bewiesen, dass es auch eigenständig geht. Vertraut RTL zu oft darauf, dass der eigene Publikumskreis schon einschalten wird und vergisst, Zuschauer darüber hinaus zu aktivieren? So wirkte es ja auch bei „Deutschland 83“.
 
Natürlich hatten wir uns bei „Deutschland 83“ erhofft, additives Publikum für uns zu gewinnen. Und wie wir gesehen haben, ist das eine große Herausforderung. Wie bekommt man Publikum, das bei anderen Sendern zuhause ist, für besondere Programme zu sich herüber. Aber wenn ich mir „Der Lehrer“ anschaue, dann ist es uns dort zum Beispiel gelungen, von Jahr zu Jahr Zuschauer hinzuzugewinnen. Und das in einem Markt, der immer härter umkämpft ist. Das führt natürlich zu der interessanten Fragestellung: Muss man den neuen Serien auch mehr Zeit geben?
 
Und wie lautet Ihr Urteil?
 
Ja, wir brauchen mehr Geduld. Es dauert in der heutigen Zeit, bis eine neue Serie überhaupt erstmal Awareness bekommt. Genau aus diesem Grund haben wir längere Staffeln produziert. Also zehn Folgen statt nur sechs. So können Serien überhaupt erst gefunden werden. Deswegen machen wir auch keine Backdoor-Piloten mehr. Der Aufwand rechnet sich nicht und die Quote eines Abends gibt zu wenig Aufschlüsse. Oder es läuft sogar noch irgendein Sonderprogramm dagegen und die Aussagekraft ist gänzlich dahin. Zuschauerbindung entsteht so nicht. Das Publikum wird sich kaum anderthalb Jahre später daran erinnern, dass Serie X aus Film Y entstanden ist.


 
Klingt sehr klug. Dann müssen die Serien die Chancen nur nutzen.
 
Aus meiner Erfahrung heraus liegt immer alle Aufmerksamkeit auf Folge 1. Da feuern Marketing und Presse ein Feuerwerk ab. Dann geht’s abwärts bei Folge 2, Tiefpunkt oft bei Folge 3. Und ab dann müsste bei einer guten Serie die Mundpropaganda einsetzen und sich auch in den Quoten bemerkbar machen.
 
Alle Serien, die sie für die kommende Saison vorgestellt haben, haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie erzählen alle eine Fish-out-of-the-Water-Story und sind alle auf eine Hauptfigur ausgerichtet. Ist das die neue RTL-Formel?
 
Ich glaube schon, dass es - auch in der Vermarktung - deutlich einfacher ist, eine Person in den Vordergrund zu stellen. Es erleichtert den Einstieg in eine Story bzw. Welt, wenn die Zuschauer dies zusammen mit einer zentralen Figur tun können. Gleichzeitig muss man dazu sagen: Wir haben ganz, ganz starke Nebenfiguren und das Tolle an einer Serie ist ja, dass man über eine ganze Staffel auch die Nebenfiguren erzählen kann. Und wenn man in weitere Staffeln geht, hat man viele eingeführte Charaktere, die dann mehr Raum bekommen können.
 
Zieht man dann den Hut vor einer Serie wie „This is us“ in den USA? Wo man das Risiko eines Ensemble statt einer Hauptfigur eingeht?
 
Ich find die Serie ganz toll und war beeindruckt, als ich die Pilotfolge gesehen habe. Ich glaube, dass wir theoretisch auch so erzählen könnten. Das ist eine Frage der emotionalen Touchpoints. Bei „This is us“ ist einfach alles zusammengekommen und hat auf ganz vielen Ebenen berührt. Die Serie folgt übrigens dem aktuellen Megatrend Familie. Das können wir auch bei uns runterbrechen auf Serien wie unsere Sitcom „Magda“. Sie ist auf ihre Weise auch eine Familienserie. In einer unsicheren Zeit liefern solche Geschichten ein Gefühl von Vertrautheit, Sicherheit und Orientierung. Wir haben dafür momentan den besten Sender-Claim im deutschen Fernsehen: „Willkommen zuhause“
 
Aber warum haben wir dann nicht so eine Familienserie wie „This is us“? Das fehlt doch gerade bei uns.

Ganz ehrlich: Ich wünsche mir auch so eine Familienserie. Aber es ist gar nicht so einfach, die zu finden – „This is us“ ist nicht gerade ein Erfolg in Deutschland.

"Die besten Autoren können nur entstehen, wenn sie über genügend Praxis verfügen. Deswegen ist unsere Fiction-Offensive jetzt auch ein Treiber für eine größere Nachfrage an Autoren."

Dabei hat RTL doch viel Erfahrung mit täglichen Serien, die Familienserien in gewisser Weise sehr nahe kommen, weil man sich auch dort immer um die gleichen Charaktere dreht…
 
Ich verstehe, was sie meinen. Aber wir haben noch nicht den kreativen Output wie der US-Markt. Wir haben eine Autoren-Knappheit gerade. In den USA gibt es eine lange Tradition der Fernsehautoren, da gibt es auch Vorbilder für eine neue Generation von Autoren. Da würde ich gerne einmal hin. Wir haben in Deutschland viele junge kreative Köpfe, aber die können beim horizontalen Erzählen noch nicht an viele Vorbilder des modernen seriellen Erzählens anknüpfen. Da gibt es einen Bora Dagtekin als Galionsfigur. Der steht aber ziemlich alleine. Das entsteht gerade erst, auch durch inzwischen geschaffene Ausbildungen und Förderungen.
 
Und ausgerechnet Bora Dagtekin hat dem Fernsehen den Rücken gekehrt…
 
Wer zwei Serien schreibt, für beide Serien mit Preisen überhäuft wird, der soll auch gerne mal Kinofilme machen.
 
Er hat das Fernsehen sozusagen erfolgreich durchgespielt.
 
Vielleicht kommt er ja auch mal wieder zurück ins Fernsehen, wer weiß? Aber nochmal zur Förderung. Wer heute in Deutschland Autor ist, der muss gucken, wo die Nachfrage ist, wenn er nicht kellnern gehen will. Man muss irgendwo unterkommen, wo großer Bedarf ist und der größte Bedarf ist bei den Soaps oder all den Krimiserien der Öffentlich-Rechtlichen. Die besten Autoren können nur entstehen, wenn sie über genügend Praxis verfügen. Deswegen ist unsere Fiction-Offensive jetzt auch ein Treiber für eine größere Nachfrage an Autoren. Wir haben auch schon Autoren direkt von Filmhochschulen in unsere aktuellen Projekte integriert. Gerade im Bereich Sitcom sind wir dringend auf Autorennachwuchs angewiesen. Daher sind wir z.B. Partner der Sitcom-Class an der HFF Potsdam geworden, um uns da noch stärker zu engagieren. Unsere Zusammenarbeit mit den diversen Filmhochschulen sehen wir als wichtige Investition in die mittelfristige Zukunft.