Frau Bertele, wissen Sie, was Frauen im deutschen Fernsehfilm eigentlich immer tragen, selbst wenn sie auf Bergwanderung gehen?

In unserem Film tragen sie vielfach Gummistiefel. Und in den anderen?

Hohe Hacken, egal wie unwegsam das Gelände ist.

(lacht) Jetzt, wo Sie’s sagen… In einem meiner Filme wollte die Redaktion, dass die Bäuerin bei der Arbeit Makeup trägt. Die Maskenbildnerin und ich sind fast tot umgefallen. Keine Landwirtin schminkt sich für den Kuhstall! Ich habe argumentiert, das sehe wie Plastik aus, aber wir mussten dem Wunsch schlussendlich etwas entgegenkommen.

Hat das natürliche Outfit von Inga und Anna im „Teufelsmoor“ auch damit zu tun, dass der Film ausschließlich von Frauen verantwortet ist?

Schwer zu sagen, zumal der Redakteur mit der geschminkten Bäuerin eine Redakteurin war.

Gibt es etwas wie eine weibliche Bildsprache, wenn sie eher von Frauen stammt?

Generell geht ein erheblicher Teil der Bildsprache auf die Person hinter der Kamera zurück, die in unserem Fall ein Mann war. Ich wähle meine künstlerischen Partner zwar immer nach fachlicher, ästhetischer, menschlicher Expertise aus, finde die Zusammenarbeit mit einer männlichen Kamera-Perspektive aber grundsätzlich sehr inspirierend.

Für Sie selbst oder das Publikum?

Für alle! Weil meine Sicht auf manche Phänomene eine andere ist als die eines Mannes, nehme ich manchmal eine analytische oder reflexive Position ein und gleiche meinen Blick mit dem anderer ‚Erstseher’ hinter der Kamera oder im Schneideraum ab. Dadurch kommt mehr Bewusstheit in den Entscheidungsprozess und ich kann mehrdimensionaler überlegen, welche Wirkung ich erzielen möchte. Meine Filme sind ja nicht nur für eine Hälfte der Bevölkerung. Wenn ich abgesehen von mir, der Autorin und der Produzentin alle Aufgaben an Frauen verteilte, liefe ich möglicherweise Gefahr, weniger Männer zu erreichen. Das ist aber rein hypothetisch; mir gefallen ja auch Filme, die ausschließlich von Männern gemacht sind.

Was allerdings Teil des Problems einer männlich dominierten Branche ist…

Wir bekommen die Welt im Medium Film immer noch zu einem sehr großen Teil durch die Augen von Männern gespiegelt. Wenn ich an meine eigene filmische Sozialisation in der Provinz denke, bin ich in den Achtzigern praktisch nur mit von Männern gemachten Mainstream-Filmen aufgewachsen, das war ein Marktgesetz. Einer meiner ersten im Kino hieß „Die Hard“ mit Bruce Willis. An dem war bestimmt kaum eine Frau beteiligt.

Waren Sie nach Ihrer Berufswahl dementsprechend auf der Suche nach Kolleginnen?

Frauen, die in meiner Position sichtbar und kontinuierlich in Erscheinung treten, sind bis heute in der Minderheit. Im Fernsehen genauso wie im Kino. Andererseits möchte ich in erster Linie in meiner fachlichen Kompetenz wahrgenommen werden, nicht als Frau. Kein Regisseur wird beruflich in seiner Eigenschaft als Mann betrachtet. Das nervt mich wahnsinnig.

Wahre Gleichberechtigung ist halt erst erreicht, wenn niemand über Ungleichberechtigung sprechen muss…

Umso mehr stört es mich, wenn ich für einen Stoff angefragt werde, bei dem die Produktion die Anfrage mit dem ausdrücklichen Kommentar versieht, dass sie bei dem Stoff gerne eine Frau in der Regieposition wünscht. Dabei hat meine Handschrift doch nicht primär etwas mit meinem Geschlecht zu tun, sondern mit meinem beruflichen Werdegang.

Hilft es da, dass die Branche mit Regina Ziegler, Gabriela Sperl oder Ariane Krampe längst mächtige Produzentinnen hat?

Vermutlich schon. Mit Ariane habe ich bereits drei Filme nach Büchern von Hannah Hollinger gemacht. Aber diese Konstellation gibt es mittlerweile so oft, dass sie keiner thematisiert hat. Worüber ich übrigens sehr froh war.

Bis auf „Die 4. Gewalt“ stammen all ihre Filme von Autorinnen. Ist das Zufall?

Nein. Als Regisseurin kriege ich mehr Bücher von Frauen angeboten. Leider. Denn es sind oft Familiendramen, Geschichten mit psychologischem Fokus. Dieses heteronormative Schleppnetz vermeintlicher Frauenstoffe langweilt mich zu Tode. Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gerne mal einen Action-Thriller drehen, aber weil der im Zweifel aus einer männlichen Feder stammt, wird er einem Regisseur angeboten. Das System dahinter ist so unfassbar bieder.