Zu Ihrer Bilanz gehört auch, dass Sie für ZDF Enterprises ein recht komplexes Geflecht von Beteiligungen aufgebaut haben. Das reicht von 100-Prozent-Töchtern wie Network Movie oder doc.station bis zu Überkreuzbeteiligungen mit den ARD-Töchtern Bavaria Film und Studio Hamburg. Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Leitlinie oder lassen Sie jeden für sich wirtschaften?

Die gesamte Beteiligungsstrategie fußt auf der klaren Vorgabe, dass der ZDF-Verbund einen Nukleus an Unabhängigkeit in der inhaltlichen Versorgung benötigt. Zur richtigen Einschätzung der Lage gehört allerdings auch, dass das ZDF von allen großen Sendern – öffentlich-rechtlich wie privat – mit Abstand den geringsten Anteil seines Auftragsproduktions-Budgets an eigene Verbundfirmen vergibt...

... wobei sich unabhängige Film- und Serienproduzenten immer wieder über die Dominanz von Network Movie bei manchen ZDF-Vergaben beklagen, zuletzt etwa bei der neuen "SOKO Hamburg"...

Erstens liefert Network Movie exzellente Qualität. Es gibt wohl kaum eine Firma, die bis hin zum Erfolg in der Wiederholung so punktgenau das liefert, was der Auftraggeber haben will. Wer zudem weiß, wie sehr die ZDF-Bereiche bei ihren Entscheidungen auf Unabhängigkeit, Qualität und Erfolg beim Zuschauer achten, der weiß, dass es keine anderen Maßstäbe auch für Aufträge an Verbundfirmen gibt. Zweitens gibt es bei vielen Produzenten eine seltsame Selbsteinschätzung, wenn sie sich als "unabhängig" bezeichnen. Das sollte man nach meiner persönlichen Ansicht deshalb in Anführungszeichen setzen, wenn etliche von ihnen bekanntlich Beteiligungsfirmen großer US-Studios oder europaweiter Medienkonzerne sind und dann – sozusagen als Familienmitglieder von programmlichen, publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerbern des ZDF – ausgerechnet bei diesem auf ihr vermeintliches Recht auf Aufträge pochen. Ich sage das auch deshalb so deutlich, weil wir unsererseits der klaren Strategie folgen, dass die Töchter und Beteiligungen im Verbund inhaltlich sehr frei agieren und im Gegensatz zu anderen Verbünden keiner starken zentralen Steuerung unterstehen. Wir haben bestimmte Gewinnerwartungen und Compliance-Vorgaben, halten uns aus dem Kreativen aber in aller Regel völlig raus. Dass dann manche potenziellen Partner die Zusammenarbeit mit uns oder unseren Beteiligungen unter ausdrücklichem Hinweis auf die ZDF-Nähe ablehnen, steht auf einem anderen Blatt.

Kaum vorstellbar, dass es bei dem einen oder anderen Prestigeprojekt nicht zum Konflikt um die Vertriebsrechte kommt.

Ob Sie's glauben oder nicht: Wir lassen unseren Tochterfirmen bei der Akquise vollkommen freie Hand und würden sie niemals zwingen, Rechte an uns zu verkaufen, wenn es bessere Angebote von anderer Seite gibt. Nehmen Sie "Das Boot" von der Bavaria Fiction. Natürlich hätten wir diese Rechte äußerst gerne gehabt und haben auch dafür geboten. Es gab dann aber ein Angebot von Dritten, bekanntermaßen Sonar Entertainment, bei dem wir als Gesellschafter ganz klar sagen mussten: Nehmt das, da können wir nicht mithalten!

Ist das Beteiligungsportfolio aus Ihrer Sicht abgeschlossen oder soll ZDF Enterprises weiter wachsen?

Wir halten permanent die Augen offen, befinden uns aber nicht mehr unbedingt auf der Jagd. Wenn es spannende Unternehmen gibt, die gut in den Verbund passen und ihn komplementär ergänzen – so wie zuletzt in diesem Jahr unsere Minderheitsbeteiligung an der britischen Produktionsfirma World Media Rights – dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass meine Kollegen auch künftig über die eine oder andere gezielte Beteiligung nachdenken werden, gegebenenfalls auch im internationalen Markt oder bei digitalen Start-ups.

"Wäre 'Germany's Gold' damals nicht aufgrund von Kartell-Bedenken gescheitert, könnte die deutsche Branche heute schon viel weiter sein"

Alexander Coridaß, scheidender Geschäftsführer der ZDF Enterprises


Apropos digitale Start-ups: Wie hat das massive Erstarken globaler digitaler Player in den letzten Jahren Ihr Geschäft verändert?

Die Digitalisierung ist für unsere Branche die alles entscheidende Frage, und ich glaube, wir stehen da erst ganz am Anfang. Für uns heißt das, dass die Komplexität in vielen Bereichen ungeheuer zunimmt. Wenn wir beispielsweise Programme an Netflix verkaufen, wird erwartet, dass wir die in 20 verschiedenen Sprachen liefern – synchronisiert in Englisch, Französisch, Italienisch, untertitelt in Hindi, Urdu oder Russisch. Die Qualitätsanforderungen sind enorm hoch, beim kleinsten Fehler riskieren Sie rauszufliegen. Am Ende ist es trotzdem ein lukratives Geschäft, aber man muss immer aufpassen, dass es auch künftig lukrativ bleibt. Eine der wichtigsten strategischen Zukunftsfragen ist sicher die nach eigenen digitalen Kanälen: Wie komme ich mit meinen Inhalten direkt an den Endverbraucher, gerade auch im Ausland? Unser "Terra X"-Channel bei Amazon Prime oder auch die internationalen YouTube-Kanäle zu unseren Teenager-Serien sind da wertvolle erste Schritte. Und zum Stichwort VoD: Mir liegt es nicht so, alte Kamellen aufzuwärmen. Aber wäre "Germany's Gold" damals nicht aufgrund von Kartell-Bedenken gescheitert, könnte die deutsche Branche in der digitalen Welt heute schon viel weiter sein.

Herr Coridaß, herzlichen Dank für das Gespräch.

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