Herr Somuncu, es gibt mehr Plattformen und Sender denn je. Dennoch haben Sie sich jetzt dazu entschieden, Ihre Bewegtbild-Inhalte auf der eigenen Website zu veröffentlichen. Warum sind Sie zum Einzelkämpfer geworden?

Man sollte das Internet nicht immer als Müllhalde für Formate sehen, die im Fernsehen gescheitert sind. Ich will den Spieß umdrehen und zeigen, dass man auch hier hervorragende Sendungen platzieren kann. Danach soll sich das Fernsehen gerne darüber ärgern, dass es nicht zugesagt hat.

Sie haben also im Vorfeld bei den Sendern angeklopft?

Ja, wir haben unser Format "Serdars Deutschland" einigen Leuten angeboten. Die sind sich ihrer Machtposition jedoch sehr bewusst und erwarten, dass man das normale Prozedere durchmacht. Pitchen, pilotieren, tausend Fragen beantworten, Absagen kassieren. Aber darauf habe ich keinen Bock mehr. Dieser Qual möchte ich mich im Vorfeld nicht mehr stellen, und ich habe auch keine Lust mehr darauf, während der Produktion Eingriffe hinnehmen zu müssen. 

Das klingt, als seien Sie resigniert vom Fernsehen.

Resigniert bin ich nicht. Ich bin allerdings sehr wohl davon überzeugt, dass sich meine Arbeit durchsetzt – und zwar unabhängig davon, ob mir jemand gestattet, diese Arbeit auszuüben. Ich will meine Kunst machen, so ehrlich und ungehindert wie möglich. Dafür ist mein eigener Kanal im Moment der beste Weg. Das heißt nicht, dass ich jetzt aufhöre, Fernsehen zu machen. Aber das ist eben bei Weitem nicht so persönlich wie das, was wir nun in diese Doku gesteckt haben.

Was stört Sie am Fernsehen?

Das Fernsehen leidet im Moment darunter, dass es Gewohntes wiederholt, bis es keiner mehr sehen will. Diese Ängstlichkeit der Sender, der sich mittlerweile auch viele Künstler unterordnen, führt dazu, dass das Programm mit der Zeit immer einfältiger wird.

Worauf führen Sie die Ängstlichkeit zurück?

Fernsehsender sind Konsortien, die nicht denjenigen gehören, die das Programm machen, sondern denen, die das Programm finanzieren. Und die haben Eigeninteressen. Das größte Eigeninteresse ist es, Umsatz zu generieren und Werbezeiten zu vermarkten. Die Öffentlich-Rechtlichen könnten es anders machen, orientieren sich aber viel zu häufig an den Privaten und machen es dadurch oft sogar noch viel schlimmer. Diese Struktur, die das lineare Fernsehen jetzt noch trägt, ist in Wahrheit der auslaufende Zweig einer Industrie, die noch gar nicht mitbekommt, dass sie sich nicht mehr am Bedarf der Zuschauer orientiert, sondern sich nur noch selbst am Leben erhalten will. Die Leute haben Angst, ihre Pfründe zu verlieren, die sie über Jahre hinweg gesammelt haben. Da ist ja auch viel Klüngelei im Spiel. Aufträge werden nicht nur nach Qualität vergeben, sondern auch danach, wen man am besten kennt. Da kann man nur ausscheren, indem man sich unabhängig macht und sich mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert. Mag sein, dass wir jetzt die Pioniere sind, aber ich bin davon überzeugt, dass es in ein paar Jahren viele geben wird, die einen ähnlichen Weg einschlagen, wie ich das jetzt tue.

Was macht Sie so sicher, dass es auch ohne starken Partner im Rücken funktionieren kann?

Ich bin davon überzeugt, dass sich ein solches Projekt durchsetzen wird, wenn man es qualitativ hochwertig macht. In Amerika arbeiten Künstler wie Louis C.K. längst mit solchen Paywalls. Leider haben wir es in Deutschland mit einer etwas anderen Mentalität zu tun.

Wie meinen Sie das?

Hier ist man es gewohnt, dass Kunst und Kultur subventioniert werden. Auf der einen Seite gibt man viel Geld aus für Dinge, über die man gar nicht nachdenkt, aber wenn es um eine Doku geht, die mit viel Aufwand, Zeit und Herzblut hergestellt wird, dann sind 1,99 Euro fast schon zu viel. Man muss da am untersten Limit agieren. Trotzdem habe ich festgestellt, dass sich die Einstellung der Menschen ändert und die Zuschauer bei Weitem nicht so doof sind wie die Sender denken.

Wie viele Nutzer benötigen Sie, damit sich das Projekt für Sie lohnt?

Die Produktionskosten der ersten Folge waren überschaubar, wir haben das mit großem Engagement der Beteiligten umgesetzt. Auch Hasko Baumann, der zuvor "Durch die Nacht mit..." gemacht hat, hat sehr viel Arbeit reingesteckt, ohne erst mal die Hand aufzuhalten. Wenn man von einem Projekt derart überzeugt ist, wie wir es sind, dann ist es auch in Ordnung, wenn man erst mal in Vorleistung geht. So etwas überträgt sich dann auch – und unsere ersten Zahlen sind viel besser, als wir erwartet haben. Schon an den ersten vier Tagen haben wir fast 10.000 Aufrufe erreicht. Damit können wir schon beinahe die Kosten decken. Und das ist nach oben hin ja nicht gedeckelt. Ich bin davon überzeugt, dass wir langfristig gutes Geld verdienen können, das wir dann wiederum in neue Produkte stecken können.

In "Serdars Deutschland" wollen Sie Ihren Zuschauern etwas mit auf den Weg geben. Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie die Menschen, an die Sie die Botschaften senden wollen, auf diesem Weg gar nicht erreichen? 

Die Sorge könnte ich haben, aber da bin ich sehr gelassen. An den Zahlen der ersten Tage sehe ich ja, dass sich die Menschen dafür interessieren und sie es auch sehr positiv aufnehmen. Die wissen, wofür ich stehe. Ob ich auch andere Menschen erreiche, ist sicher eine Frage der Zeit und hängt auch von der Weiterverbreitung dieser Idee ab.

Worum geht es Ihnen bei "Serdars Deutschland"?

In der ersten Folge war es mir wichtig, das Thema Integration von einer anderen Seite zu beleuchten. Meistens geht es doch um integrationsunwillige Ausländer, kriminelle Zuwanderer. Hier zeigen wir dagegen vier Beispiele von sehr erfolgreichen, in Deutschland lebenden Migranten. Allesamt Flüchtlinge und eigentlich urdeutsch. Die Werte und Tugenden, die sie vertreten, sind so deutsch, dass man es eigentlich kaum glauben kann. Der einzige Deutsche ist übrigens der besoffene Mann, der auf der Straße steht und in die Kamera brüllt.

Wie soll es weitergehen?

Wir arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen. Zunächst wollen wir diese Doku in sechs Folgen erzählen. Dafür reise ich durch Deutschland, nach Köln, Hamburg oder auch in den Osten. Es geht immer um den Begriff Heimat und um das, wo man sich zu Hause fühlt. Daneben arbeite ich mit Friedrich Küppersbusch und der probono auch an fiktionalen Projekten. Da ist sogar eine Serie denkbar, die wir ausschließlich übers Internet verbreiten. Die Infrastruktur dafür ist vorbereitet und wir haben einen sehr langen Atem.

Fiktionale Projekte sind allerdings teuer.

Das ist natürlich ein Risiko und der Erfolg hängt sehr davon ab, wie solidarisch die Zuschauer mit uns sind und wie viele die Idee fördern wollen.

"Wir wollen uns weder etwas vorschreiben lassen, noch lassen wir uns erpressen."
Serdar Somuncu

Haben Sie keine Angst davor zu scheitern?

In allen Projekten, die ich gemacht habe, habe ich stets Risiken genommen. Als ich damit begonnen habe, "Mein Kampf" zu lesen, sagten mir alle: Bist du des Wahnsinns? Mittlerweile ist das als Erfolg in meine eigene Geschichte eingegangen. Man muss, wenn man Kunst macht, immer Risiken eingehen. Und wenn man als kaufmännischer Künstler, so wie ich das jetzt auch bin, damit Geld verdienen will, dann muss man den Leuten auch Angebote machen, die jenseits von dem liegen, was sie sonst zu sehen bekommen.

Und was, wenn doch ein Fernsehsender an Ihren Inhalten interessiert ist?

Das eine schließt das andere nicht aus. Nur weil das Projekt jetzt im Internet steht, heißt das nicht, dass es nicht woanders auch noch laufen kann – vielleicht auch in einer anderen Fassung. Wir wollen uns aber weder etwas vorschreiben lassen, noch lassen wir uns erpressen. Aus dieser autonomen Situation heraus können wir ganz alleine und frei entscheiden, wem wir etwas geben. Das ist keine Kampfansage, aber zumindest eine kleine Revolution.

Herr Somuncu, vielen Dank für das Gespräch.