Konnten Sie eigentlich schon vor ein paar Jahren anhand der Reaktionen Ihres Publikums erahnen, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickeln würde? Oder sind diese sogenannten Wutbürger Menschen, die gar nicht erst zu Ihren Auftritten kommen?

Becker: Doch, die kommen und schauen sich das an. Und die schreiben auch.

Schmickler: Das reicht vom gemäßigten Wähler, der aus obskuren Ängsten heraus bei der AfD gelandet ist, bis zu den ganz Harten, die einem die Eier ins Maul stecken wollen und die Frau gleich mit bedrohen. In der Regel antworte ich dann: "Sie haben ja recht, aber vergreifen Sie sich nicht im Ton – und außerdem fehlt da ein Komma."

Becker: In solchen Fällen kann man immer sagen: "Es ist richtig, was Sie sagen, aber es trifft hier nicht zu."

Schmickler: Das sind doch arme Würstchen! Wer sich abends dahinsetzt und nix Besseres zu tun hat, als Hassmails zu schreiben, braucht Hilfe und sollte in Therapie. Der wird in dieser Gesellschaft nie Einfluss nehmen. Mag sein, dass er kurzzeitig eine Echokammer beschallen kann, aber langfristig ist der doch bloß zu bedauern.

Becker: Aber natürlich haben Sie Recht. Man entwickelt im Laufe der Jahre ein ganz gutes Radar dafür, welche Themen die Gesellschaft bewegen.

Schmickler: Ich selbst sehe die "Mitternachtsspitzen" daher auch immer als eine Art Debattierclub. Wenn wir uns zur Besprechung treffen, sitzen wir in der Regel erst mal eine halbe Stunde mit dem Produzenten, dem Regisseur und dem Redakteur zusammen, um uns über die großen Themen auszutauschen. Da geht es gar nicht so sehr darum, was wir in der Sendung machen, sondern darum, verschiedene Meinungen und Positionen wahrzunehmen.

"Eigentlich sind wir harmoniesüchtige Gutmenschen."
Jürgen Becker

Können Sie sich richtig streiten?

Becker: Es gibt Meinungsverschiedenheiten, aber Streit würde ich das nicht nennen.

Schmickler: Man muss die Grenze kennen. Wenn man merkt, es kommt zum richtigen Streit, dann sollte man aufhören und mal kurz aufs Klo gehen.

Becker: Eigentlich sind wir doch harmoniesüchtige Gutmenschen. (beide lachen laut)

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie den Begriff "Wutbürger" hören?

Schmickler: Der Begriff war früher mal positiv besetzt. Ich habe am Ende der Sendung ja auch immer den Wutbürger gegeben. Heutzutage bin ich so weit, dass ich denke, Wut ist eines der hässlichsten Gefühle, die man haben kann. Zorn oder Empörung trifft es wahrscheinlich besser. Wut bedeutet Schaum vorm Mund, ist immer blind und extrem negativ besetzt. Das führt nicht weiter. Man kann mal kurz wütend sein, aber dann muss man runterkühlen und wieder klaren Kopf bewahren.

Wilfried Schmickler und Uwe Lyko© WDR / Melanie Grande

Wilfried Schmickler und Uwe Lyko als Angela Merkel und Joachim Sauer

Trotzdem schimpfen Sie auch weiterhin am Ende der Sendung.

Schmickler: Die Art des Vortrags hat sich verändert und ist mittlerweile deutlich ruhiger geworden. Die Heftigkeit bleibt, weil sie am Schluss einen wichtigen Punkt setzt. Und es gibt ja auch Kopien.

Sie meinen Gernot Hassknecht aus der "heute-show"?

Schmickler: Der Hassknecht macht im Grunde nichts anderes. Nur der Unterschied zwischen Hassknecht und mir ist, dass ich meine Texte selber schreibe. Es sind meine Gedanken und Gefühle, die ich da äußere, und Hassknecht ist ein Schauspieler, der eine Rolle spielt.

Was ist der Grund dafür, dass sich die "Mitternachtsspitzen" auch nach 30 Jahren noch nicht totgelaufen haben?

Schmickler: Weil wir leben!

Becker: Und weil es uns noch immer Freude macht. Dass wir das noch immer machen können, ist ein Riesen-Glücksfall, schließlich sind wir beide keine Gesundheitsapostel und leben so, dass wir Spaß haben. Und dem WDR scheint es auch zu gefallen. Es muss da eine Abteilung geben, die Sendungen abschafft. Die haben uns vermutlich noch nie gesehen. (lacht)

Herr Becker, Herr Schmickler, vielen Dank für das Gespräch.